Kommentar:Jenseits des Mars

170 Jahre ist es her, die Welt stand kurz vor dem Beginn ihrer Industrialisierung, da war der unbekannte Kosmos nicht das Weltall. Nicht Mars, Jupiter, der Eta Carinae oder das Zentrum der Milchstraße waren damals die weißen, unerforschten Flecken auf der großen Karte der Naturwissenschaft. Die unendlichen Weiten jenseits des menschlichen Erfahrungshorizonts hießen im 19. Jahrhundert Galapagos, Tasmanien und Feuerland.

Von Patrick Illinger

(SZ vom 27.12.2003) - Zuverlässige Schiffe brauchte es, um die seinerzeit fernen Lebensräume zu erreichen - und Menschen, denen die Lust zu erfahren, zu entdecken und letztlich auch zu erklären, wichtiger war als ein sicheres, selbstzufriedenes Dasein in der gewohnten heimischen Umgebung.

Kommentar: Ziel der Träume: Der rote Planet

Ziel der Träume: Der rote Planet

(Foto: Foto: dpa)

Einer dieser Entdecker war Charles Darwin. Ohne Bezahlung fuhr er fünf Jahre lang über die Ozeane der Welt, um die Vielfalt der Arten und das Geheimnis des Lebens zu erkunden. Das Ergebnis dieser Reise war die noch heute gültige und noch immer revolutionäre Evolutionstheorie, wonach das Leben sich aus einem endlosen Kampf zwischen Mutation und Selektion herausbildet. Das Schiff, auf dem Darwin reiste, die Beagle, ist längst eine Legende.

Heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, ist wieder ein Schiff mit gleichem Namen unterwegs, die Beagle 2. Auch dessen Auftrag ist es, die Geheimnisse des Lebens zu erkunden. Und wie zu Darwins Zeiten: Der Weg ist weit, das Budget - vergleichsweise - klein. Und der Erfolg vorerst ungewiss. Das Mutterschiff, die Mars Express, hat zwar erfolgreich den Bestimmungsort, die Mars-Umlaufbahn erreicht. Und womöglich wird das Landegerät Beagle 2 es noch schaffen, Funksignale zur Erde zu senden und seinen Bohrrüssel in die Oberfläche des Roten Planeten zu stechen. Unsicher bleibt aber, ob die Messdaten den erhofften wissenschaftlichen Durchbruch bringen.

Verpflichtung für die Menschheit

Doch die Sache ist es wert. Missionen wie diese bieten die kleine, aber faszinierende Chance, dass der Homo sapiens ein wenig mehr erfährt über sich und den eigenen Platz im Universum.

Das ist der Grund, warum Weltraum-Missionen wie die Reise zum Mars nicht nur gerechtfertigt, sondern eine Verpflichtung für die Menschheit sind. Sollte es eines Tages tatsächlich gelingen, biologische Lebensformen auf fremden Planeten nachzuweisen, wäre das nicht nur für die Wissenschaft eine Sensation von ungeheuerlichem Ausmaßen.

Die Nachricht, dass die Erde kein Unikat im Universum ist, dass Leben überall im Kosmos entstehen kann, und sei es auch nur grüner Glibber, würde unser Dasein im Innersten berühren. Oder das Gegenteil geschieht: Falls sich herausstellt, dass die Erde einzigartig ist, dass anderswo im All kein Leben entstanden ist, obwohl die physikalischen Bedingungen dies erlaubt hätten: Welche Bedeutung hätte das für das eigene Selbstverständnis?

Die Fragen des Daseins

Um grundlegende Fragen wie diese geht es, wenn der Mensch Forschungssonden quer durch das Sonnensystem und darüber hinaus schickt. Die reine Tatsache, irgendwo angelangt zu sein, tritt dabei in den Hintergrund. Natürlich ist absehbar, dass jetzt die immergleichen Stimmen wieder laut werden, die fordern, dass der Mensch sich nun endlich selbst auf den Weg macht.

50 Jahre nach der Landung des ersten Astronauten auf dem Mond, also um das Jahr 2020, so träumen viele der offenbar von Weltraummythen berauschten Raumfahrt-Apologeten, soll ein Mensch auf dem Roten Planeten stehen.

