Studie:Jeder Sechste unter 18 ist armutsgefährdet

Bericht: Verwaltungsreform ist unausweichlich

Nur sieben Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben hingegen Eltern mit Hauptschulabschluss.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Der neueste Sozialbericht beschäftigt sich mit dem Leben der Kinder in Deutschland.
  • Der Studie zufolge verzeichneten die Jugendämter immer mehr Fälle von akuten Kindeswohlgefährdungen, 21 700 allein 2017.
  • 2016 waren in Deutschland 15,4 Prozent aller Kinder und Jugendlichen armutsgefährdet, also fast jeder sechste Mensch unter 18.

Von Verena Mayer, Berlin

Ein Schulkind, das keinen Atlas hat, weil seine alleinerziehende Mutter die 30 Euro nicht bezahlen kann. Ein Mädchen mit besten Noten, aber aus einer sozial schwachen Familie, das auf dem Gymnasium nicht angenommen wird, weil die Direktorin findet, es passe nicht hierher. Jugendliche, die von ihren Mitschülern gemobbt werden, weil das Amt ihre Klassenfahrt bezahlt, oder die von Lehrern gesagt bekommen, dass sie bei "diesen Verhältnissen" nie Abitur machen werden. Seit einigen Tagen erzählen Leute unter dem Hashtag "unten" auf Twitter, wie es für sie war, als Kind am Rand der Gesellschaft aufzuwachsen. Welche Erfahrungen man macht und welche man nicht machen kann, weil das Geld nie reicht.

Es sind subjektive Erlebnisse, die ungefiltert durch die sozialen Medien wabern. Doch der Hintergrund ist real, wie die Zahlen aus dem neuesten Sozialbericht belegen. Der bildet das gesamte gesellschaftliche Leben in Deutschland statistisch ab, vom Wohnen über Arbeitsverhältnisse bis zur Gesundheit und der allgemeinen Lebenszufriedenheit. Bei der Präsentation am Mittwoch in Berlin griffen sich die Vertreter der Bundeszentrale für politische Bildung, des Statistischen Bundesamts und des Wissenschaftszentrum Berlins für Sozialforschung (WZB), die an der Studie mitgewirkt haben, ein Thema heraus: das Leben der Kinder in Deutschland.

Die sind schon zahlenmäßig im Hintertreffen. Haben Kinder und Jugendliche vor zwanzig Jahren noch 19 Prozent der deutschen Bevölkerung ausgemacht, sind es heute nur noch 16 Prozent. Und auch wenn für die meisten das Leben gut sei, sagt Mareike Bünning, wissenschaftliche Mitarbeiterin am WZB, so "bleiben vielen aber auch zentrale Kinderrechte verwehrt". Das Recht darauf, ohne Gewalt aufzuwachsen, etwa. Der Studie zufolge verzeichneten die Jugendämter immer mehr Fälle von akuten Kindeswohlgefährdungen, 21 700 allein 2017, die Zahl hat sich in den vergangenen vier Jahren um 18 Prozent erhöht. Was aber eine positive Seite habe, zeige sich daran doch, dass die Gesellschaft insgesamt aufmerksamer geworden sei.

Betreuungsmöglichkeiten haben sich verbessert

Und es ist die Armut, die bei dem Thema ins Auge sticht. 2016 waren in Deutschland 15,4 Prozent aller Kinder und Jugendlichen armutsgefährdet, also fast jeder sechste Mensch unter 18. Am meisten gefährdet sind Kinder von Alleinerziehenden. "Die Konjunktur wächst, die Armut bleibt bestehen", sagt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Das sei in einer Volkswirtschaft wie Deutschland "beschämend" und erfordere dringend politisches Handeln.

Dafür dürften auch die Zahlen zur Schulbildung Anlass geben. Denn noch immer hängt die Bildungskarriere in Deutschland von der sozialen Herkunft ab. 65 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die auf ein Gymnasium gehen, kommen aus Elternhäusern, in denen ebenfalls Abitur oder Fachhochschulreife gemacht wurde. Nur sieben Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben hingegen Eltern mit Hauptschulabschluss.

Für Eltern von Kleinkindern haben sich die Betreuungsmöglichkeiten verbessert, zumindest quantitativ. Immer mehr Kinder unter drei Jahren werden in Kitas betreut, durchschnittlich jedes dritte geht in eine Kindertagesstätte oder zur Tagesmutter. Der Ausbau der Kindertagesstätten schlägt sich damit auch statistisch nieder, wobei es ein großes Gefälle zwischen Ost und West sowie Nord und Süd gibt. Während die Betreuungsquote von Kindern unter drei in Sachsen-Anhalt 57 Prozent beträgt, liegt sie in Nordrhein-Westfalen nur bei 27 Prozent. 33,7 Prozent in Schleswig-Holstein stehen 27,5 in Bayern gegenüber.

Eine weitere statistische Tatsache ist die Vielfalt: Mehr als ein Drittel aller Kinder in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. "Die Diskussion, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, geht an der Realität vorbei", sagt Thomas Krüger von der Bundeszentrale für politische Bildung. Vielmehr sei die Gesellschaft plural und es gehe darum, soziale Schieflagen aus dem Weg zu räumen. Denn bei Kindern mit Migrationshintergrund sei allein das Armutsrisiko dreimal höher als bei anderen.

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