Kriminalität:Falsche Polizisten, echtes Kokain

Polizei zeigt Kokainfund

Bewaffnete Polizeibeamte stehen während eines Fototermins im Polizeipräsidium neben den sichergestellten Kokainpaketen.

(Foto: dpa)
  • Eine Bande soll bei einem filmreifen Überfall 1,1 Tonnen Drogen erbeutet haben.
  • Nun müssen sich die acht Männer im Alter von 25 bis 50 Jahren vor dem Landgericht Hamburg verantworten.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Die mutmaßlichen Millionendealer hielten ein Blaulicht aus dem Beifahrerfenster, "Polizei" stand auf ihren schwarzen T-Shirts. "This is police", rief einer der Männer, als sie den Lkw kaperten. 8. November 2018, ein Parkplatz an der A 7 südlich von Hamburg. Offiziell waren in dem Container auf dem Sattelschlepper nur 40 Tonnen Gelatine für eine Firma in Baden-Württemberg - das Schiff MSC Elodie hatte zwei Tage zuvor Tausende Stahlboxen aus Santos in Brasilien im Hamburger Hafen angeliefert. Doch hinter der Gelatine lagerten 1,1 Tonnen Kokain, Marktwert mehr als 160 Millionen Euro.

Sechs Monate später stehen nun am Mittwochmorgen acht Männer im Alter von 25 bis 50 Jahren gut bewacht vor dem Landgericht Hamburg, sie stammen aus Deutschland, Polen und Italien. Ihnen wird außer Rauschgifthandel im großen Stil auch Diebstahl, Gewalt und Freiheitsentzug vorgeworfen - sowie der ebenfalls nicht ganz unbedeutende Straftatbestand, zu diesem Zweck Staatsmacht gespielt zu haben. Denn die falschen Polizisten hatten das Pech, dass ihnen einige Minuten nach ihrem filmreifen Überfall echte Polizisten in die Quere kamen.

Die Anklageschrift ähnelt einem Krimi, die Verteidiger versuchen die Verlesung noch im Gerichtssaal zu verhindern und den Prozessbeginn zu verzögern. Drogen werden zwar häufig entdeckt, der Markt blüht, auch in den deutschen Überseehäfen fliegen immer mächtigere Lieferungen auf. Aber gewöhnlich taucht bei größeren Mengen nur der Stoff auf, die Täter bleiben meistens verschwunden. Hinter diesem Thriller dagegen stecken Namen und Gesichter, Verbindungen könnten bis zu den berüchtigten Hells Angels reichen. Aufgespürt wurden sie nicht zufällig von der Fahndungsgruppe "Soko Rocker".

Chauffeur für 150 000 Euro angeheuert

Der Staatsanwalt erhebt sich also und liest vor. Demnach wussten mindestens zwei Hauptangeklagte, was die Gelatine verbarg und wann die Fracht ankam. Nachdem das Containerschiff am 6. November 2018 die Hansestadt erreicht hatte und zwei Tage später entladen war, ging es los.

Ein Teil der Beschuldigten fuhr laut der Ermittlungen in ihrer Polizistentarnung und gemieteten Fahrzeugen dem Lastwagen hinterher, ausgestattet mit abhörsicheren Mobiltelefonen und einem Störsender, der GPS-Signale blockierte. Sie folgten ihm über Veterinäramt und Zoll, wo nichts auffiel, auf die Autobahn. Sie winkten den Fahrer demnach hinaus, legten ihm Handschellen an und ein Shirt vor die Augen, übernahmen das Steuer und schickten den Transport wieder nach Norden. Ein angeheuerter Chauffeur soll dafür 150 000 Euro erhalten haben, ein Trinkgeld verglichen mit dem zu erwartenden Gewinn.

"Schwerer Schlag gegen die organisierte Kriminalität in Hamburg"

Als der entführte Truck dann um kurz vor 14 Uhr die Rampe einer Hamburger Lagerhalle erreicht hatte, sollen die dort wartenden Komplizen zur Tat geschritten sein. Drei Mann kletterten gemäß der Ankläger "in den hinteren Bereich des Containers und bildeten eine Kette, um die in Plastiktüten zu je 18 Stück verpackten 1-Kilogramm-Pakete Kokain in den vorderen Bereich des Containers zu bewegen", zwei Mann nahmen die Pakete entgegen und stapelten ihre Beute. Sie hatten offenbar bereits 1091 der 1100 Kilopäckchen heraus geholt, als um 14.19 Uhr die wahre Polizei eintraf. Seit jenem Tag sitzen alle acht Verdächtigen in Untersuchungshaft.

Auf die Schliche gekommen war das Landeskriminalamt dem Manöver wegen eines anderen Falls. Einer der Beteiligten, ein 25-Jähriger, wurde in Erwartung weiterer Straftaten observiert, er soll mit einer Gang aus Hamburg-Osdorf Marihuana aus Spanien importiert haben. Wegen der Cannabis-Connection wird gegen ihn und fünf andere bereits seit Anfang Mai verhandelt, jetzt sitzt er also auch wegen 1 101, 875 Kilo Kokain vor Richter und Schöffen.

9100 Kilo Rauschgift von Ermittlern verbrannt

Als Hamburgs Polizei und Staatsanwaltschaft vor einem halben Jahr ihre Trophäen präsentierten, da zeigten sie die bunten Pakete zwischen vermummten, schwer bewaffneten Uniformierten. Dies sei "ein schwerer Schlag gegen die organisierte Kriminalität in Hamburg und insbesondere die Rockerkriminalität", so ein Sprecher. Fragen bleiben. Für wen war das viele Kokain ursprünglich gedacht? Wie wuchtig sind die Kontakte der Rockerszene in die Drogenszene? Ein Angeklagter und möglicher Drahtzieher des gescheiterten Millionengeschäfts gilt als Schwergewicht der Hells Angels. Einer von deren Anführern war 2018 in St. Pauli im Bentley niedergeschossen worden. Drogenhandel ist nicht neu in der Rockerbranche, doch hier geht es um eine Größenordnung, mit denen sich sonst führende Kartelle befassen.

Weltweit wird trotz aller Verbote immer mehr Geld mit Pulver, Kraut und Pillen umgesetzt. Deutschland ist Teil dieser Drehscheibe, wie auch ein Verfahren in Landshut illustriert: Dort wird gerade fünf Männern zur Last gelegt, 1,7 Tonnen Kokain in Bananenkisten geschmuggelt zu haben. Im Hamburger Fall sind bis November 32 Verhandlungstage angesetzt. Was mit den beschlagnahmten Funden passiert? Der Zoll an der Elbe verbrannte im Dezember 2018 neun Tonnen Rauschgift, darunter auch das Kokain aus dem Gelatinelaster. Der geschätzte Wert im Straßenverkauf der insgesamt 9100 Kilo Kokain und Grundstoff für Methamphetamine: ungefähr 520 Millionen Euro.

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