Königin Elisabeth II in Berlin:Routine in Mintgrün

Köhler lächelt, der Prinzgemahl leidet, die Queen winkt - und Berlin feiert entspannt. Von Constanze von Bullion

Berlin, 2. November - Es gehört zu den unvermeidlichen Nebenwirkungen eines Queen-Besuchs, dass die Menschen von dieser fieberhaften Begeisterung ergriffen werden, dass sie winken und schreien und die Köpfe verrenken, so als hätten sie noch nie eine echte Königin gesehen. Dabei ist es jedem Deutschen so vertraut wie das Bild der eigenen Großmutter, dieses mild lächelnde, fein zerfurchte Gesicht der britischen Monarchin, aus dem man so erstaunlich wenig Gefühl herauslesen kann.

Königin Elisabeth II in Berlin: Die Queen und Bundespräsident Horst Köhler schreiten vor Schloss Charlottenburg die Ehrengarde ab.

Die Queen und Bundespräsident Horst Köhler schreiten vor Schloss Charlottenburg die Ehrengarde ab.

(Foto: Foto: dpa)

Am Dienstagmittag taucht es am Flughafen Tegel in Berlin auf, unter einem atemberaubend mintgrünen Hut und hinter einem schwarzen Handschuh, der von jetzt an unaufhörlich winken, fremde Hände drücken und Geschenke entgegennehmen wird. Pausenlos wird diese kleine Dame in Bewegung gehalten bei ihrem vierten Staatsbesuch in Deutschland, bei dem Elisabeth II. knapp dreißig Termine absolvieren muss - und es bei aller Zeitnot fertig bringt, sich so gemessen durch Raum und Zeit zu bewegen, als würde ein Film mit halber Geschwindigkeit abgespielt.

Nicht jeder ist so routiniert. Vor dem Schloss Charlottenburg steht Bundespräsident Horst Köhler und lächelt. Er zieht sich ja gern auf dieses Lächeln zurück, das manche Menschen so an ihm lieben und das ihm gelegentlich im Gesicht stehen bleibt wie eine nette, blutleere Maske. Die königliche Visite ist für Köhler eine wichtige Premiere. Die Queen kennt er zwar schon von einem Antrittsbesuch, aber die abgezirkelten Bewegungen eines solchen Spektakels führt er heute das erste Mal vor.

Das königliche Protokoll

Dass nichts, aber auch gar nichts schief gehen kann bei diesem Auftritt, garantieren die Zeremonienmeister von Bundespräsidialamt, Bundeskanzleramt, britischer Botschaft und Hotel Adlon, die seit Wochen minutiös und unter maximaler Geheimhaltung den Besuch vorbereiten. Aber auch die ungezählten Höflinge der Queen sind schon lange in der Stadt unterwegs, um allen misslichen Eventualitäten vorzubeugen.

Die Königin, so wurde den Berlinern eingeschärft, liebt weder Überraschungen noch Schalentiere. Scharf gewürzte Speisen verursachen ihr Verdauungsbeschwerden, von Spaghetti und Knoblauch bittet das königliche Protokoll grundsätzlich abzusehen, und Brombeeren verfärben die Zähne so garstig. Auch in Sachen Fortbewegung setzt Majestät auf Altbewährtes, und nur einmal, beim Besuch in Potsdam, wird sie in diesen Tagen ihren bequemen Bentley verlassen und wie eine gewöhnliche Bürgerliche die Bahn nehmen.

Noch aber ist es nicht so weit. Am Charlottenburger Schloss steht die Ehrengarde der Bundeswehr stramm, die Fahnen sind gehisst, der Bundespräsident lächelt. Nichts geschieht. Auch im Fernsehen, wo jeder Schritt der Königin live übertragen wird, tun sie sich jetzt ein bisschen schwer, die viele Zeit totzuschlagen. Im ZDF zum Beispiel, wo der Prinz von Preußen die Geschichte des Hauses Windsor erläutern darf, greifen sie tief in die historische Mottenkiste. "Die Wunden der Geschichte nagen am Besuch", fürchtet eine Moderatorin während der Live-Übertragung, als endlich, endlich der grüne Hut wieder auftaucht.

Routine in Mintgrün

Und dann ist er ganz locker und schäkert fast ein bisschen, der neue Bundespräsident, der sich von der Queen mit diskreten Gesten über den roten Teppich dirigieren lässt, mit ihr die Ehrenformation abschreitet und am Ende der Rundtour über den Platz sehr entspannt mit Prinz Philip scherzt, der am linken Auge ein erstaunlich großes Veilchen trägt.

Der Gemahl der Queen sei im Bad gestürzt, heißt es bei Hofe. Im Alter ziehe man sich eben schnell mal blaue Flecke zu. Englische Zeitungen dagegen mutmaßen, der Prinzgemahl habe bei seinem Aufenthalt in einem Luxushotel in Jalta womöglich etwas über die Stränge geschlagen.

