Köln: Historisches Stadtarchiv eingestürzt:Vermisste und ein Trümmerfeld

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Das "Gedächtnis der Stadt" ist ausgelöscht: In Köln stürzte das Historische Stadtarchiv im Severinsviertel ein. Auch andere Häuser fielen in sich zusammen. Ein Archiv-Mitarbeiter erhebt nun schwere Vorwürfe. Die Zahl der Vermissten hat sich inzwischen verringert - doch Spürhunde schlugen an. Mit Video und Grafik.

Severinsviertel in Köln, Szenen wie aus einem Krieg. Am Dienstagmittag ist das Historische Stadtarchiv in sich zusammengebrochen. Mehrere Leichtverletzte seien den Rettungskräften entgegengekommen, sagt Stephan Neuhoff, Direktor der Kölner Berufsfeuerwehr.

Das Gebäude des Historischen Stadtarchivs in Köln ist in Trümmern. Auch nach Einbruch der Dunkelheit wird nach möglichen Verschütteten gesucht. (Foto: Foto: dpa)

Die Feuerwehr ging zunächst von einem vermissten Ehepaar, dann von neun Vermissten aus. Die Menschen hätten sich möglicherweise in einer Spielhalle und in Wohnungen in einem teilweise eingestürzten Nebengebäude des Archivs aufgehalten, sagte Feuerwehrsprecher Daniel Leupold. Am Abend teilte Polizeisprecherin Cathrin Maus mit, es würden nun nur noch drei Personen gesucht - die anderen hätten sich inzwischen gemeldet.

Ihr Kollege Wolfgang Baldes sagte: "Am Unglückshaus sieht es aus wie nach einem Erdbeben." Die Trümmer bedeckten nach seinen Worten eine Fläche von 50 mal 70 Metern und reichten bis zu einem benachbarten Gymnasium. Doch war der Unterricht dort zum Unglückszeitpunkt schon beendet.

Spürhunde schlagen an

An der Einsturzstelle schlugen am Dienstagabend Spürhunde an. Dies könne ein Hinweis auf Verschüttete sein, sagte ein Sprecher der Feuerwehr. Sollten tatsächlich Menschen verschüttet worden sein, sind ihre Überlebenschancen jedoch gering. "Eine schnelle Rettung ist nicht möglich", sagte Stefan Neuhoff. Es sei unwahrscheinlich, dass sich in dem Schutt Hohlräume befänden. Wegen Einsturzgefahr müsse nun zunächst die Unglücksstelle gesichert werden, wozu 1000 Kubikmeter Beton nötig seien. Mit den Bergungsarbeiten könne nicht vor Mittwoch begonnen werden.

Auch wenn die Rettungskräfte noch von Vermissten ausgehen, gebe es keine konkreten Vermisstenmeldungen, berichtete Feuerwehr-Direktor Neuhoff. Das vermisste Ehepaar könnte sich jedoch in dem Haus befunden haben, so der Feuerwehr-Direktor. Alle Bediensteten und Nutzer des größten kommunalen Archivs nördlich der Alpen hätten das Gebäude jedoch unverletzt verlassen können. Der Einsturz habe sich durch rumpelnde Geräusche angekündigt. Dies habe den Menschen Zeit gegeben, das Gebäude zu räumen.

Ein benachbartes Wohnhaus brach ebenfalls zusammen, und ein viergeschossiges Nachbarhaus mit einer Bäckerei im Erdgeschoss stürzte größtenteils ein. Der Schaden geht in die Millionen. Statiker prüften am Dienstag noch, ob auch noch andere Gebäude einsturzgefährdet waren.

Neuhoff erklärte, in der unmittelbar benachbarten 28 Meter tiefen Baugrube für die U-Bahn-Erweiterung sei wohl eine Öffnung entstanden. In diese Öffnung sei Erde nachgerutscht, und dadurch sei dem Historischen Archiv möglicherweise der Boden entzogen worden. Auch der Projektleiter der Kölner Verkehrsbetriebe für die U-Bahn-Erweiterung, Rolf Papst, sagte, es könne sein, dass die Absackung mit Aushubarbeiten in der Grube zu tun habe. Dort entsteht zurzeit eine Weichenkonstruktion.

Nicht weit vom Unglücksort entfernt hatte sich 2004 der Turm der katholischen Kirche St. Johann Baptist wegen U-Bahn-Bauarbeiten um einen Meter zur Seite geneigt. Wegen Einsturzgefahr mussten damals etwa 70 Anwohner ihre Wohnungen vorübergehend verlassen.

Langjähriger Mitarbeiter: Absehbare Katastrophe

Der langjährige Abteilungsleiter des Archivs, Eberhard Illner, bezeichnete im Deutschlandradio Kultur den Einsturz als absehbare Katastrophe. Es habe klare Warnungen gegeben, sagte Illner. Er selbst habe im vergangenen Sommer Senkungsrisse im Keller des Gebäudes festgestellt und dies auch an die Archivleitung weitergegeben.

