Die Verhandlung ist etwa eine Dreiviertelstunde alt, als Karin P. als Zeugin zum ersten Mal wagt, bewusst zu den Angeklagten hinüberzuschauen. Die beiden Algerier Farouk B. und Abderahemane B. erwidern den Blick durchaus neugierig, aber ansonsten recht unemotional. Die 54-jährige Solingerin soll sagen, ob sie einen der beiden wiedererkennt. Sie soll beurteilen, ob einer oder sogar beide in der Silvesternacht dabei gewesen sind, als sie in der Vorhalle des Kölner Hauptbahnhofs von einer etwa zehnköpfigen Gruppe von arabisch oder afrikanisch anmutenden Männern umzingelt, an Gesäß, Hüfte und Brust berührt und dabei offenbar zugleich bestohlen worden ist.
Stille im Gerichtssaal
Als Karin P. am Freitag hinüberschaut zu den beiden, wird es ganz still im Saal 7 des Kölner Amtsgerichts. Die Angestellte nimmt sich Zeit und versucht, sich die Situation und auch die Gesichter aus der besagten Nacht in Erinnerung zu rufen. Doch nach etwa zehn Sekunden absoluter Stille im Gerichtssaal schüttelt sie stumm den Kopf.
1170 Anzeigen sind seit Neujahr bei der Kölner Polizei eingegangen, die meisten wegen Diebstahls, 492 wegen sexueller Übergriffe. Karin P. ist eine dieser Geschädigten. Der 26-jährige Algerier Farouk B. ist der Erste, der nach den Geschehnissen wegen eines sexuellen Übergriffs angeklagt wurde und in Untersuchungshaft gekommen ist. Einige Tage nach Neujahr ist bei ihm nämlich das Handy der Solingerin gefunden worden.
Autoaufbruch gestanden
Wegen eines vermeintlichen sexuellen Übergriffs durch Farouk B., wegen des Diebstahls zweier Handys und eines Portemonnaies sowie wegen eines gemeinsam versuchten Auto-Aufbruchs bereits am 13. Dezember im Kölner Vorort Brühl saßen die beiden algerischen Halbbrüder nach fast viermonatiger Untersuchungshaft am Freitag vor Gericht. Den versuchten Autoaufbruch mittels eines Bügeleisens in Brühl gestanden beide und auch, die betreffenden Handys aus Köln kurz nach Silvester als Diebesgut gekauft zu haben - aber mit den Geschehnissen in der Kölner Bahnhofshalle wollen beide nichts zu tun gehabt haben.
Amtsrichter Frank Altpeter verurteilte Farouk B. und Abderahemane B. schließlich zu je sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls in besonders schwerem Fall und wegen Hehlerei. "Sexuelle Übergriffe und den Diebstahl der Handys konnten wir ihnen aber nicht nachweisen", so der Richter.

Silvesternacht:Übergriffe in Köln: Polizist berichtet von Einflussnahme
Ein Beamter der Landesleitstelle habe gefordert, eine Vergewaltigungsmeldung zu stornieren, sagt ein Kriminalhauptkommissar vor dem Untersuchungsausschuss. Von einem Vertuschungsversuch will er nicht sprechen.
Begrapscht und bestohlen
Gegen 1.30 Uhr in der Silvesternacht habe sie unter der großen Anzeigetafel in der Halle des Hauptbahnhofs gestanden, als die Halle plötzlich sehr voll geworden und sie "von acht bis zehn Männern" eingekreist und sexuell berührt worden sei, berichtete die Solingerin Karin P. - Handy und Portemonnaie seien ihr unbemerkt gestohlen worden. Weil ihr Handy wenige Tage später geortet und bei Farouk B. in einem Flüchtlingsheim in Kerpen bei Köln gefunden wurde, galt er als verdächtig auch für die sexuellen Übergriffe. Vor Gericht ließ der Algerier, erst im November 2015 nach Deutschland gekommen, durch seinen Anwalt verlesen, er habe das Handy wenige Tage nach Neujahr in einem arabischen Café in Köln-Kalk für 20 Euro von einem Tunesier gekauft.
Handy per Tracking-Suche geortet
Abderahemane B., 23, will ein bei ihm in der Kerpener Flüchtlingsunterkunft gefundenes Handy, das im Tumult der Silvesternacht der 51-jährigen Postbotin Konstanze M. aus Köln-Worringen gestohlen worden war, noch in derselben Nacht an den Rheintreppen nahe des Hauptbahnhofs "von einem Bekannten" für eine Anzahlung von 20 Euro bekommen haben. Konstanze M., die nicht sexuell berührt wurde, hatte den Diebstahl zwar erst spät bemerkt, daheim auf dem Laptop aber gleich eine Tracking-Suche nach dem Handy gestartet und dabei auf dem Monitor beobachten können, wie sich das Handy im Laufe der Nacht von Köln nach Kerpen bewegte. Zum Stillstand kam die Bewegung erst in einer Kaserne, in der früher ihr Sohn stationiert gewesen sei und die heute als Flüchtlingsunterkunft dient.
Als auch die Kölnerin am Freitag gefragt wurde, ob sie einen der Angeklagten wiedererkenne, schaute sie nur kurz hinüber und sagte sofort: "Nein."
Aus der Untersuchungs- in die Abschiebehaft
Den Gerichtssaal verließen die beiden Algerier am Freitag strafrechtlich zwar als freie Männer, in Freiheit kamen sie aber dennoch nicht, weil ihre fast viermonatige Untersuchungshaft bereits am Donnerstag in eine Abschiebehaft übergegangen war. Vermutlich binnen weniger Monate droht ihnen jetzt die Ausweisung, womit die Bewährungsstrafe Makulatur wäre. Die Prozesskosten, eine vermutlich niedrige fünfstellige Summe, trägt der Staat.
Richter Altpeter redete den beiden Algeriern zum Ende der Verhandlung ins Gewissen. "Man kann nicht nach Deutschland kommen und schon nach wenigen Tagen versuchen, ein Auto aufzubrechen", sagte er streng. "Wer in Deutschland Asyl will, der muss sich auch entsprechend benehmen."