Süddeutsche Zeitung

Staatsbesuch:Wenn sich Charles wie zu Hause fühlt

Der heutige König war schon um die 40 Mal zu Besuch in Deutschland - unter anderem auf dem Sofa der Familie Kunz im Berliner Plattenbau. Welche Termine diesmal auf seinem Programm stehen.

Von Verena Mayer, Berlin

Am Brandenburger Tor ist alles wie immer. Touristen machen Selfies, Schülergruppen drängen sich vor den Souvenirläden zusammen, vor dem Hotel Adlon schräg gegenüber halten Taxis. Nur ein paar Fahnen und Absperrgitter deuten darauf hin, dass auf dem Pariser Platz demnächst alles anders sein wird als sonst. Denn Mittwochnachmittag wird der britische König ankommen. Und nicht nur das: Charles III. wird hier auch mit militärischen Ehren begrüßt. Normalerweise findet dieses Zeremoniell vor Schloss Bellevue statt. Nun wird das erste Mal ein Staatsgast auf diese Weise am geschichtsträchtigen Brandenburger Tor empfangen.

Der Ausreißer im Protokoll lässt bereits erkennen, was für einen Stellenwert der Staatsbesuch im politischen Berlin hat. Denn es ist nicht nur die erste Auslandsreise des Königs überhaupt, und das sogar noch vor seiner Krönung. Charles kommt auch direttissima von London nach Berlin. Eigentlich sollte er ja zuvor in Frankreich sein, doch dort herrscht wegen der Massenproteste gegen die Rentenreform gerade ein wenig royales Ambiente: Barrikaden brennen, Müll stapelt sich auf den Straßen. Die Arbeiter, die unter anderem den roten Teppich für den Empfang liefern sollten, traten in den Streik.

Ende vergangener Woche musste Präsident Emmanuel Macron den König wieder ausladen. Weshalb nun irgendwann in den Geschichtsbüchern stehen wird: Die erste Auslandsreise des neuen britischen Königs führte nach Deutschland.

Auch der Rest des dreitägigen Programms strotzt geradezu vor Symbolkraft. Charles wird eine Rede im Bundestag halten, als erster Monarch überhaupt. Warum das so ist, wird mit einem Blick in den Kalender klar: Der 29. März war jener Tag, an dem das Vereinigte Königreich 2017 dem Europäischen Rat mitteilte, den Brexit einzuleiten. Nun soll im britisch-europäischen Verhältnis, das seit Längerem den Beziehungsstatus "kompliziert" trägt, einiges anders werden. So will die britische Regierung, in deren Auftrag Charles und Königin-Gemahlin Camilla unterwegs sind, die Beziehungen zur EU nach den turbulenten Brexit-Jahren wieder verbessern.

Erster Deutschland-Besuch mit 13 Jahren

Um nicht weniger als um "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" der beiden Länder wird es nach Ansicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gehen. Auch sonst sind große politische Themen abzuarbeiten. Neben der gemeinsamen Geschichte stehen der Klimaschutz und der Ukraine-Krieg auf der Agenda. Charles wird daher am früheren Flughafen Tegel vorbeischauen, der seit vergangenem Jahr als Ankunftszentrum für ukrainische Flüchtlinge dient.

Sonst stellt man sich an den Stationen Berlin, Brandenburg und Hamburg die Fragen, die man sich bei vielen Besuchen von Royals stellt. Wie werden Charles und Camilla auftreten, wen werden sie treffen, wo kann man sie sehen? Fest steht, dass der 74-jährige Charles ein Deutschland-Routinier ist. Er war schon an die 40 Mal im Land. Bei seinem ersten Besuch war er gerade mal 13, er kam 1962 in einem Flugzeug, das sein Vater Prinz Philip lenkte, man wollte die deutsche Verwandtschaft besuchen. 1987 reiste Charles dann mit seiner damaligen Ehefrau Diana an und wurde in München von Franz Josef Strauß in Empfang genommen. Wenn es nach den Klatschblättern von damals geht, interessierte die Leute aber vor allem die schwelende Ehekrise des Paares.

Der bilderstärkste Auftritt war aber sicher der in Berlin-Hellersdorf 1995. Damals besuchte der britische Thronfolger eine Plattenbausiedlung im Osten der Stadt. Fotos zeigen, wie Charles erst in "Moni's Friseursalon" vorbeischaute.

Danach ließ er sich im Wohnzimmer einer Familie auf einem Sofa nieder und wurde mit Rotkäppchensekt bewirtet. Draußen standen währenddessen Tausende Leute, die den britischen Thronfolger sehen wollten. Die Berliner Zeitung notierte, es habe ein "Gekreische wie bei einem Take-That-Konzert" gegeben, ein Ostberliner Verwaltungsangestellter kommentierte die Situation laut Zeitungsbericht mit den Worten: "Früher wurden die Leute herbestellt, jetzt sind sie freiwillig begeistert."

So viel Zeit wird Charles diesmal nicht haben, aber er wird auf einem Biobauernhof in Brandenburg erwartet. Charles gilt als Fan ökologischer Landwirtschaft, die Betreiber wollen zusammen mit dem König Käse in der hauseigenen Molkerei produzieren. 150 Laibe wolle man gemeinsam herstellen, die mit einem Krönchen-Emblem versehen und in den Handel gegeben würden, erzählte eine Sprecherin der Berliner Zeitung. "Seine Majestät soll schon mit anpacken, wenn wir unseren Bauernkäse mit Möhrensaft machen."

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