Kleidung:Chinesischer Hilferuf aus der Primark-Socke

Hilferuf in Primark-Socke China

"An jeden der Gerechtigkeit unterstützt": Dieser Screenshot verbreitet sich derzeit über die sozialen Netzwerke.

(Foto: Screenshot von Lucy Kirks Facebook-Seite)

Es ist nicht das erste Mal, dass ein solcher Zettel gefunden wurde. Doch diesmal stimmt die Geschichte - zumindest teilweise.

Von Kai Strittmatter und Barbara Vorsamer

Nikolaus ist gerade vorbei, Weihnachten kommt bald. In Socken befindet sich zurzeit also alles Mögliche, Schokolade zum Beispiel oder Geschenke. Lucy Kirk aus dem englischen Leeds fand in ihren neuen Strümpfen von Primark etwas anderes: einen Zettel mit chinesischen Schriftzeichen.

Vielleicht ein Hilferuf? Schon häufiger haben Kunden der irischen Billigkette Botschaften zwischen ihren Einkäufen gefunden, die von entwürdigenden Zuständen in Fabriken sowie Zwangsarbeit in einem chinesischen Gefängnis berichteten. Primark bezeichnete sie jeweils als Fälschungen und vermutlich stammten die Zettel tatsächlich von Aktivisten, die auf die katastrophalen Bedingungen aufmerksam machen wollten, unter denen die Kleidungsstücke hergestellt werden.

Die Schülerin Lucy Kirk wollte wissen, was sie da gefunden hatte und postete ein Bild des Schriftstücks öffentlich auf Facebook mit der Bitte, es zu übersetzen. Mehrere Menschen mit Chinesischkenntnissen halfen und kurze Zeit später stand die übersetzte Nachricht online. Sie beginnt mit "Mein Name ist Ting Kun Ding, ein 39-jähriger Mann aus der Provinz Anhui" und geht weiter mit gravierenden Vorwürfen. Weil er auf die Korruption der lokalen Verwaltung aufmerksam gemacht hätte, sei er entführt und ins Gefängnis gesteckt worden, erzählt der angebliche Ting Kun Ding, seine Frau sei in die Psychiatrie gesteckt und sein Vater in einem Krankenhaus ermordet worden. Weiter geht es mit Vorwürfen, dass die chinesischen Lokalverwaltungen extrem korrupt seien, Unschuldige verhafteten und sich gegen die politischen Prinzipien der chinesischen Regierung unter Präsident Xi Jinping stellten. Zudem enthält die Nachricht eine Telefonnummer, die Ting Kun Dings Bruder gehören soll.

Inzwischen wurden Foto und Übersetzung der Nachricht über Facebook, Twitter, Reddit und diverse andere Netzwerke mit dem Hashtag #helptingkunding mehrere hundert Mal geteilt, die meisten Nutzer solidarisieren sich und greifen Primark an - doch manche fragen auch kritisch: Wer weiß, ob das alles stimmt?

Parteisekretär bestätigt: Ting Kun Ding ist im Gefängnis

Ob die ganze Geschichte wahr ist, ist noch unklar. Doch dass es sich wieder um eine PR-Aktion von Aktivisten handelt, scheint unwahrscheinlich. Zumindest existiert Ting Kun Ding wirklich. Der Parteisekretär des Dorfes Shatan in der Provinz Anhui bestätigte seine Existenz im Telefongespräch mit der SZ. Er befinde sich derzeit tatsächlich im Untersuchungsgefängnis von Lingbi, hieß es.

Den Angaben zufolge hatte Ting Kun Ding auch tatsächlich mehrmals in Peking gegen Ungerechtigkeiten protestiert, die ihm offenbar an seinem Arbeitsplatz in der Provinz Jiangsu geschehen waren. Die lokale Regierung habe ihm 50 000 Yuan (circa 7000 Euro) geboten, damit er aufhöre, "für Unruhe zu sorgen", sagte der Parteisekretär. Doch er habe das Geld genommen und sei trotzdem immer wieder nach Peking gefahren.

Auch dass der Vater des Mannes 2014 im Krankenhaus verstorben sei, bestätigte der Parteisekretär, gab aber als Grund eine Krankheit an. Ähnlich sind die Informationen zur Ehefrau. Sie sei seit mehreren Jahren psychisch krank, sagte der Parteisekretär, und in einer psychiatrischen Anstalt gewesen. Eine Zwangseinweisung habe es jedoch nie gegeben.

Auch Blogs und Profile könnten gefälscht sein

Die Telefonnummer seines Bruders, die auf dem Zettel angegeben ist, existiert nicht oder wurde abgeschaltet. Es gibt außerdem einen Blogeintrag, den Ting Kun Ding offenbar selbst verfasst hat. Darin ist von einer Vergewaltigung die Rede, die dann angeblich vertuscht wurde von Polizisten, die bestochen worden seien. Die Namen der Polizisten werden in dem Beitrag genannt.

Nun ist nichts davon ein Beweis dafür, dass die ganze Geschichte stimmt. Der Blogbeitrag kann ein Fake sein, der Zettel kann ein Fake sein, vielleicht haben sich Aktivisten diesmal nur deutlich cleverer angestellt als bei der Aktion im Sommer 2014. Doch zumindest die bisher bekannten Fakten passen zusammen.

Lucy Kirk, die Finderin der Nachricht, bezeichnet sich im Telefongespräch mit der SZ als 16-jährige Schülerin aus Leeds und alle öffentlich einsehbaren Profile in sozialen Netzwerken passen zu dieser Behauptung. Zur Politik in China oder Produktionsbedingungen in der Textilindustrie äußert sie sich nicht. Sie betont zudem, dass sie keine Ahnung habe, ob der Hilferuf authentisch sei. Sie habe ihn lediglich fotografiert und gepostet. Alle weiteren Entwicklungen hätten ohne sie stattgefunden.

Primark immer wieder in der Kritik

Primark hat Lucy Kirk auf Twitter nach Details zum gekauften Produkt gefragt, angeblich um weiter nachforschen zu können. "Sie wollten die Artikelnummer wissen", sagte die Schülerin. "Aber ich habe die Packung nicht mehr - und selbst wenn ich sie hätte, ich glaube nicht, dass ich sie ihnen geben sollte. Wer weiß, was dann passiert?" Auf eine Anfrage der SZ hat Primark bislang nicht reagiert.

Das Unternehmen steht immer wieder in der Kritik. Die irische Textilkette verkauft ihre Produkte so günstig, dass ihre Herstellung gar nicht möglich ist, ohne Menschen auszubeuten und die Umwelt zu schädigen. Als 2013 in der Stadt Sabhar in Bangladesh mehr als 1100 Textilarbeiterinnen starben, wurde unter anderem Primark dafür verantwortlich gemacht, weil die Kette auch dort so billig wie möglich produzieren ließ. Das Unternehmen zahlte neun Millionen Dollar an die Familien der Opfer.

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