Katholische Kirche:Gutachten zu Missbrauchsvorwürfen bleibt unter Verschluss

Kardinal Woelki und Erzbischof Heße

Stefan Heße (links), Erzbischof von Hamburg, im Gespräch mit Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Kölns Kardinal Woelki will Studie zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nicht veröffentlichen. Grund dafür seien methodische Mängel.

Von Matthias Drobinski und Annette Zoch

Es sollte die erste große Studie werden zum Umgang von Verantwortungsträgern mit Missbrauchsvorwürfen gegen Priester. Doch das Vorhaben ist gescheitert: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki will das von ihm in Auftrag gegebene Gutachten der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl nicht veröffentlichen. Dies erklärte das Erzbistum am Freitagnachmittag. Der Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln stehe hinter dieser Entscheidung, hieß es in einer Presseerklärung des Erzbistums und dieses Beirats.

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung hatte Woelki im Februar angekündigt, dass eine Münchner Anwaltskanzlei die Akten des Erzbistums mit Blick auf die Verantwortlichen durchforste. Im März wolle man das Gutachten vorstellen, er kenne es auch noch nicht. Wenige Tage vor dieser Pressekonferenz ließ Woelki sie dann aber überraschend absagen, offenbar auf Intervention von im Gutachten genannten Personen.

Unter anderem sah sich Hamburgs Erzbischof Heße zu Unrecht kritisiert

Unter anderem hatte der Justiziar des Erzbistums Hamburg, dem Stefan Heße vorsteht, Verstöße gegen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte moniert. Der gebürtige Kölner Heße war vor seiner Zeit als Hamburger Erzbischof zunächst Personalchef und später Generalvikar in Köln. Wie im September durchsickerte, wirft die Münchner Kanzlei ihm unter anderem "regelmäßig wiederkehrende, durchgängig festzustellende Mängel in der Sachbehandlung von Missbrauchsfällen" vor, "basierend auf einer indifferenten, von fehlendem Problembewusstsein geprägten Haltung des Dr. Heße gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker". Heße wies die Vorwürfe zurück: "Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, um jedem Fall gerecht zu werden", sagte er im September in einem Interview mit der Zeit-Beilage "Christ & Welt".

Heße scheint nicht der einzige frühere Verantwortliche zu sein, der von der Kanzlei schwer belastet wird. Nach SZ-Informationen wird auch Kritik an den früheren Kardinälen Joseph Höffner und Joachim Meisner, am ehemaligen Generalvikar Norbert Feldhoff und seinem Nachfolger Dominikus Schwaderlapp geübt.

Doch das alles soll nun nicht öffentlich werden. "Die Münchener Kanzlei ist wiederholt an ihrem Versprechen und am Anspruch der Betroffenen sowie des Erzbistums gescheitert, eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und persönlichen Verantwortlichkeiten in Form eines rechtssicheren und belastbaren Gutachtens zu erreichen und einen zur Veröffentlichung geeigneten Bericht zu erstellen", heißt es in der Presseerklärung.

Eine andere Kanzlei soll nun "eine vollständige Neufassung der Untersuchung" vornehmen

Bitten um Nachbesserungen seien entweder nicht umgesetzt worden oder "blieben deutlich hinter den Maßnahmen zurück". Das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl sei von den Richtern Franz Streng und Matthias Jahn vom Oberlandesgericht Frankfurt überprüft worden. Die Richter hätten dem Gutachten "durchgreifende methodische Mängel" vorgeworfen.

Ihre Ergebnisse könnten jederzeit veröffentlicht werden, teilte hingegen die Münchner Kanzlei am Freitagabend mit. Westpfahl Spilker Wastl sei jederzeit bereit gewesen, die angeblichen äußerungsrechtlichen Bedenken zu prüfen und gegebenenfalls zu berücksichtigen. Die Ausführungen dazu von der vom Erzbistum beauftragten Kanzlei seien Westpfahl Spilker Wastl erst heute übermittelt worden, ebenso ein Gutachten zu den methodischen Standards.

Woelki hat zwischenzeitlich den Kölner Strafverteidiger Björn Gercke mit einer "vollständigen Neufassung der Untersuchung" beauftragt. Dieses soll bis zum 18. März 2021 veröffentlicht werden. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller nannte die Entscheidung Woelkis einen "Super-GAU für das Erzbistum und alle involvierten Beteiligten" und sagte: "Auf dem Rücken der Opfer werden gutachterliche Fechtereien inszeniert, die die Aufklärung von Verantwortlichkeit im Erzbistum Köln verschleppen und verzögern." Es sei ein "bitterer Tag für die Opfer".

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