Süddeutsche Zeitung

Kinderpornografie:"Am schlimmsten ist es, wenn die Kinder lächeln"

Stephanie Tittlus ermittelt in der Kinderporno-Szene. Jeden Tag klickt die 28-Jährige sich durch verstörende Bilder. Wie hält sie das aus?

Von Ronen Steinke

Am schlimmsten ist es, wenn Kinder lächeln. Wenn es aussieht, als empfänden sie Freude, sagt Stephanie Tittlus. Sie ist 28 Jahre alt, arbeitet seit dreieinhalb Jahren als Kriminalkommissarin im niedersächsischen Salzgitter, und sie gehört einer Gruppe von Ermittlern an, die jeden Tag kinderpornografische Bilder und Videos sichten müssen.

Dass Kinder lächeln, komme sogar recht oft vor. Teils liege es wohl daran, dass die Opfer nicht verstehen, was mit ihnen geschieht. Beim sogenannten Posing zum Beispiel. "Die Mädchen, fünf oder sechs Jahre alt, werden aufgehübscht, sind sehr leicht bekleidet, manchmal nackt. Und posieren wie kleine Supermodels." Vielleicht macht ihnen das sogar wirklich Spaß, sagt Stephanie Tittlus, sie ahnen ja nicht, wohin die Kamera gerade zoomt und was für Gedanken sich die Männer dabei machen.

Teils liegt es wohl auch daran, dass die Opfer schon seit früher Kindheit missbraucht worden sind. Dass sie nie etwas anderes kennengelernt haben, dass sie also - schreckliches Fachwort - "dressiert" worden sind, wie die Ermittlerin sagt. Wenn ein Kind schon im Alter von einem Jahr begonnen hat, Dinge tun zu müssen, dann geht es damit anders um. Dann ist das in seiner kindlichen Welt normal.

Und das sei schwerer zu ertragen als selbst die harten Gewaltszenen, die immer wieder dabei seien in den Videos, findet Stephanie Tittlus. Szenen, in denen Kinder weinen, in denen geprügelt, festgehalten, gefesselt wird. Szenen, bei denen sie und ihre Kollegen Kopfhörer tragen, weil sonst Schreie durch die Gänge hallen und die anderen Kollegen stören würden.

Das lächelnde Kind: Kriminalisten vermuten, dass die meisten der sogenannten Kernpädophilen im Netz eine Illusion suchen - die Illusion, Kinder wollten das. Offen sadistische Kinderporno-Kunden, die Tränen sehen wollen, sind seltener. Irritierend: Wenn ein Kind lacht, löst das psychologisch etwas aus im Betrachter, auch in einer Polizistin. Dieser kurzen Freude könne man sich vor dem Bildschirm schwer entziehen, sagt die Ermittlerin. Aber dabei breche jedes Mal eine Welt zusammen, fast nichts sei doch verstörender: "Weil das alles so wahnsinnig verkehrt ist."

Mehrere Hundert Bilder und Videos betrachtet die 28-Jährige an manchen Tagen. So wie sie arbeiten inzwischen Hunderte Beamte in allen Bundesländern, überall sind die Kinderporno-Einheiten aufgestockt worden in den vergangenen zwei, drei Jahren. Weil die Datenmengen in die Höhe geschossen sind, seitdem vor allem amerikanische Internet-Provider jeden Verdachtsfall melden. Die Justiz verlangt, dass die Ermittler jedes Video bis zum Ende ansehen. Nichts darf über den Daumen gepeilt oder übersehen werden. Läuft im Hintergrund ein Fernseher, der den Tatzeitpunkt verrät? War der Täter unvorsichtig, spiegelt sich sein Gesicht in einem Fenster? Dann kann man ihn womöglich überführen.

Wenn Menschen Bilder von Gewalt sehen, dann werden Gehirnareale aktiv, die auch für das Empfinden realer Gewalt zuständig sind, sagt die Polizeipsychologin Gerlind Kirchhof, die mehr als 280 Kinderporno-Ermittler in Niedersachsen anonym befragt hat. "Der Betrachter versetzt sich kurz selbst in die Perspektive des Kindes - sowie, und das ist fast noch gruseliger, in die Perspektive des Täters, der da vergewaltigt oder missbraucht. Das ist ein psychologisch normaler Mechanismus. Sonst würden wir nicht verstehen, was auf diesen Bildern geschieht." Das sei das besonders Belastende an dieser Arbeit: Die meisten Ermittler kämen an einen Tatort erst, wenn alles vorbei ist. Hier würden sie dagegen Zeugen der Tat, immer wieder, stundenlang, tagelang.

