Karneval in Köln:"Es ist scheiße. Und es ist schön"

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Schon lange vor dem Einlass um 11.11 Uhr haben sich die Leute vor der Lotta-Bar in der Schlange aufgereiht. (Foto: Marcel Laskus)

Kann man Karneval feiern, während in Europa ein Krieg ausbricht? Beobachtungen an einem Kölner Kneipentresen zwischen 11.11 und 23 Uhr. 

Von Marcel Laskus, Köln

Es ist nur ein Kostüm, das weiß Jan Schneidewind, der Karnevalskenner, natürlich. Aber sein Türsteher und er sind sich einig: Dieser Mann, der ihnen da in Soldatenuniform am Einlass gegenübersteht, der mag gute Laune und auch leicht einen sitzen haben. Nur in die Lotta Bar soll er in diesem Outfit lieber nicht. Nicht heute. Nicht an diesem Tag, an dem echte Soldaten tausend Kilometer weiter östlich kämpfen, in einem echten Krieg.

Schneidewind, der die Kneipe zusammen mit 13 Freunden als Kollektiv betreibt, erzählt von dieser Begegnung hinter dem Tresen der Bar, und dabei sieht er leicht zerknirscht aus in seinem Piratenkostüm. Mit der Mascara unter den Augen wirkt er fast melancholisch. Anderen das Feiern verbieten, das liegt ihm irgendwie nicht.

Aber nun ist das Weltgeschehen eben in den Karneval hineingekrochen, und damit auch in die Lotta Bar in der Kölner Südstadt. Nicht auf den ersten Blick vielleicht, weil die Ukraine räumlich weit weg ist von Köln. Aber die Gleichzeitigkeit, in der sich die Menschen an diesem Donnerstag, an Weiberfastnacht, schminken und verkleiden und in der die Nachrichten aus der Ukraine einprasseln - die fühlt sich nun mal seltsam an. Und so bemerkt mancher im Magen eben schon Stunden vor dem Kater ein flaues Gefühl.

Jan Schneidewind leert sein Kölsch-Glas. Das wievielte, weiß er nicht mehr ganz genau. Und dann sagt er, was die Lage da draußen und die Lage hier drinnen recht gut zusammenfasst: "Es ist scheiße. Und es ist schön."

Jan Schneidewind, der die Lotta-Bar mitbetreibt, ist ein melancholischer Pirat. (Foto: Marcel Laskus)

Schon lange vor dem Einlass um 11.11 Uhr haben sich die Leute in der Schlange aufgereiht, verkleidet als Spiderman und Prinzessin, als Mumie und Football-Spieler, Kostüme also ohne jede politische Ebene. Ob sie mit angezogener Handbremse feiern werden, wegen der Ukrainer, aber auch wegen Corona? Immerhin ist das Tanzen offiziell verboten und nur Schunkeln erlaubt. Die Inzidenz liegt in Köln bei einem Wert von über 1000. Und in die Lotta dürfen nur 111 statt 200 Menschen rein. "Die Leute, die hier herkommen, die haben sich entschieden", sagt Schneidewind. Karneval, gehemmt? Nein, das ist wohl kein echter Karneval.

Um 11.47 Uhr sind die die ersten 50 Leute endlich drin, und von ihnen werden mit hoher Konzentration die ersten Biere geleert. Auf dem Tresen stehen Tulpen in Gläsern, daneben liegen unendlich viele Bierdeckel. Damit das Holz nicht leidet, wenn das Kölsch umkippt. Und das Kölsch wird kippen, so viel steht fest. Jedes Jahr gehen in der Bar über Karneval rund 1000 Gläser zu Bruch.

Noch riechen die Menschen nur nach Parfüm, noch halten sich die körpereigenen Gerüche zurück. Aus den Boxen wummern nun Lieder der Kölner Bands Bläck Fööss und De Räuber, pausenlos. "Denn wenn et Trömmelche jeht, dann stonn mer all parat". Einander fremde Köpfe rücken näher zusammen. "Un mer trecke durch die Stadt. Un jeder hätt jesaat. Kölle Alaaf, Alaaf, Kölle Alaaf" . Ein Mann mit Bauarbeiterhelm bekommt am linken Teil des Tresens von einem Marienkäfer am rechten Teil des Tresens den ersten klar identifizierbaren Flirtblick des Tages. Spiderman geht zum ersten Mal auf Toilette. Der Mann, der sich als Mastschwein verkleidet hat, mit einem Aufkleber auf der Brust, auf dem steht "Haltungsstufe 3", er verschüttet das erste Bier. Und so richtet sich jeder an diesem Karnevalstag ein.

