Kölner Stadtarchiv eingestürzt:Riesiger kultureller Verlust

Eine kulturelle Katastrophe von unvergleichlichem Ausmaß: Archiv-Mitarbeiter haben vor der Einsturzgefahr des Kölner Stadtarchivs gewarnt - nun sind kostbare Dokumente zerstört.

Stefan Koldehoff

Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln ist eine kulturelle Katastrophe von unvergleichlichem Ausmaß. In dem unscheinbaren Plattenbau am oberen Ende der Severinstraße in der Kölner Südstadt wurden historische Dokumente aufbewahrt, die zu den bedeutendsten weltweit gehörten.

Der kulturelle Verlust, der ihre Zerstörung für ganz Europa bedeutet, lässt sich noch nicht einmal ansatzweise ermessen. In den zusammen 18 Kilometer langen Rollregalsystemen der sechs eingestürzten Archivetagen im Magazingebäude wurden päpstliche Sendschreiben und mittelalterliche Stadturkunden aufbewahrt. Dort befanden sich die lückenlos geführten mittelalterlichen Ratsprotokolle seit 1376, die sogenannten "Schreinszeugnisse", die als Ursprung europäischer Rechtsgeschichte angesehen werden.

Zu den wertvollsten Handschriften gehören jene des Philosophen und Kirchenlehrers Albertus Magnus. Außerdem war im Historischen Archiv der Stadt auch die gesamte Geschichte ihrer Zugehörigkeit zur mittelalterlichen Hanse dokumentiert. All diese Unterlagen - zum Teil auch hauchdünnem Pergament - schaffte es die Stadt Köln unter Mühen über den Krieg zu retten. Die Archivbestände wurden damals ausgelagert.

Das Archiv bewahrte mehr als 750 Nachlässe und Teilnachlässe, darunter jene von Heinrich Böll, Jacques Offenbach und Vilém Flusser. Dort lagen die Unterlagen Konrad Adenauers aus seiner Zeit als Oberbürgermeister und die Korrespondenz, die der in Köln geborene Literaturwissenschaftler Hans Mayer unter anderem mit Paul Celan und Günter Grass geführt hat. Berühmte Architekten wie Gottfried Böhm und Wilhelm Riephahn vertrauten der Stadt ihre Unterlagen an. Das Redaktionsarchiv der Rheinischen Zeitung von Karl Marx konnte hier eingesehen werden. Die meisten dieser Kulturgüter sind ersten Erkenntnissen zufolge unwiederbringlich zerstört, denn das Archivgebäude stürzte komplett auf den Waidmarkt. Bislang durften Mitarbeiter des Archivs den Unglücksort noch nicht betreten, um festzustellen, ob noch etwas gerettet werden könnte.

Schwere Vorwürfe gegen die Stadt Köln erhob im Deutschlandfunk der ehemalige Abteilungsleiter des Historischen Archivs der Stadt Köln, Eberhard Illner, der inzwischen das Stadtarchiv Wuppertal leitet. Er wies darauf hin, dass Mitarbeiter bereits seit Anfang vergangenen Jahres im Keller des Gebäudes Setzrisse festgestellt hätten, die sich verbreiterten. Statiker hätten aber festgestellt, dass keine Gefahr bestehe.

Diese Einschätzung wurde nach Auskunft eines anderen Archivmitarbeiters erst in der vergangenen Woche nach einer Begehung noch einmal bestätigt. Sie fand statt, weil sich das Gebäude um mehr als zehn Zentimeter abgesenkt hatte.

"Gedächtnis der Stadt"

Das Gebäude selbst, im Jahr 1971 erbaut, war völlig intakt und angeblich auf dem aktuellen technischen Stand. Das Haus wurde nach seiner Eröffnung wegen seiner zweckmäßigen Konstruktion als "Kölner Modell" zum Vorbild für viele Archivbauten in aller Welt. Probleme, so Eberhard Illner, hätten sich erst im Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau gezeigt. Die daraufhin beauftragten Gutachter hätten Zuständigkeiten zwischen der Stadt und den Kölner-Verkehrsbetrieben (KVB) hin- und hergeschoben und dabei offensichtlich nicht die Brisanz der Signale erkannt - oder sie falsch eingeschätzt: "Nun ist das Gedächtnis einer europäischen Stadt verloren. Ich hoffe, aber ich glaube nicht, dass fragile Dokumente und Urkunden unter Tonnen von Beton und Stahl eine Chance haben."

Vergleiche mit dem Brand der Anna- Amalia-Bibliothek seien nicht zu hoch gegriffen: "Hier sind über eintausend Jahre Kulturgeschichte zerstört worden." Beim Bau des Gebäudes wurde im Kellergeschoss ein kleiner, angeblich atomwaffensicherer Bunker installiert, in den sich im Notfall der Archivleiter mit den wichtigsten Stücken hätte zurückziehen sollen. In den vergangenen Jahren wurden dort Putzmittel gelagert.

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