Süddeutsche Zeitung

Kellner von Adolf Hitler:Der Tyrann liebte Torten

Salvatore Paolini stammt aus einem Bergdorf in den Abruzzen, das halb Europa mit guten Kellnern und Köchen versorgte - auch die Nazis. Als fescher, junger Mann servierte er auch Adolf Hitler das Essen im Platterhof auf dem Obersalzberg.

Christiane Kohl

Der Weg zu Salvatore Paolini führt durch enge Schluchten und über neblige Höhen. Irgendwann taucht ein gelb getünchter Kirchturm vor einer zerklüfteten Steinkulisse auf, das Dorf Villa Santa Maria klebt wie ein Adlernest am Fels. Salvatore Paolini steht in seiner Küche am Kamin und legt ein wenig Brennholz nach. Plötzlich hebt der alte Herr die Hände, als würde er ein Tablett mit ihnen balancieren, er schwenkt die Hüften dezent und kräht: "Bittescheen, Dankescheen - bitteserr die Dame." Genau so hat er es immer gemacht, sagt er, "und glauben Sie mir, ich hatte Erfolg."

So viel Erfolg, dass er sogar Adolf Hitler bedienen durfte, damals, auf dem Obersalzberg. "Der hat immer nur Gemüse gegessen", erinnert sich der Alte, aber auch " jede Menge süße Torten". Freundlich war der deutsche Diktator, nach jedem Essen hat er sich höflich bei den Kellnern bedankt.

Er war 18 und musste Geld verdienen

"Für mich war er damals eine ganz große Persönlichkeit", sagt Salvatore Paolini. Er selbst war freilich nach eigenen Angaben kein Parteigenosse. "Ich war 18 und musste einfach Geld verdienen, hier wäre ich doch vor Hunger gestorben."

Im Oktober 1942 war der junge Mann aus den Abruzzen auf den Platterhof gekommen, ins so genannte Volkshotel für Nazi-Größen in den Bergen oberhalb von Berchtesgaden. Höhenangst plagte den jungen Italiener nicht, steile Felswände kannte er von daheim, aus seinem Dorf, das in den Abruzzen liegt, in der mittelitalienischen Provinz Chieti.

Und das Handwerk des Kellners hatte Paolini gleichsam in der Kinderstube gelernt: Die fernab gelegene Gemeinde Villa Santa Maria galt schon damals als heimliche Hauptstadt der hohen Kunst des Kochens und Servierens in Italien.

Noch immer sprühen Funken aus den Augen

Söhne des Dorfes standen seit Generationen im Ruf, die besten Köche im Lande zu sein, sie verdingten sich in Luxusherbergen wie dem römischen Hotel Excelsior oder kochten in ersten Diplomatenhäusern, etwa bei Italiens damaligem Außenminister Galeazzo Ciano, dem Schwiegersohn des Diktators Benito Mussolini.

Schon die Herkunft aus Villa Santa Maria galt als Empfehlung. "Ich war jung, elegant und schön", sagt Salvatore Paolini, "und ich sprach recht gut Deutsch, was sollte mir da passieren?"

Mittlerweile hat er zwar eine Glatze, er ist beinahe 80 und schon lange nicht mehr so schlank wie ehemals, seine grünen Augen aber scheinen zuweilen noch immer Funken zu sprühen. Ins Jackett hat sich der alte Herr, passend zum Schlips, ein rotes Tüchlein gesteckt.

Auf den alten Fotos, die er jetzt auf dem Küchentisch ausbreitet, ist ein junger Mann mit klassischem Römerprofil und tiefschwarz gewelltem Haar zu sehen. Unter den Bediensteten auf dem Gruppenbild vom Obersalzberg, das heute in Paolinis Wohnzimmer hängt, sticht der Italiener als fescher junger Mann hervor.

Zuerst kam der humpelnde Goebbels, dann der "dicke Göring"

Eine kleine Brigade handverlesener Kellner versorgte die Hautevolee des Nazireichs auf dem Obersalzberg. Morgens wurde in weißer Livree serviert, abends im schwarzen Frack. Paolini war gerade ein paar Tage da, als plötzlich Unruhe aufkam im Küchentrakt. "Heute erwarten wir hohen Besuch", flüsterte ihm ein Kollege zu. Beflissen standen die Servierer dann hinter der Tür, als die Gäste eintrudelten.

Als erster humpelte Joseph Goebbels in den Speisesaal, erzählt Paolini, "dann kam der dicke Göring". Nun fehlte nur noch einer: Adolf Hitler. Und wenig später stand "der Führer" plötzlich im Raum, "er war durch eine verborgene Seitentür gekommen". Der geheime Gang verband offenbar Hitlers Berghof mit der Nazi-Herberge. Der Italiener sollte den Diktator noch öfter bedienen, "dass ich da historische Ereignisse miterlebte, habe ich aber nicht gemerkt", sagt Paolini.