Martin hat Long Covid, nun wird mit jedem Schluck Bier sein Lächeln breiter

Da ist der Tresen-Verantwortliche Jan Schneidewind, der zapft und zapft, und selbst im Wechsel je ein Glas Bier und ein Glas Wasser trinkt. "Das hat mir schon bei meiner eigenen Hochzeit geholfen", sagt er. Da ist der Mann, der sich DJ Pitter nennt, als Seemann verkleidet ist und sich um die Musik kümmert. Auf seiner Festplatte habe er 3000 Kölsche Lieder, aber er ahnt schon, wie das hier alles enden könnte: "Ganz Deutschland ist sauer auf uns. Wie man hier nur Karneval feiern kann, während Krieg ist!" Und da ist Martin, der als Zwerg mit roter Zipfelmütze verkleidet ist, und der so froh ist, heute endlich wieder feiern zu können. "Ich wollte endlich wieder Normalität genießen."

Martin ist 46 Jahre alt, und er nippt nur vorsichtig an seinem Bier, denn so richtig gut geht es ihm noch nicht wieder. Ende 2020 hatte er Covid-19. Ein paar Wochen später war er dann wieder fit und bei der Arbeit, aber einige Zeit später merkte er schon nach einer halben Stunde am Schreibtisch: Das hältst du nicht aus. "Long Covid", sagt er. Seit Mai ist er nun nicht mehr arbeiten gewesen, und weil er eigentlich krankgeschrieben ist, soll hier nur sein Vorname stehen. Früher sei er zehn Kilometer täglich laufen gewesen, früher hat er an Karneval in der Lotta leere Gläser eingesammelt. Eine Stunde brauchte er vom einen bis zum anderen Ende der Kneipe, weil es so voll und eng war, ein körperlich anstrengender Job. Undenkbar für ihn heute, auch jetzt noch. Aber es geht ihm besser, allmählich zumindest, auch deshalb hat er sich auf den Karneval gefreut. "Ich habe lange überlegt, ob ich komme", sagt er, und meint den Ukraine-Krieg. Und nun ist er eben hier.

Die Quote der Mitgröler am Tresen steigt minütlich an, während draußen die Kölner Radiosender mit Blick auf die Ukraine schon keine Karnevalslieder mehr spielen. Doch darf man das nicht falsch verstehen: Die Lotta Bar ist durchaus ein politischer Ort. Hinter der Bar kleben Sticker mit linken Sinnsprüchen. "Love Lotta, Hate Racism" . Und: "Kein Wein den Faschisten" . Jahr für Jahr bespricht sich das Kneipenkollektiv, mit welcher Verkleidung man reinkommt und mit welcher nicht. Indianer? Kritisch, aber geht schon. Trump? Da mussten die Trumps, wenn sie einen Mexikaner bestellten, wenigstens zehn Euro zahlen. Halb im Scherz, aber eben auch halb im Ernst. Heute sind es nach gemeinsamer Beratschlagung die Soldaten, die hier nicht hingehören.

DJ Pitter fühlt sich wohl in seiner Verkleidung, weiß aber auch: "Ganz Deutschland ist sauer auf uns." (Foto: Marcel Laskus)

DJ Pitter steht wieder hinterm Tresen. Dass der Rosenmontagsumzug in der Zwischenzeit abgesagt wurde, hat er nicht mitbekommen. Und wenn schon: "Ich wäre sowieso nicht hingegangen." Auf der Online-Plattform Twitch wird DJ Pitters Auftritt per Video live übertragen. 15 Leute schauen zu. Einer schreibt jetzt "Feiern für den Frieden!" Und das ist rührend, weil kein ironischer Smiley dahinter steht, sondern ein unsarkastisches "1000 Dank!". Im nächsten Moment spielt DJ Pitter ein Lied, das ihm besonders wichtig ist. "Mir klääve am Lääve" (Wir kleben am Leben), wieder von Bläck Fööss. "Ein Anti-Kriegs-Lied!", ruft er. Und alle grölen mit.

Die Bierdeckel haben getan, was sie konnten, aber jetzt klebt der Tresen eben trotzdem

Es ist immer kompliziert, wenn eine Krise den Karneval erreicht. Anfang 1991 hatten die Kampfhandlungen zur Befreiung Kuwaits im Zweiten Golfkrieg begonnen, und auch da wurde der Rosenmontagszug abgesagt. Trotz dieser Absage schwappte die Politik dann in den Karneval hinein. Und so kam es am Montag dann doch zu einem Umzug, einem selbst organsierten "Geisterzug" mit mehr politischen Botschaften als sonst, das Motto: "Kamelle statt Bomben". "Nach Bataclan waren die Kneipen am Wochenende danach so voll wie nie", sagt Jan Schneidewind und meint die Angriffe islamistischer Terroristen auf den Pariser Club Bataclan und andere Bars und Kneipen.

