Körper und Geist:Geheimnis der mittleren Ebene

Zweifelsohne sind Geist, Bewusstsein, Gefühle, ja sogar der gelegentlich von Neurobiologen in Frage gestellte freie Wille, Vorgänge, die sich vor allem auf der mittleren Ebene der Nervenverbünde abspielen - schreiben renomierte Gehirnforscher in einem Manifest.

Von Jeanne Rubner

Als der Pionier für Künstliche Intelligenz Marvin Minsky in den fünfziger oder sechziger Jahren gefragt wurde, wann Computer denken würden, antwortete er stets: In zehn Jahren.

Computerfortschritte waren damals so rasant, dass kein KI-Forscher sich vorstellen konnte, einem schlauen Roboter nicht einmal höchstpersönlich die Hand geben und mit ihm über das Wetter plaudern zu können. Heute tröstet Minsky sich mit Science Fiction.

Manches an der derzeitigen Gehirnforschung erinnert an die Aufbruchstimmung von damals. Bildgebende Verfahren, heißt es seit zehn Jahren, würden bald so gut sein, dass man dem Gehirn beim Denken zuschauen könne.

Mit Licht oder radioaktiven Molekülen werde man die Spur der Gedanken und Gefühle mikrometergenau verfolgen. Fachblätter sind voll von Studien mit bunten Bildchen, die das Zentrum für Musikalität zeigen oder den Sitz des Bewusstseins entdeckt haben wollen.

Deshalb kommt das Manifest von elf führenden Gehirnforschern in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Gehirn und Geist, die morgen im Spektrum Verlag erscheinen wird, zur rechten Zeit.

Die Runde, zu der Wolf Singer vom Frankfurter Max-Planck-Institut, Hanse-Kolleg-Rektor Gerhard Roth oder der Bochumer Neuroinformatiker Christoph von der Malsburg gehören, übt sich in Bescheidenheit, sieht man einmal von der kühnen Behauptung ab, Schizophrenie werde in zehn Jahren heilbar sein.

Zwischen der leidlich verstandenen unteren Ebene des Gehirns von Transmitter-Molekülen und Nervenzellen und der oberen Ebene größerer, auf bestimmte Aufgaben spezialisierter Bereiche liege Niemandsland, das derzeit allenfalls von Jägern und Sammlern betreten wird, heißt es im Manifest.

Die Hirnjäger sammeln alles, was sie in die Finger kriegen, nur: Sie wissen nicht, welche Bäume die wirklich essbaren Früchte tragen und wie sie diese ernten sollen.

Nach welchen Regeln Nervenzellen miteinander kommunizieren, wie das Gehirn die Welt abbildet, so dass vergangene Erfahrungen mit neuen verschmelzen, wo Gefühle ihren Ursprung finden - diese Fragen, die auch das menschliche Selbstverständnis berühren, sind weitgehend unbeantwortet, wie die Forscher unumwunden zugeben.

Und sie versuchen auch gar nicht zu suggerieren, dass die kommende Dekade eine der vorbehaltlosen Aufklärung sein wird. Das aber liegt nicht an einer prinzipiellen, unsichtbaren Grenze, die verhindern würde, dass wir Geist und Seele erforschen. Vielmehr sind es fehlende Instrumente, welche die Forscherneugierde bremsen, aber auch fehlende theoretische Modelle. Wonach im neuronalen Stimmengewirr schauen?

Doch zweifelsohne, schreiben die Forscher, sind Geist, Bewusstsein, Gefühle, ja sogar der gelegentlich selbst von Neurobiologen in Frage gestellte freie Wille, natürliche Vorgänge, die sich vor allem auf dieser mittleren Ebene der Nervenverbünde abspielen.

Den Dualisten, die - aus welchen Gründen auch immer - an der Zweiteilung von Geist und Körper festhalten, nehmen die Autoren des Manifestes zugleich den Wind aus den Segeln: Der neuronale Reduktionismus zieht keinesfalls ein mechanistisches Weltbild nach sich.

Das Verhalten einer Person lässt sich ebenso wenig aus dem Nervenflackern ihres Gehirns vorhersagen wie ein Elektron auf einer festgelegten Bahn fliegt.

Weiter sollte man übrigens die Analogie zur Quantenmechanik nicht strapazieren - alle Versuche, zuletzt der des amerikanischen Philosophen John Searle, unverstandene Gehirnprozesse als quantenmechanisch bedingte Kausallücken zu beschreiben, sind zum Scheitern verurteilt.

Das Gehirn ist nun einmal keine Quantenmaschine, sondern ein Organ, das seine Einzigartigkeit der Vielzahl an Freiheitsgraden und wechselnden Randbedingungen verdankt.

Der Dualismus ist tot, es lebe die neuronale Freiheit.

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