Köln: Betrug beim U-Bahn-Bau:Verlassen von allen guten Meistern

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Gefälschte Vermessungsprotokolle, geklauter Stahl, zu dünner Beton: Beim Kölner U-Bahn-Bau spricht man von systematischem Betrug.

Johannes Nitschmann

Der Aschermittwochs-Kater wird die Aufsichtsräte der Kölner Verkehrbetriebe (KVB) bereits an diesem Karnevaldienstag überkommen. Seit dem Archiv-Einsturz am 3. März vergangenen Jahres wird das KVB-Aufsichtsgremium zu seiner x-ten Krisensitzung zusammentreten: wegen immer neuer Missstände und Schlampereien bei dem umstrittenen U-Bahn-Bau.

Es ist fast unmöglich, bei dieser Menge Stahl und Beton zu erkennen, wo was fehlt und statisch bedenklich ist: Die Baustelle der Kölner U-Bahn-Haltestelle Heumarkt, aufgenommen am vergangenen Freitag. Knapp ein Jahr nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs haben Stadtverwaltung, Feuerwehr und die Kölner Verkehrs-Betriebe zeitweise die Evakuierung von Teilen der Innenstadt erwogen. (Foto: Foto: ddp)

Bei dem gigantischen Milliarden-Projekt, das auf mehr als vier Kilometern als Nord-Süd-Tangente unterirdisch durch die Kölner Innenstadt vorangetrieben wird, ist eine organisierte Verantwortungslosigkeit offensichtlich, deren Dimensionen und Konsequenzen derzeit niemand so richtig abzuschätzen vermag.

Immer neue Details deuten auf Betrug hin

Es geht um Pfusch am Bau durch kriminelle Machenschaften. Längst sind die Staatsanwälte Stammgäste auf den Kölner U-Bahn-Baustellen. In den letzten Tagen wurden immer neue Details über Manipulationen an den U-Bahn-Baugewerken aufgedeckt, die auf organisierten Betrug hindeuten.

Für die sogenannten Schlitzwandlamellen an den drei Baugruben am Heumarkt, am Rathaus und am Waidmarkt sollen die Ermittler inzwischen auf 28 gefälschte Vermessungs-Protokolle gestoßen sein. Offenbar wurde bei etlichen dieser Schlitzwände deutlich weniger Beton verbaut als die Protokolle dies vorgeben. "Die Werte von Lamellen, die lediglich 2,80 Meter breit sind, wurden auf 3,60 breite Lamellen übertragen und rechnerisch angepasst", zitiert der Kölner Stadt-Anzeiger einen Insider.

Ein unabsichtliches Verwechseln oder Vertauschen der Bauprotokolle schließen Experten aus. Der Betonguss einer Schlitzwand-Lamelle, die das Eindringen von Grundwasser in die Baugrube verhindern soll, wird mit der Präzision eines genetischen Fingerabdrucks dokumentiert. Jede Lamelle müsste demnach ein eigenes Bauprotokoll haben. Doch die Fahnder entdeckten, dass für unterschiedliche Bauwerke Protokolle mit identischen Daten vorliegen.

Ursprünglich war die Schlitzwand-Lamelle 11 in der U-Bahn-Baugrube am Kölner Waidmarkt ins Visier der Ermittler geraten. Von der Staatsanwaltschaft bestellte Gutachter vermuten ein Loch in dem 3,40 Meter breiten Abschnitt der Schlitzwand, durch das Anfang vergangenen Jahres womöglich große Grundwassermengen in die Baugrube einströmten.

Dies wiederum könnte am 3. März 2009 der Auslöser für den Einsturz des Historischen Kölner Stadtarchivs und zweier Nachbargebäude gewesen sein, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen. Der Sachschaden wird auf etwa eine Milliarde Euro geschätzt.

Ermittler sprechen von "systematischer Fälschung"

Nach den jüngsten Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft sollen aber nicht nur auf der U-Bahn-Baustelle am Waidmarkt Protokolle gefälscht worden sein. Laut Kölner Stadt-Anzeiger liegen den Ermittlern derzeit falsche Vermessungsprotokolle für 28 Schlitzwandabschnitte vor.

Insgesamt gibt es beim Kölner U-Bahn-Bau mehr als 1000 solcher Protokolle, die längst noch nicht alle überprüft sind. Offenbar gehen die Fahnder davon aus, dass sie in den nächsten Wochen weitere gefälschte Bauprotokolle entdecken werden. "Für uns sieht das nach einer systematischen Fälschung aus", sagte einer der Ermittler.

Eine Verbindung zwischen manipulierten Bauprotokollen und etwaigen Ursachen für den Archiveinsturz hält der Kölner Oberstaatsanwalt Günther Feld gegenwärtig für "reine Spekulation".

Es gebe noch keine belastbaren Erkenntnisse. "Die können wir auch nicht haben, weil die Schadensstelle noch gar nicht zugänglich ist", so Feld. Es werde noch Monate dauern bis die überflutete Baugrube für Ermittler und Gutachter zugänglich sei.

An den Schrotthändler verhökert

Die Stadtverwaltung will an der Unglückstelle für mehre Millionen Euro einen Besichtigungsschacht bauen, von dem aus das in etwa 30 Meter Tiefe vermutete Schlitzwand-Loch von Sachverständigen begutachtet werden kann.

Die jüngsten Enthüllungen über systematische Betrügereien beim Kölner U-Bahn-Bau haben auch Nordrhein-Westfalens Bauminister Lutz Lienenkämper (CDU) alarmiert. Es gebe hier "hochkriminelle Vorgänge", die dringend aufgeklärt werden müssten.

Vor wenigen Tagen hatte ein Zeuge bei der Kölner Staatsanwaltschaft ausgesagt, dass in den Schlitzwänden nur "jeder zweite oder dritte Stahlbügel" zur Stabilisierung einbetoniert worden sei. Etliche Tonnen Stahlbügel sollen von einem korrupten Polier an Schrotthändler verhökert worden sein.

Als der Bauherr, die Kölner Verkehrs-Betriebe, aufgrund dieser Zeugenaussage am vergangenen Mittwoch eine Schlitzwand in der Grube am Kölner Heumarkt aufschlagen ließ, fanden die Experten dort tatsächlich nur 17 Prozent der notwendigen Eisenbügel.

Danach diskutierten Rathausspitze und KVB-Führung inmitten des Altweiberfastnacht-Trubels stundenlang, was in dieser Krise am besten zu tun sei. Zeitweise wurden eine großräumige Evakuierung des Gebiets um den Waidmarkt und eine Umleitung des Rosenmontagzugs erwogen. Dann jedoch gaben Statiker Entwarnung. Bei den unzureichend stabilisierten Schlitzwänden bestehe keine Einsturzgefahr, weil inzwischen weitere durchgeführte Betonarbeiten in den kritischen Baugruben für zusätzliche Stabilität sorgten.

Hektisch legte der KVB-Vorstand eine zweiseitige Chronologie vor, in dem der U-Bahn-Bauherr sein Bemühen um "schnelle Aufklärung" und "höchstmögliche Sicherheit" dokumentiert. Die aufgebrachten KVB-Aufsichtsräte werden sich in ihrer Krisensitzung an diesem Dienstag damit kaum abspeisen lassen.

© SZ vom 16.2. 2010/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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