Süddeutsche Zeitung

Tote in Königs Wusterhausen:"Düstere Tendenzen"

In der vergangenen Woche erschoss ein 40-Jähriger seine Kinder, seine Frau und sich selbst. Einiges deutet darauf hin, dass er sich in der Querdenker-Szene bewegt hatte.

Von Jan Heidtmann

Am vergangenen Montag gab es bei den sogenannten Freiheitsboten Königs Wusterhausen etwas zu feiern. Seit einem Jahr nun gehen die Anhänger, darunter Impfgegner, Corona-Leugner und Querdenker, in der kleinen Stadt südlich von Berlin auf die Straße. Die Zahl der anfänglich 300 Sympathisanten soll sich seitdem verdoppelt haben. "600 tolle Menschen haben sich eingereiht, um NEIN zu sagen", kommentierten Anhänger ihr Jubiläum in den sozialen Medien. Devid R. war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei den Freiheitsboten. Er und seine Familie waren am Samstag tot aufgefunden worden. "Er war ein gewonnener Freund ebenso wie seine Frau", schrieb ein Mitglied der Gruppe am Sonntagabend.

Dass der 40-Jährige offenbar Sympathisant dieser Gruppe war, ist nur die nächste Wendung in diesem tragischen Fall. Am vergangenen Samstag hatte die Polizei die fünfköpfige Familie tot in ihrem Haus im Ortsteil Senzig aufgefunden. Gegen Mittag hatte ein Nachbar bei der Polizei angerufen und gemeldet, er habe leblose Personen in dem Einfamilienhaus gesehen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft waren die drei Töchter im Alter von vier, acht und zehn Jahren in jeweils unterschiedlichen Zimmern aufgefunden worden - wie auch die Eltern sollen sie durch Schussverletzungen gestorben sein. Die Vermutung, der Täter habe auch mit dem Messer zugestochen, bestätigte sich nicht.

Nach Erkenntnissen der Ermittler lag die Familie vermutlich schon seit der Nacht auf Freitag tot in dem Haus. Das ergab die Obduktion, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus am Mittwoch mitteilte.

Bei den Toten fanden die Ermittler auch einen Abschiedsbrief. Er besteht aus mehreren Seiten und ist offenbar von Devid R. verfasst worden. Darin nennt er als Motiv für den Tod der Familie die Angst vor Strafverfolgung und Haft, aber auch die Sorge, Eltern und Kinder könnten deshalb getrennt werden. Devid R. hatte, so schrieb er es im Abschiedsbrief, für seine Frau ein Impfzertifikat fälschen lassen. Ihr Arbeitgeber, die Technische Hochschule Wildau, soll dies erfahren haben und wolle nun der Fälschung "mit aller Strenge nachgehen", schrieb R. nach Angaben der Staatsanwaltschaft. Der Mann soll erst die Kinder, seine Frau und dann sich selbst getötet haben. Im Haus fanden die Beamten auch eine sogenannte Kurzwaffe, also einen Revolver oder eine Pistole. R. hatte keinen Waffenschein - wie er an die Waffe gelangt ist, versuchen die Ermittler derzeit herauszufinden.

Nachbarn beschreiben die Familie als "harmonisch und lebensfroh"

Die Familie war nach Auskunft von Nachbarn beliebt. Die Märkische Allgemeine schreibt, sie sei als "harmonisch und durchweg lebensfroh wahrgenommen" worden. Devid R. arbeitete als Berufsschullehrer, seine ebenfalls 40-jährige Frau als Betriebswirtin in der Verwaltung der TH Wildau. "Wir verlieren eine langjährige, sehr geschätzte Kollegin. Ihre lebensfrohe Art wird stets in unserer Erinnerung bleiben", kommentiert die Hochschule inzwischen den Tod ihrer Mitarbeiterin auf der Webseite.

Nachdem die Familie vor rund drei Jahren in das neu gebaute Haus gezogen waren, seien sie "gern gesehene Gäste auf Geburtstagen und Feiern" gewesen. In jüngster Zeit habe Devid R. jedoch das Thema Corona zunehmend beschäftigt. Es habe "düstere Tendenzen" gegeben, zitiert die Zeitung einen Bekannten des 40-Jährigen.

Am 25. November trat eine Person namens Devid R. der Telegram-Gruppe "Freiheitsboten Königs Wusterhausen" bei. Der Tagesspiegel hatte darüber berichtet. Diese Gruppierung ist eine von mehreren Ortsverbänden der sogenannten Freiheitsboten, die auf eine Initiative des Arztes Bodo Schiffmann hin entstanden sind. Gegen Schiffmann wurde mehrfach ermittelt, unter anderem wegen Volksverhetzung und des Verdachts, falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt zu haben. Auf Telegram ist zu sehen, dass Devid R. das letzte Mal am späten Donnerstagabend dort online war.

Mitglieder der Gruppe wie auch Sympathisanten in anderen sozialen Medien kommentierten den Tod der Familie vielfach. "Es könnte sein, dass das mit dem Fälschen des Impfpasses nur eine Lüge ist, um den Menschen mit gefälschten Impfpässen Angst zu machen", schrieb einer. "Und wenn du das Gefühl hast, gleich durchzudrehen und keinen Ausweg mehr siehst, such dir bitte Unterstützung, du bist nicht allein", ein anderer. Am Mittwoch wurde die Telegram-Gruppe für Externe gesperrt. Rechtsexperten weisen darauf hin, dass die von R. befürchteten Konsequenzen kaum eingetreten wären. Zwar sind die Strafen für die Fälschung und die Verwendung solcher Impfpässe vor wenigen Tagen verschärft worden. Da R. dies aber offenbar nicht gewerblich betrieben hat, wären weder er noch seine Frau in Haft gekommen und die Familie sicherlich nicht getrennt worden.

Anmerkung der Redaktion: Wir berichten in der Regel nicht über Selbsttötungen. Grund dafür ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide. Da im vorliegenden Fall zugleich ein Tötungsdelikt vorliegt, überwiegt das öffentliche Informationsinteresse. Aus demselben Grund hat sich die Polizei dazu entschieden, die Presse zu informieren. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen von Suizidgedanken, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5483133
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/moge
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.