Es war für ihn gar nicht so einfach gewesen, auf dem Platterhof anzuheuern. So hat sich der junge Italiener zuvor einer eingehenden medizinischen Untersuchung unterziehen müssen, "physisch und psychisch", wie er betont. "Die Ärzte haben mir in den Mund geguckt und die Lunge geröntgt", überdies musste er allerlei Fragen beantworten, ebenso seine Verwandten in Villa Santa Maria.

Eines Tages tauchten dort Carabinieri auf, um das Umfeld des Kandidaten auszuloten. Und Paolinis Eltern fürchteten, ihr Sohn, der sich bereits in Deutschland befand, habe etwas ausgefressen. Doch es ging wohl, wie Paolini meint, eher darum, zu erkunden, ob er nicht etwa jüdische Verwandtschaft hatte.

Auf dem Obersalzberg bekam Paolini mehrere Spezialausweise, "es gab vier verschiedene Kontrollstellen", erinnert er sich. Die kleine Siedlung am Berg hoch über dem bayerischen Königssee war mittlerweile Hitlers zweiter Regierungssitz geworden, entsprechend wurde das Areal hermetisch abgeriegelt.

Seit den Zwanzigerjahren war der spätere Diktator auf den Almwiesen im Salzkammergut herumgestrichen, zunächst noch inkognito als "Herr Wolf", denn er musste sich vor den deutschen Ordnungsbehörden verstecken. "Herr Wolf" nächtigte mal hier, mal dort.

In einem Gebäude gleich beim Platterhof, der damals noch als bescheidene Pension betrieben wurde, soll er den zweiten Teil von "Mein Kampf" geschrieben haben. Bald nach der Machtübernahme 1933 kaufte Hitler das schmucke Ferienhaus einer Witwe aus Buxtehude ab und ließ es zum Berghof umbauen. Bald war die Siedlung von Stacheldraht umgeben und für gewöhnlich Sterbliche kaum mehr zugänglich.

Nach und nach arrondierte die NSDAP das Gelände, 70 Hauseigentümer mussten weichen, stattdessen ließen sich allerlei Nazi-Bonzen nieder. Martin Bormann baute sich ein Landgut, Hermann Göring bewohnte eine Villa mit beheiztem Schwimmbad, und etwas weiter unterhalb am Berg ließ sich Reichskriegsminister Albert Speer nieder.

Hausmannskost statt feiner Küche

Über allem aber thronte Hitler und genoss den weiten Blick über die Landschaft, während er fatale Strategien für seine Endsiege und Endlösungen ersann, mit denen er die Welt ins Unglück stürzte. Doch in jener Zeit begann er schon zu verlieren. Am 8. November 1942 landeten die Alliierten in Nordafrika, am 31. Januar 1943 kapitulierten die deutschen Truppen in Stalingrad.

Auf dem Obersalzberg hatte sich indessen ein kompletter Hofstaat etabliert, immer wieder traf man sich zum Essen im Platterhof. Feine Küche scheint dort nicht geboten worden zu sein. Nach den alten Speisekarten zu urteilen, die Salvatore Paolini bis heute aufbewahrt, wurde wohl eher Hausmannskost gereicht.

Königsberger Klopse und Endiviensalat oder Wiener Schnitzel mit Spinat und Kartoffelbrei. Paolini war von daheim Besseres gewohnt: Wildragout mit Papardelle zum Beispiel, eingelegte Pilze oder Trüffelcreme - Gerichte, die noch heute als Spezialitäten der Kochkünstler von Villa Santa Maria gelten.

Zu Hause am Küchenkamin schaut Paolini von seinen alten Fotos auf: Hitler habe ja sowieso nur Kartoffeln und Gemüse gegessen, sagt er, "aber immer sehr stark gewürzt". Auch beim Wein hat er sich nach der Beobachtung des Kellners stets zurückgehalten. "Wir servierten Jahrgangsweine, doch Hitler hat immer nur an seinem Glas genippt."

Eva Braun nur selten beim Essen dabei

Erst beim Nachtisch lief der Tyrann offenbar zu Höchstform auf. Da habe er häufig "riesige Mengen Süßes" verdrückt, erzählt Paolini, "enorme Torten mit viel Schlagsahne". Eva Braun sei höchst selten in der Gesellschaft dabei gewesen, und wenn sie da gewesen sei, habe sie nicht neben Hitler gesessen: "Meistens hatte er Frau Goebbels neben sich."

Immer mal wieder besuchten ausländische Gäste den Platterhof. So auch der italienische Konsul in München, Roberto De Cardone. Mittlerweile war das Jahr 1943 angebrochen, und Salvatore Paolini wurde zur Wehrpflicht gerufen - das kam ihm überhaupt nicht gelegen.

Der Diplomat in den Diensten Mussolinis wusste Rat: Paolini könne ihn als persönlicher Diener nach Frankreich begleiten, wohin De Cardone versetzt werden sollte. Der Kellner musterte am Obersalzberg ab und bekam am 3. Februar 1943 sein Zeugnis ausgehändigt.

