Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:Klimaschutz kann auch schmecken

Ohne Bevormundung und ohne schlechtes Gewissen zum Dessert: Immer mehr Gäste zeigen sich aufgeschlossen, im Lokal klimafreundlich zu bestellen.

Von Marten Rolff

Als kurz vor Beginn der Pandemie in London das Restaurant "Silo" eröffnete, wurde es von vielen als nachhaltigstes Restaurant Europas gefeiert. Die Küche arbeitet in Kreisläufen, Reste werden verwertet, Möbel sind recycelt: Das Gourmetlokal galt bald als Speerspitze der Zero-Waste-Bewegung. Weniger Lebensmittel wegzuwerfen, ist neben dem Fleischverzicht eine Säule für eine klimafreundliche Gastronomie. Eine Priorität, die nicht durchweg auf Gegenliebe stößt. Die Restaurantkritikerin des Guardian beschrieb die sechs Gänge im Silo als Martyrium zur Schau gestellter Heiligkeit, bei Nichtgefallen gebe es das schlechte Gewissen als Dessert, "da macht es mehr Spaß, in einem Luftschutzkeller eine Dose Corned Beef zu löffeln".

Moralischer Rigorismus und Bevormundung sind gängige Vorwürfe an die nachhaltige Gastronomie. Sie ändern aber nichts daran, dass sich immer mehr Gäste aufgeschlossen zeigen, im Lokal klimafreundlich zu bestellen. Das legt auch eine Studie der Universität Würzburg nahe, die 265 Probanden aus - zum Teil präparierten - Speisekarten von neun Restaurants Gerichte auswählen ließ. Ergebnis: Die Teilnehmer bestellten dann nachhaltiger, wenn Zutaten oder Beilagen entsprechend den Treibhausgas-Emissionen, die sie verursachen, gekennzeichnet waren, etwa bei Salaten mit Rind (hoch), Geflügel (mittel) oder Falafel (niedrig). Auch war es förderlich, wenn die ökologische Variante eines Gerichts als "Standard des Hauses" verkauft wurde. Nach dem Motto: Wenn viele Gäste hier den Veggie-Burger wählen, dann probiere ich den auch. Die Würzburger Psychologen glauben: "Restaurants können Gästen dabei helfen, ihren CO₂-Fußabdruck durch die Wahl der Gerichte zu reduzieren." Nicht unerheblich, wenn man bedenkt, dass Menschen in Industrieländern extrem häufig essen gehen und der Anteil der durch die Ernährung verursachten Treibhausgase dort bei 15 Prozent liegt.

Auch der Mathematiker und Klimaaktivist Manuel Klarmann sieht einen Trend zu einer besseren CO₂-Bilanz der Gastronomie. Wenn selbst Großkantinen von Autobauern bei ihm Beratung suchten, dann zeige sich, "dass etwas in Bewegung ist", sagt er. Mit seinem Schweizer Start-up Eaternity wertet der Wissenschaftler seit fast 15 Jahren enorme Datenmengen aus Landwirtschaft, Industrie und Meteorologie aus; so kann er den CO₂-Fußabdruck von Lebensmitteln genau berechnen, ob türkische Paprika, deutsche Fertigpizza oder texanisches Steak. Klarmann berät Köche und er organisierte ein zweimonatiges Forschungsprojekt mit sechs Kantinen. Über Stellschrauben wie Energiesparen, Produkteinkauf, Kennzeichnung von Gerichten oder Gesprächen mit Gästen gelang es, die Emissionen der Treibhausgase dort um knapp 20 Prozent zu reduzieren, ein Jahr nach dem Versuch lagen die Einsparungen noch bei knapp zehn Prozent.

Allerdings gibt der Mathematiker zu bedenken, dass es darauf ankomme, wie ein Lokal das Thema verkauft. Bevormundung sei kontraproduktiv. Die Wahl von Gerichten, die im Versuch als besonders klimafreundlich gekennzeichnet waren, machte nur etwa fünf Prozent der Einsparungen aus. Fazit: Der Gast ist sehr wohl bereit, fürs Klima umzudenken. Er hält nur gern an der Illusion fest, das selbst entschieden zu haben.

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