Die feierliche Zeremonie können solche Nebensächlichkeiten selbstverständlich nicht stören. Drinnen im Schloss, abseits neugieriger Kamerablicke, überreicht Horst Köhler seiner Besucherin ein Brandenburger Tor aus Porzellan, das von der darbenden Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur hergestellt worden ist. Für Prinz Philip gibt's eine Fliegeruhr, und ob auch der Bundespräsident beschenkt wird, bleibt eines der vielen Geheimnisse dieses Besuchs.

Hier im Schloss Charlottenburg ist übrigens schon die Urgroßtante der Queen ein- und ausgegangen. Victoria, älteste Tochter der legendären britischen Königin Victoria und Ehefrau des deutschen Kaisers Wilhelm I., verbrachte unglückliche Stunden in der Hohenzollern-Residenz, die damals, am Ende des 19. Jahrhunderts, keineswegs so hübsch hergerichtet war wie heute, sondern zu einem zugigen, reichlich verwahrlosten Kasten verkommen war.

Dass die britische Königstochter einsam in Berlin war, dass die energische "Vicky" wütend war, weil sie erst 30 Jahre lang auf die Thronbesteigung ihres Mannes warten musste und als liberale Zeitgenossin unter dem antisemitischen, nationalistischen und - wie sie fand - frauenfeindlichen Geist der wilhelminischen Gesellschaft litt, das wird Elisabeth II. bei ihrem Berlinbesuch ganz bestimmt unerwähnt lassen.

Dabei dürfte die britische Königin die verzweifelten Briefe ihrer Berliner Urgroßtante durchaus kennen, die nach Preußen geheiratet hatte, aber mit ihren deutschen Verwandten nie warm wurde und ihren eigenen Sohn, den deutschen Kaiser Wilhelm II., für einen aufgeblasenen Snob hielt. "Er ist völlig unwissend", schrieb Victoria am 2. November 1888 an ihre Mutter, "da er sich nur mit militärischen Dingen beschäftigt, ein wenig in der äußeren Politik herumpfuscht und dauernd gefeiert sein will."

Gottlob gehören solche nationalen Unverträglichkeiten längst der Vergangenheit an. Dabei lässt die Queen bei ihrem Besuch kaum ein finsteres Kapitel der deutsch-britischen Geschichte aus. Am zweiten Tag ihrer Visite zum Beispiel will sie nicht nur das Schloss Cecilienhof in Potsdam besuchen, wo 1945 die Teilung Europas besiegelt wurde, sondern auch das Krongut Bornstedt, auf dem ihre traurige Urgroßtante "Vicky" den Sommer verbrachte, Rosen züchtete und mit eigens importierten Rasenmähern das Gras kultivieren ließ.

Wenig später dann trifft Elisabeth II. die tapferen Kirchenleute, die schon in der DDR dafür sorgten, dass auf dem Soldatenfriedhof Stahnsdorf der Toten gedacht wurde, die hier begraben sind: 1176 Briten, Australier, Inder und Südafrikaner, die im Ersten Weltkrieg in deutscher Kriegsgefangenschaft umgekommen sind.

Ein Schüler erstarrt

Ein Wunder eigentlich, dass bei all dem historischen Gedenken der Blick auch nach vorn gerichtet wird. Im Kanzleramt stehen junge Leute in blauen Sweatshirts, Deutsche und Briten, die beim British Council die Klimaerwärmung untersuchen. Da werden der Monarchin Bilder vom überfluteten Cornwall präsentiert und von der Sintflut, die vor zwei Jahren Dresden heimgesucht hat. Ein Schüler erstarrt, als die Königin das Wort an ihn richtet. Es muss etwas passieren, erklärt eine junge Dame, bevor die Polkappen ganz abschmelzen.

Für einen Augenblick sieht es fast so aus, als habe die Queen Gefallen gefunden an diesen Jugendlichen, als interessiere sie sich wirklich für die zarte Pflanze der Freundschaft, die sich zwischen der Jugend des Königreiches und der Nation entwickelt, während die Deutschen der britischen Boulevardpresse noch immer als bester Feind herhalten müssen.

Dass die Deutschen von der Queen verlangen, sie soll sich für den Bombenkrieg entschuldigen, hieß es da. Unzumutbar, meinen viele Briten - totaler Unfug, behaupten die Deutschen, die bezweifeln, dass das Gerücht aus diplomatischen Kreisen stammt. Egal, die Queen hat eine Benefizkonzert für den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche auf die Beine stellen lassen. Als Geste des guten Willens, die sicher Anlass für ein paar warme Worte bietet.

Es ist schon dunkel in Berlin und in der Neuen Wache liegen frische Kränze, als die Königin ihre Gemächer im Hotel Adlon ansteuert. 70 Zimmer hat sie für ihre Entourage gemietet. Drinnen im Foyer wartet der Bundestagspräsident, der mit ihr Tee trinken will. Und der Friseur, der sie für das Bankett am Abend herrichtet. Es gibt Tafelspitz und Damhirsch mit Knödeln. Und zum Nachtisch? Holunderbeerensalat. Auch wenn der nicht gut auf den Zähnen aussieht.

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