Der demonstrative Rausch war auch eine Ansage an den Terror und seine Agenda: Unsere Art zu leben nehmt ihr uns nicht. Jetzt ist es möglicherweise komplizierter. Der Krieg wird andauern, wohl weit über Rosenmontag hinaus. "Aber sollen wir uns von Putin das hier verbieten lassen?", sagt Jan. Er trinkt sein Glas leer und wischt sich den Mund ab. Seine Antwort auf diese Frage ist klar. Für diesen Montag rechnet die Polizei mit mehreren Zehntausend Teilnehmern bei der geplanten Friedensdemo des Kölner Karnevals.

Der Exzess ist systemrelevant, hieß es immer wieder in der Pandemie, und irgendwie klang das immer auch ein bisschen zu pathetisch. Wenn man aber in der Lotta das Bier fließen sieht und die Lust an der Ausgelassenheit von Menschen, die einander einen Moment zuvor eben völlig fremd waren und nun zusammen tanzen ohne jedes Rhythmusgefühl, dann versteht man: Es braucht manchmal den Exzess. Vielleicht gerade jetzt.

Es ist nun Nachmittag geworden, die Bierdeckel haben getan, was sie konnten, aber jetzt klebt der Tresen trotzdem. Ein Mann ohne Kostüm nickt über seinem halbvollen Bier kurz weg, aber richtet sich sogleich wieder auf. Die Tulpen stehen nicht mehr auf dem Tresen, sondern werden nun von einem Mann im schwarzen Anzug verteilt, der auf Nachfrage erklärt, dass er als "Bachelor" verkleidet sei. Und DJ Pitter klingt fast wehmütig, als er sagt: "Der erste Karneval, in dem es hier nicht von der Decke tropft." Kölschgläser werden bestellt und bestellt, aber nicht mehr leer getrunken, weil der Körper keine Flüssigkeit mehr aufnehmen kann. Komplimente werden gemacht und mit Wangenknutschern erwidert. Es bilden sich Kreise, in denen getanzt wird. Sechs Menschen, acht Menschen, zehn Menschen. "Wir sind wer wir sind, wir leben am Rinn ". Und alle singen sie mit.

Drinnen, in der Lotta, gehen die Menschen nun nicht mehr runter von den Bänken

Am frühen Abend dann muss sich Martin von seinen Freunden verabschieden. Händeschütteln, Umarmungen. "Es war viel zu kurz", sagt er. Er sieht erschöpft aus, und gleichzeitig recht nüchtern. Dann versteckt er die rote Zwergenmütze in seinem Rucksack, um bloß nicht aufzufallen, falls ihn, den Krankgeschriebenen, Kollegen auf der Straße sehen.

Drinnen, in der Lotta, gehen die Menschen nun nicht mehr runter von den Bänken. Nur gelegentlich wagt einer einen Blick auf sein Smartphone, auf dem es die Eilmeldungen aus der Ukraine ab und zu durch die dicken Wände schaffen. Aber kaum klickt man sie an, legt sich schon die nächste Hand auf die Schulter, und das Handy verschwindet wieder in der Hosentasche.

DJ Pitter, der nun von einem anderen DJ abgelöst wird, streift seine Jacke über und torkelt nach Hause. Die Frühschicht verabschiedet sich. Am Einlass wird die Schlange nun wieder länger, weil jetzt auch die Menschen kommen, die tagsüber arbeiten mussten. Und der Tresen, der klebt nicht mehr, er schwimmt.

Markus und Hanna Beul haben die Köln- und die Ukraine-Flagge auf ihren Wangen. (Foto: Marcel Laskus)

Noch mit klarem Blick haben es nun auch Hanna und Markus Beul in die Lotta geschafft. Mit Hüten und Umhängen haben sie sich als Zauberer und Zauberin verkleidet, aber es ist etwas anderes, das an ihnen auffällt. Ihre Wangen haben sie gelb und blau bemalt, die Farben der Ukraine, darunter die Flagge von Köln, rot und weiß.

"Den ganzen Tag haben wir überlegt", sagt Hanna Beul. Ob es denn angemessen sei, hierher zu kommen oder nicht, an einem Tag, an dem in Europa der Krieg ausbricht. Die Nachrichten hätten sie im Radio verfolgt. Seit den ersten Eilmeldungen am frühen Morgen bis jetzt. Und dann kamen sie zu dem Entschluss: Den Karneval lassen sie sich nicht nehmen. "Karneval ist politisch", sagt sie.

Und während sie das sagt und dabei durchaus ernst klingt, bekommt sie nicht mit, wie hinter ihr gegen 23 Uhr ein torkelnder Hase und eine torkelnde Katze so wild miteinander knutschen, dass gleich neben ihnen ein Glas auf dem Boden zerbricht. Für einen Moment verschärft sich der glasige Blick von Hase und Katze. Die Scherben, waren wir das? Dann knutschen sie weiter.

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