Kindesmissbrauch:Wenn Kleinkinder zu Zeugen werden

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  • In Großbritannien machen Ermittlungen in Missbrauchsfällen und Sexualdelikten mittlerweile mehr als 20 Prozent der Fälle der Generalstaatsanwaltschaft aus.
  • Um Täter zu überführen und zu verurteilen, gehen Polizei und Gerichte ungewöhnliche Wege.
  • In einem Verfahren gegen einen mutmaßlichen Kinderschänder hatten Kinderpsychologen ein gerade mal zweijähriges Mädchen befragt.

Von Cathrin Kahlweit, London

Der Fall des kleinen Mädchens, dessen Foto vor wenigen Tagen vom Bundeskriminalamt veröffentlicht worden war, um seinen Vergewaltiger zu finden, hat nicht nur in Deutschland Schlagzeilen gemacht. Berichtet wurde darüber auch in Großbritannien - und ebenso über den schnellen Fahndungserfolg.

Kindesmissbrauch ist auch im Königreich ein trauriges Dauerthema; erst Anfang dieser Woche hatte die Generalstaatsanwaltschaft die Öffentlichkeit darüber informiert, dass Ermittlungen in Missbrauchsfällen und Sexualdelikten mittlerweile mehr als 20 Prozent ihrer Fälle ausmachten und die Kronanwälte aufgrund der explosiv zunehmenden Anzahl von Verfahren mit der Arbeit nicht mehr hinterherkämen. Die Zahl der Fälle sei in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. Auch die Zahl der Urteile sei seit 2015 um knapp 20 Prozent gestiegen.

Welche teils ungewöhnlichen Wege Polizei und Gerichte auch in Großbritannien gehen, um Täter zu überführen und zu verurteilen, hat nun ein Fall gezeigt, der am Dienstag bekannt wurde. In einem Verfahren gegen einen mutmaßlichen Kinderschänder hatten Kinderpsychologen und Polizeiexperten ein gerade mal zweijähriges Mädchen befragt, das damit wohl die jüngste Zeugin in einem Missbrauchsverfahren sein dürfte. Der Angeklagte hatte seine Schuld eingeräumt, sodass es nicht mehr zu einer Verhandlung kam. Er wurde zu zehn Jahren verurteilt.

Einfache "Wer", "Was" und "Wo"-Fragen

Die NSPCC (Nationale Gesellschaft für die Verhinderung von Gewalt gegen Kinder) hält den Fall deshalb für besonders wichtig, weil Täter erkennen müssten, dass auch besonders junge Opfer keine Gewähr dafür böten, dass ihre Misshandler davonkämen. Das gelte auch für Kleinkinder, die kaum sprechen könnten. Dem schloss sich auch eine renommierte Gerichtsgutachterin an: "Täter mögen die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft ins Visier nehmen und glauben, diese könnten nicht für sich selbst sprechen." Das sei ein Irrtum.

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In diesem Fall hatten die Psychologen das Kind mit einfachen "Wer?", "Was?" und "Wo?"-Fragen sowie mithilfe von Papierfiguren und Zeichnungen befragt, auf denen es Körperteile zeigen konnte. Das Mädchen war anfangs offenbar stark verängstigt gewesen und habe sich panisch an seine Eltern geklammert, berichtet der Guardian, so dass die Experten Probleme hatten, eine Speichelprobe zu nehmen.

Das Kind hatte Angst vor dem Mediziner mit blauen Handschuhen, der diese Probe hätte nehmen sollen. Nachdem aber alle Erwachsenen blaue Gummihandschuhe angezogen und eine Weile mit dem Kind gespielt hätten, habe sich die Panik gelegt. Das Mädchen sei "unbeschreiblich mutig" gewesen, hieß es hinterher. Es habe bewiesen, dass auch Kleinkinder verlässliche Zeugen sein könnten.

Die Ermittler hatten das ungewöhnliche Vorgehen, ein so kleines Kind zur Zeugin zu machen, damit begründet, dass der Täter schon zuvor seine Schuld generell eingeräumt habe. Außerdem habe man zum Schutz des Opfers weder dessen Namen noch den Namen des Mannes bekannt gegeben. Der jüngste, zuvor bekannte Zeuge in einem britischen Kindesmissbrauchs-Verfahren war bis dato ein vierjähriger Junge gewesen, der den Beamten seinen Täter gezeigt und damit einer Verurteilung zugeführt hatte.

In einem anderen, besonders ungewöhnlichen Fall hatte ein früherer Chorsänger, der als Junge missbraucht worden war und als Erwachsener an der Nervenkrankheit ALS litt, seine Aussage wegen eines zurückliegenden Missbrauchs abgeben können, indem seine Augenbewegungen mit einer Spezialtechnik in Worte übersetzt wurden.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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