Stephanie Tittlus blickt jeden Morgen auf Hunderte briefmarkengroße Vorschau-Bildchen, sie muss jedes anklicken und kategorisieren. Kinderpornografie, Jugendpornografie, Tierpornografie oder zwischendurch legale Pornografie, weil die Dateien gemischt sind. Auch legale Pornos müssen durchgesehen werden, es kommt vor, dass Täter eine Kinderporno-Sequenz in die Filme hineinschneiden, um sie zu verstecken.

Mit der Zeit bekommt man einen professionellen Blick, blendet Dinge aus, trotzdem erzählt die 28-Jährige von der Wut, die regelmäßig in ihr hochkomme. Und von der Befriedigung, wenn sie Hinweise entdeckt, die zum Täter führen. Wenn es nicht mehr auszuhalten ist, gehen die Ermittler an die frische Luft. Oder sie teilen sich das Grauen in Portionen ein. Erst nur das Videobild. Dann nur den Ton.

"Ich glaube schon, dass es ein Einschnitt in meinem Leben ist", vertraute eine Ermittlerin anonym der Psychologin Kirchhof an. "Dass es mein Leben, ich sage: ein Stück weit unliebenswerter macht." Dennoch sei sie bereit, diesen Preis zu zahlen. Viele jüngere Beamte melden sich freiwillig für diese Arbeit, auch viele Frauen. "Bei meiner Abteilung gibt es nur zwei Möglichkeiten", hat einmal Matthias Wenz gesagt, der stellvertretende Leiter des Referats Sexualdelikte gegen Kinder und Jugendliche beim Bundeskriminalamt. "Entweder man findet diesen Job unerträglich. Oder man will unbedingt dort arbeiten, um so viele Täter wie möglich zu finden."

Die Psychologin Kirchhof durfte die Ergebnisse ihrer Studie nicht veröffentlichen. Was sie verrät, lässt die Ausmaße der Belastung aber erahnen: 19 Prozent der Befragten sagten, ihre Arbeit mit Kinderpornografie belaste ihre Partnerschaft. 13 Prozent sagten, ihre Sexualität habe sich verändert. Wer spricht schon offen über so etwas, sagt Kirchhof. Die Zahlen dürften nur einen Teil der Wahrheit zeigen.

Acht Jahre lang hatte eine Ermittlerin in Niedersachsen Kinderpornos gesichtet, da erzählte sie der Psychologin, was sie am meisten beunruhige: dass sie sich allmählich gewöhne. An die Perspektive der Täter. "Weil man anfängt, diesen Menschen zu verstehen. Wie er tickt. Das ist wie ein Virus. Dieser Gedanke ist dann in einem selber halt. Und wenn man in irgendwelchen Situationen mit Kindern zusammen ist, fängt man an zu überlegen und denkt... das ist jetzt... was mache ich jetzt hier."

Beim Bundeskriminalamt haben sie sogar erlebt, wie ein Polizist selbst unter die Käufer solchen Materials gegangen ist. Im Januar 2012 war das, als eine junge Sachbearbeiterin eine Computer-Liste mit etwa 6500 Käufern einer kanadischen Kinderporno-Plattform durchsah. Sie entdeckte den Namen des damaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy - und den Namen ihres eigenen Gruppenleiters, Karl-Heinz D. Er war Autor der Fachzeitschrift Kriminalpolizei, gut vernetzt bei Interpol, in der Schule seiner Tochter im Elternbeirat aktiv. "Man kann aus psychologischer Sicht nicht pädophil werden durch das Betrachten", sagt die Psychologin Kirchhof. "Aber man kann Interessen bei sich entdecken, von denen man vorher nichts ahnte."

Stephanie Tittlus hat keine eigenen Kinder. "Noch", sagt sie und lacht. Manche ältere Kollegen hätten ihr geraten, erst Kinder zu bekommen und danach mit der Arbeit bei den Kinderporno-Ermittlern zu beginnen. Tittlus winkt ab. Mit ihrem Partner, so erzählt sie, spreche sie aber bereits über Fragen, die anderen wohl nicht in den Sinn kämen, Fragen wie: "Dürfen wir mit denen in die Badewanne? Dürfen wir sie auf den Mund küssen?"

Da seien Bilder im Kopf, die man nicht einfach wieder löschen kann.

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SZ vom 21.02.2018/eca
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