Doch der Sinn einer solchen Mission muss nach objektiven Kriterien entschieden werden. Reine Emotionen, ob die der Planer in den Raumfahrtbehörden oder die ganzer Nationen, dürfen nicht den Ausschlag geben für ein derart teures Unterfangen. Das Gefühl, ein interplanetares Heldenepos zu vollführen, darf nicht einer nüchternen Analyse der wissenschaftlichen Bedeutung weichen.

Und hier liegen die Dinge klar: Der Mensch hätte auf dem Mars buchstäblich nichts zu suchen. Es gibt derzeit keinen Grund zum Mars zu reisen. Es gibt nichts zu erforschen, das Maschinen und Roboter nicht auch könnten. Im Gegenteil: Der Mensch im All löst keine Probleme, er ist - rein technisch betrachtet - das Problem. Sein Überleben zu sichern, stellt weit höhere Anforderungen als eine Forschungssonde zum Ende des Sonnensystems zu schicken.

Hausmeisterei im Orbit

Solche Argumente finden wenig Beachtung, wenn Regierungen den Weltraum als Erfüllungsort nationalistischer Aufbruchspropaganda missbrauchen wollen. Erschreckend dabei ist, dass offenbar nicht nur raumfahrerische Newcomer wie China sich genötigt sehen, einen Menschen - übrigens ferngesteuert - in die Umlaufbahn zu schießen, mit dem einzigen Zweck, diesen heil wieder herunterzuholen. Auch in den USA wird mehr oder weniger offen über eine Neuauflage der Mondflüge nachgedacht. Eine entsprechende Ankündigung könnte Präsident Bush als Paukenschlag nutzen, um das Wahljahr 2004 einzuläuten.

Von erfrischendem Pragmatismus zeugt es, wenn die deutsche Foschungsministerin Bulmahn sich offen gegen die bemannte Raumfahrt ausspricht. Ungut ist nur, dass Deutschland weiterhin 40 Prozent des europäischen Beitrags für einen orbitalen Wohncontainer namens Internationale Raumstation ISS bezahlt. Ursprünglich als Völker verbindendes Labor über den Wolken gedacht, ist es längst zur teuersten Hausmeisterei aller Zeiten verkommen.

Nicht nur weil die amerikanischen Raketentechniker zurzeit darüber grübeln, ob ihr Spaceshuttle überhaupt für einen sicheren Fährverkehr taugt, leidet die ISS mit ihrer Besatzung von zwei Mann zurzeit unter chronischer Nutzlosigkeit. Die in diesem Jahr spannendste Nachricht von der ISS bezog sich auf einen Splitter Weltraumschrott, der auf die Außenhaut geprallt war. Der ganze Irrwitz wird deutlich, wenn man betrachtet, dass es jährlich 1,3 Milliarden Dollar kostet, um eine Hand voll Menschen 400 Kilometer über dem Erdboden zu versorgen.

Die gesamte Mission der Sonde Mars Express hat 300 Millionen Euro gekostet. Und darin liegt die Zukunft der wissenschaftlichen Raumfahrt: in kleinen, ehrgeizigen, visionären Missionen. Mit einem neuartigen Ionenantrieb fliegt derzeit die europäische Sonde Smart 1 zum Mond. Im Januar wird der amerikanische Späher Stardust durch den Schweif eines Kometen fliegen und dessen Staubteilchen einfangen. Immerhin haben Kometen möglicherweise vor Jahrmilliarden die Erde mit den Grundbausteinen organischer Materie versorgt.

Ebenfalls 2004 soll auch die europäische Sonde Rosetta abheben und im Jahr 2014 sogar auf einem Kometen landen. Viele Milliarden Euro kostet die bemannte Raumfahrt jährlich. Mittel, die für die Erforschung weit sinnvollerer, grundlegender Fragen unseres Daseins verloren sind.

Es mag schon sein, dass die Menschheit eines Tages gezwungen sein wird, in Raumschiffe zu steigen, um den Planeten, möglicherweise sogar das Sonnensystem, zu verlassen. Doch dieser Zeitpunkt liegt weit in der Zukunft. Und der Anlass wird nicht Neugier sein, sondern die schreckliche Erkenntnis, dass der Lebensraum Erde aufgebraucht ist.

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