Die Aufklärung der Ursachen für den folgenschweren Einsturz des Kölner Historischen Archivs am 3. März, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen, ist gekennzeichnet durch gegenseitige Schuldzuweisungen und Verdächtigungen. Die Unglücksursache ist immer noch ungeklärt. In Akten zum U-Bahn-Bau, die bis zum Archiv-Einsturz unter Verschluss gehalten wurden, gibt es Hinweise auf Mängel, Pannen und drohende Gefahren bei dem prestigeträchtigen Milliarden-Projekt. Diese Hinweise wurden von der Bauaufsicht offenbar ebenso ignoriert wie von Verantwortlichen im Kölner Rathaus.Foto: AP
22. Oktober 2004: Der Kirchturm der Gemeinde St. Johann Baptist in der Kölner Südstadt hat sich um 77 Zentimeter geneigt - 15 mal stärker als aufgrund der geplanten U-Bahn-Arbeiten einkalkuliert. In einem 90-seitigen Gutachten stellt die Wülfrather Ingenieurgesellschaft Zorn fest, dass "ein Urteil über das Verschulden der eingetretenen Schiefstellung" des 44 Meter hohen Turmes nicht möglich sei.Foto: dpa
8. September 2008: In der 28 Meter tiefen U-Bahn-Baugrube am Kölner Waidmarkt - unmittelbar vor dem Historischen Archiv - gerät den Arbeitern der Grundwasserdruck offenkundig außer Kontrolle. "Behinderung infolge erhöhten Wassereintrittes im Bereich des Brunnens B 3", wird im Bautagebericht vermerkt.Foto: dpa; die U-Bahn-Baugrube nach dem Einsturz des Stadtarchivs
9. September 2008: Die Ingenieurfirmen melden dem Bauherrn, den Kölner Verkehrsbetrieben (KVB), die Überschwemmung in der Baugrube einen Tag später als "kleinen hydraulischen Grundbruch". Dieses Bauunglück gilt für unterirdische Bodenarbeiten als GAU, bei dem Wasser und Erdreich in die Baugrube eindringen und die Fundamente umstehender Gebäude absinken. Aufgrund des Grundbruchs kündigen die Baufirmen bei der KVB "Mehrkosten" und den Bau von zusätzlich sechs Brunnen zum Abpumpen des Grundwassers an.Blick in die Tunnelbaustelle vor dem historischen Stadtarchiv; Foto: dpa
30. September 2008: In einem 84-seitigen Abschlussbericht des Forschungsvorhabens "Sicherheitsnachweise für den Hydraulischen Grundbruch" kommt das Aachener Hochschul-Institut für Geotechnik im Bauwesen zu alarmierenden Erkenntnissen. Aufgrund der heterogenen Kölner Bodenverhältnisse und starker Wasserdruckdifferenz hätten sich die "üblichen Berechnungsverfahren" für die Statik beim Kölner U-Bahn-Bau als "auf der unsicheren Seite liegend" erwiesen.Ein Schild der KVB informiert in der Nähe des Heumarkts in Köln über den Bau der Nord-Süd-Stadtbahn; Foto: ddp
Die Anwendung "herkömmlicher Näherungsverfahren" könne für die Einbindung der die Baugruben stützenden Schlitzwände "viel zu geringe Einbindetiefen" ergeben. "Dadurch", so heißt es in der Studie des Aachener Hochschul-Instituts, "können Situationen entstehen, welche nicht nur wirtschaftlichen Schaden mit sich bringen, sondern unter Umständen auch Menschenleben gefährden." Es bleibt offen, ob die laut Studie als unsicher geltenden Berechnungsverfahren auch bei den U-Bahn-Gewerken an der Unglücksstelle am Kölner Waidmarkt angewandt wurden. Die KVB lässt entsprechende Recherche-Anfragen bislang unbeantwortet."Das stinkt doch nach Pfusch": Kerzen und ein Schild an der Einsturzstelle in Köln; Foto: ddp
18. Dezember 2008: Gutachter für Tragwerksplanung eines Leverkusener Ingenieurbüros stellen bei einer von der Stadt Köln veranlassten Begehung des Historischen Archivs acht Schäden - sogenannte Setzrisse - an Decken und Wänden des sechsgeschossigen Gebäudes fest.Blick in das historische Stadtarchiv in Köln; Archivbild: dpa
5. Januar 2009: Die festgestellten Gebäudeschäden an dem Historischen Archiv seien "in statischer Hinsicht unbedenklich", erklärt der Leverkusener Diplom-Ingenieur in seiner dreiseitigen "statischen Begutachtung". Das Gebäude sei in seinem derzeitigen Zustand "ausreichend standsicher". Ganz sicher scheint sich der Gutachter seines Urteils allerdings nicht zu sein und rät dem Amt für Gebäudewirtschaft bei der Stadt Köln: "Um die genauen Ursachen für das unterschiedliche Setzungsverhalten herauszufinden, empfehle ich Ihnen, einen öffentlich anerkannten Sachverständigen für Bauwerksschäden einzuschalten." Der dreiseitige Vermerk verschwindet in den Akten der Stadt - ohne erkennbare Konsequenzen.Foto: ddp
3. März 2009: Das Gebäude des Historischen Archivs und benachbarte Wohngebäude stürzen ein und fallen in den Krater der angrenzenden U-Bahn-Baustelle am Kölner Waidmarkt. Unter den Trümmer werden ein 17-Jähriger und ein 24-Jähriger begraben, die vermutlich im Schlaf von der Katastrophe überrascht werden. Als wahrscheinlichste Unglücksursache sehen Experten einen hydraulischen Grundbruch in der 28 Meter tiefen U-Bahn-Baugrube. Die Staatsanwaltschaft Köln leitet ein Strafermittlungsverfahren wegen Baugefährdung und fahrlässiger Tötung ein, das sich vorerst "gegen unbekannt" richtet.Foto: dpa
15. März 2009: Die Kölner Umweltdezernentin Marlis Bredehorst (Grüne) räumt eklatante Verstöße der am U-Bahn-Bau beteiligten Unternehmen beim Abpumpen des Grundwassers ein. Statt der genehmigten vier Brunnen waren an der Unglücks-Baugrube am Waidmarkt am Ende 15 Brunnen installiert worden. Pro Stunde wurden bis zu 750 Kubikmeter Wasser abgepumpt, obwohl lediglich 450 Kubikmeter erlaubt waren.Foto: dpa
18. März 2009: Die KVB bestätigen eine Recherche-Anfrage des Kölner Stadt-Anzeiger, dass die am U-Bahn-Bau beteiligten Firmen von den in der Ausschreibung vorgesehenen technischen Verfahren abgewichen seien. Zwischen der Stadt und der Bezirksregierung entzündet sich ein Zuständigkeitsstreit um die Erteilung der Erlaubnis zum Abpumpen von Grundwasser auf den Kölner U-Bahn-Baustellen.Aufkleber in der Nähe der Einsturzstelle; Foto: dpa
20. März 2009: Der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU; Bild) erfährt von brisanten Bautagebüchern, die monatelang unter Verschluss gehalten wurden. Aus diesen Protokollen geht hervor, dass sich bereits sechs Monate vor dem Archiv-Einsturz an der angrenzenden U-Bahn-Baugrube Waidmarkt ein hydraulischer Grundbruch ereignet haben soll. Schramma fühlt sich bei der Aufklärung des Archiv-Einsturzes von seinem Baudezernenten Bernd Streitberger und der KVB-Führung hintergangen und kündigt die Einleitung von Disziplinarverfahren an.Foto: dpa