Es hört sich absurd an: Wenn Kinder sich in Gewerkschaften organisierten, würden sie besser bezahlt und könnten länger die Schule besuchen. Es geht, wohlgemerkt, um Kinderarbeit. Rund 150 Millionen Mädchen und Jungen schuften weltweit unter oft miesen Bedingungen, sie haben keine Kindheit, keine echte Jugend.
Auf der vierten Weltkinderarbeitskonferenz, die an diesem Dienstag in Buenos Aires beginnt, äußern sich nun erstmals viele dieser Kinder. Ihre Aussagen sind teils überraschend. So können sie ihrer Situation oft sogar Positives abgewinnen und sind stolz auf die Arbeit, die sie leisten - vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Kann man aus der Not eine Tugend machen?
Die betroffenen Kinder kommen selten zu Wort
Die befragten Mädchen und Jungen leben in Afrika, Asien, Lateinamerika, dem Mittleren Osten und Europa. Sie sind zwischen fünf und 18 Jahren alt und müssen regelmäßig arbeiten. Rund 1800 Kinder gaben Auskunft über ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Ausbildung und ihre Familien - im Rahmen der groß angelegten Studie "It's Time to Talk" (Es ist Zeit, zu reden), die der SZ vorliegt.
Die Kinderrechtsorganisationen Terre des Hommes und die Kindernothilfe werden die Ergebnisse bei der Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Argentinien vorstellen. "Arbeitende Kinder wurden bisher nie gefragt, was aus ihrer Sicht wichtig wäre, warum sie arbeiten und welche Träume sie haben", sagt Anne Jacob von der Kindernothilfe, die mit der Kampagne "Time to Talk" Kindern auf internationaler Ebene buchstäblich eine Stimme geben will.
Viele der Kinder hadern nicht damit, arbeiten zu müssen
In der Studie taucht zum Beispiel ein elf Jahre alter Junge aus Myanmar auf, der als Flaschen- und Müllsammler vergleichsweise wenige Stunden arbeitet. Auf einer Zeitleiste hat er seinen Tagesablauf eingezeichnet: 3 Uhr: aufstehen. 4 Uhr: Hof fegen, putzen. 6 Uhr: waschen, anziehen. 7 Uhr: Schulbeginn. 11 Uhr: Mittagessen. 12 Uhr: Sammeln und Verkauf von Flaschen. 16 Uhr: Freizeit. 18 Uhr: Abendessen und fernsehen. 21 Uhr: Bettruhe.
Oder die 17 Jahre alte Madhu aus Nepal: Sie steht um 5 Uhr auf, ist von 6.15 Uhr bis 10.45 Uhr in der Schule. Nach dem Mittagessen arbeitet sie bis 20 Uhr in einem Spa- und Yogacenter. Danach geht sie nach Hause, isst, macht Hausaufgaben, und geht gegen 22 Uhr ins Bett. Madhu hadert nicht damit, dass sie arbeiten muss; dies sei selbstverständlich, weil sie so ihre Familie unterstützen, sich Schulmaterialien und Kleidung leisten könne. Was das Mädchen aber stört: "Schwierige Situationen" am Arbeitsplatz, wie sie sagt. Viele halten sie für eine Prostituierte, die wenigsten sind freundlich zu ihr.