Süddeutsche Zeitung

Klatsch:Merkels Mutti

Hat sie? Oder hat sie nicht? Eine knallbunte Wochenpostille behauptet, das erste Interview mit Herlind Kasner bekommen zu haben und zitiert sie in fetten Lettern. Nie gehört, den Namen? Herlinde Kasner ist die Mutter der Bundeskanzlerin.

Von Martin Zips

Arme Herlind Kasner. Andere berühmte Zeitgeister hatten sich meist sehr gut überlegt, wem sie ihr lang ersehntes Interview gaben. Uli Hoeneß über schlaflose Nächte im Knast; Karl-Theodor zu Guttenberg über sein Leben nach dem Rücktritt; Papst Franziskus darüber, dass er noch nie in Augsburg war; derlei landete meist groß auf der Titelseite. Frau Kasner jedoch wird auf dem Cover einer knallbunten Hamburger Wochenpostille nur der Platz neben Jenny Elvers, Sylvie Meis und Helene Fischer eingeräumt. Die viel zu kleine Nachricht daneben: "Exklusiv. Mega-Zoff. Merkels Mutter geht auf Trump los." Was soll man da sagen? Unterverkauft.

Zwei Euro später landet der Leser auf Seite 36 des Hefts, wo nun von einem Gespräch die Rede ist, in dem Frau Kasner, 88, "zum Rundumschlag" aushole. Sie sei nämlich "wütend". Den verweigerten Händedruck des US-Präsidenten bei einem Fototermin mit ihrer Tochter finde sie "unmöglich" und überhaupt: "Der Herr Trump sollte doch lieber in einer Micky-Maus-Verfilmung mitspielen." Immerhin: Der letzte Satz ist ein bisschen fetter gedruckt als die anderen Sätze. Damit man ihn nicht überliest. Im Laufe des Erscheinungstages taucht das Zitat dann überall im Netz auf. In der Schweiz, in Serbien. Logisch, denn Herlind Kasner hat noch nie ein Interview gegeben.

Auf einer Internetseite der Kreisvolkshochschule Uckermark erfährt man mehr über Frau Kasner: dass sie 1928 geboren wurde und jetzt Lehrerin im Ruhestand ist. Dass sie 1954 das Staatsexamen gemacht hat und seit 1989 Englischkurse an der VHS Templin gibt. Immer zweimal die Woche. Weitere Recherchen ergeben: Kasner hat vor neun Jahren einmal den "Ehrenpreis des Deutschen Weiterbildungstages" erhalten und saß während der dritten Vereidigung ihrer Tochter Angela zur Bundeskanzlerin auf der Zuschauertribüne.

Ein Interview mit dieser Frau zum Thema Trump zu bekommen, das muss sich anfühlen, wie von Obama zum Surfen eingeladen zu werden. Oder von Ursula Steinmeier zum Kaffee. Oder vom Papst nach Augsburg. Wahnsinn. Wie schade, dass Autoren und die Chefredaktion ausgerechnet an diesem Tag nicht erreichbar sind.

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Quelle:
SZ vom 30.03.2017
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