"Er war stets eifrig und zuvorkommend den Gästen gegenüber", heißt es darin. Der Konsul nahm ihn mit nach Nîmes in Frankreich, doch der Kellner war der Reisen bald überdrüssig und ging eige ne Wege. Nach Italien mochte er allerdings nicht zurückkehren, man hätte ihn zum Kriegsdienst eingezogen. Aber auch sonst gab es in Villa Santa Maria nichts zu tun für ihn.

Mitten im zweiten Weltkrieg war die Kochkunst seiner Landsleute aus dem Abruzzen-Dorf nicht allzu sehr gefragt. Und schon von jeher hatten die Köche und Kellner des Ortes ihre Arbeit vornehmlich in den großen Städten gefunden.

Paolini war als Sohn eines Bergarbeiters aufgewachsen, schon mit 14 Jahren heuerte er im Albergo Nuovo als Kellner an, einem kleinen Hotel am Ort. Bald fand er Arbeit bei den Prinzen Colonna in Rom, "die haben ganz lausig schlecht bezahlt".

Das Zeugnis der Nazi-Herberge ebnete den Weg

So wechselte der junge Mann ins Hotel Diana beim römischen Bahnhof, wo stets eine Menge deutscher Offiziere logierte. Flugs lernte der Kellner ein paar Brocken Deutsch und fand, durch Vermittlung eines Offiziers, tatsächlich eine Anstellung im Kurhaus von Bad Mergentheim, das damals ein Treffpunkt der braunen Prominenz war.

"Die Reichsmark war das reinste Gold für mich", sagt Paolini, "eine Mark war soviel wert wie fünf bis sechs Lire." Im Kurhaus lernte Paolini auch den Generaldirektor des Platterhofs kennen, der engagierte den jungen Mann vom Fleck weg.

Mit dem Zeugnis der Nazi-Herberge in der Tasche war es auch später, nach dem Ausflug mit dem Konsul, nicht schwierig, eine neue Anstellung in Deutschland zu finden. Paolini fing beim Deutschen Hof in Nürnberg an, Hitlers bevorzugtem Hotel in der Stadt der Reichsparteitage. Und trug bald wieder für die Nazi-Größen auf.

Neun Gänge für den König

Das war gegen Ende 1943, der Krieg hatte mittlerweile eine Wende genommen. Italien war aus der Achsenpartnerschaft mit Deutschland ausgeschert und hatte einen Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen, die das Land von Süden aus aufrollten.

Bei Nacht und Nebel verließ der italienische König Vittorio Emanuele, der willfährig mit Mussolini kollaboriert hatte, seine Residenz im römischen Quirinal. In einem Schloss nahe Villa Santa Maria machte er halt. Schnell wurden ein paar Köche gerufen, sie bereiteten ihm ein Neun-Gänge-Menü. Majestät hatten schließlich noch eine weite Reise vor sich bis Brindisi, zum Hauptquartier der Alliierten.

In Villa Santa Maria hat die Kochkunst eine lange Tradition. Im 14. Jahrhundert soll ein Adliger, der in der Re gion jagte, ein paar Bauernsöhne angestellt haben, ihm das Wild zu braten - so entstand eine erste improvisierte Kochschule in dem Ort.

Zwei Jahrhunderte später kamen die Prinzen Caracciolo aus Neapel zum Jagen in die Berge, sie entdeckten das Kochtalent der Einheimischen und gründeten 1750 in Villa Santa Maria gleichsam eine kleine Universität der guten Küche.

Bald tischten die Söhne des Dorfes in den edelsten italienischen Adelshäusern auf und pilgerten später auch in die Neue Welt. Nach alten Unterlagen ließen sich auch die US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Harry S. Truman von den abruzzesischen Kochkünstlern verwöhnen; später auch Dwight D. Eisenhower.

Schwärmen von "deutschen Tugenden"

"Ich habe Eisenhower im Hassler bedient", erzählt Paolini am Küchentisch, das war gleich nach dem Krieg, er arbeitete mittlerweile im römischen Nobelhotel Hassler Medici. Anfang 1945, Nürnberg wurde ständig bombardiert, hatte der Kellner Deutschland verlassen. Zunächst ging er nach Rom, später nach Venedig und Caracas.

Irgendwann kehrte er dann heim nach Villa Santa Maria, wo ihn die 1400 Bewohner in den Siebzigerjahren als Kandidaten der Christdemokraten zum Bürgermeister wählten. 20 Jahre lang regierte er das Dorf, nach Meinung einiger Ortsansässiger "wie ein Diktator".

Als eine seiner wichtigsten Taten betrachtet er die Gründung einer neuen Hotelfachschule, die sich schon viel Renommee erworben hat. Für die Deutschen schwärmt Paolini noch immer: "Die haben Ordnung und Disziplin."

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SZ vom 26.06.2004/odg
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