Das Volumen des Schadens sei erheblich größer als beim Brand der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek, sagte Illner. "Wir reden hier von ungefähr 18 Regalkilometern wertvollsten Archivgut, und zwar europäischen Ranges." Dazu habe auch ein großes Nachlassarchiv von Schriftstellern und Komponisten sowie ein bedeutendes Architekturarchiv gehört.

Der neue nordrhein-westfälische Bauminister Lutz Lienenkämper kündigte bei einem Besuch an der Unglücksstelle an, das Land werde Hilfe bereitstellen, um die Dokumente zu retten. Wissenschaftler sprachen davon, dass das "Gedächtnis der Stadt" ausgelöscht worden sei.

Das Historische Archiv der Stadt Köln war nach eigenen Angaben das größte kommunale Archiv nördlich der Alpen und umfasst 65.000 Urkunden, 104.000 Karten und Pläne und 50.000 Plakate sowie 500.000 Fotos zu Kölner Ereignissen. Auch der Nachlass des Schriftstellers Heinrich Böll befindet sich in dem Archiv.

Welt.de zitiert einen Benutzer des Archivs, der sich aus dem Gebäude retten konnte: "Ich dachte erst, jemand hätte mit dem Knie gegen meinen Tisch gestoßen. Plötzlich fing alles an zu zittern und zu beben, wie bei einem Erdbeben. Mich hat jemand am Arm gepackt und gesagt: 'raus, raus!'. Daraufhin bin ich sofort losgestürzt und habe noch nicht einmal mehr an meine Sachen gedacht. Ich bin ganz knapp raus gekommen. Hinter mir klappte das Gebäude zusammen. Es waren mit Sicherheit noch Leute drin", berichtet der Historiker.

Auf Seite 2: Wie ein Twitter-Nutzer von seinem Balkon aus das Geschehen schildert

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Auf Twitter berichtet ein Nutzer von seinem Balkon aus: "Loch in der Straße ist so groß, ich habe es zuerst gar nicht registriert, was das war. 14:30 h war alles voll mit Rettungswagen", schreibt er.

Beim Klick auf die Lupe sehen Sie die Vergrößerung der Karte des Einsturzgebiets. (Foto: Grafik: Google Earth/sueddeutsche.de)

Sein Update: "Man hört Presslufthämmer. Vorne wird etwas geschweißt, die Betonpumpe wird anscheinend in Position gefahren, vor der eigentlichen Einsturzstelle." Offenbar werde versucht, die Nebengebäude des Polizeipräsidiums zu stabilisieren, berichtet der Nutzer. "Die scheinen da eine mittlere Jahresproduktion Beton in den Boden zu pumpen", schreibt er um kurz nach 18 Uhr. Etwa eine Stunde später: "Straßenlaternen sind von Waidmarkt bis Severinsbrücke ausgefallen, nicht viel zu sehen - aber immer noch stehen Betonmisch-Laster Schlange".

Das Gebäude ist nach Angaben des Sprechers der Feuerwehr auf eine Straße gestürzt, auf der sich eine U-Bahn-Baustelle befand. In dem Archivgebäude waren vorher Risse festgestellt worden, die mit dem U-Bahn-Bau in Zusammenhang gebracht worden waren. Der Bau der sogenannten Nord-Süd-Bahn hatte schon im Vorfeld für viel Ärger gesorgt.

Durch den Einsturz sei die Decke der U-Bahn-Baustelle eingebrochen. In die U-Bahn-Schächte soll Wasser eingedrungen sein. Ob der Einsturz durch den U-Bahn-Bau ausgelöst wurde, war zunächst unklar. "Mir sind keine Arbeiten bekannt, die das momentan hätten verursachen können", sagte die Sprecherin der Nord-Süd-Stadtbahn, Gudrun Meyer, auf n-tv. Projektleiter Rolf Papst berichtete, es habe in den letzten 30 Tagen keine größeren Tunnelbohrarbeiten gegeben.

"Alles war in dunklem Nebel"

Bei Polizei und Feuerwehr wurde Großalarm ausgelöst. Die Polizei sperrte die Unglücksstelle weiträumig ab. Dutzende Krankenwagen fuhren vor. Ein Augenzeuge berichtet, er sei gerade die Straße hochgegangen, als es einen "Riesenkrach" gegeben habe und eine mehrere Stockwerke hohe Staubwolke aufgestiegen sei.

Der Kölner Stadtanzeiger zitiert Anwohner, die von riesigen Schuttbergen sprachen. "Es hat gerappelt wie bei einem Erdbeben", sagt eine Augenzeugin. Eine Kioskbesitzerin erzählt, sie habe eine riesige Staubwolke gesehen. "Die komplette Kreuzung war in dunklem Nebel. Das sieht hier aus wie am 11. September."

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