Zwei Jahre nach dem Suizid der Allgemeinmedizinerin Lisa-Maria Kellermayr aus dem oberösterreichischen Seewalchen hat die Staatsanwaltschaft in Wels nun Anklage gegen einen deutschen Staatsbürger erhoben. Dem 61-Jährigen wird vorgeworfen, der Ärztin zwischen Februar und Juli 2022 mehrere E-Mails und Tweets geschrieben zu haben. Darin habe er ihr gedroht, sie vor ein „Volkstribunal“ zu stellen und sie wegen ihrer Aktivitäten während der Covid-Epidemie vor Gericht zu bringen. Kellermayr hatte immer wieder vor den Gefahren der Pandemie gewarnt und sich auch öffentlich über radikale Impfgegner beschwert, die eine Zufahrt zu einer Klinik in Wels blockiert hatten.
Die Medizinerin fühlte sich wegen zahlreicher Anfeindungen lange unter massivem Druck und war, ausweislich eines in ihrer Praxis in Seewalchen gefundenen Abschiedsbriefs, schließlich so verzweifelt gewesen, dass sie sich das Leben nahm. Der Fall löste großes Entsetzen aus – unter anderem, weil die Ärztin Polizei, Behörden und Kollegen vorgeworfen hatte, sie trotz der stetigen und in ihren Augen sehr realen Bedrohungen nicht ausreichend geschützt zu haben. Polizei und Ärztekammer wiesen das zurück.
Nach dem Suizid, vor dem Kellermayr sich regelmäßig mit Kollegen und auch Journalisten ausgetauscht hatte, richtete die Staatsanwaltschaft eine länderübergreifende Arbeitsgruppe ein, um den Hergang der Tat zu klären. Ein im rechtsextremen Umfeld angesiedelter Deutscher etwa hatte unter dem Namen „Claas“ gedroht, sie in ihrer Praxis zu massakrieren, gemeinsam mit ihrem Personal. Nicht die Polizei, sondern eine deutsche Hackerin fand dann heraus, dass „Claas“ im Netz die Identität eines anderen Mannes angenommen hatte; gegen den Urheber dieser Drohungen wurden die Ermittlungen jedoch schließlich eingestellt.
Aber Kellermayr bekam zahlreiche weitere Drohungen, darunter auch von einer E-Mail-Adresse im bayerischen Starnberg. Dieser Verdächtige konnte ausfindig gemacht werden; er wurde nun angeklagt. Dem Mann drohen bis zu zehn Jahre Haft. Der Angeklagte aus Deutschland war den Behörden bereits länger bekannt. Der Bild-Zeitung zufolge gibt der Mann zu, die Nachrichten verfasst zu haben. Dass er Kellermayr in den Tod getrieben haben könnte, bestreitet er.
Die Medizinerin hatte sich jedoch – aus Angst vor den stetigen Angriffen im Netz und vor Messerattacken gegen sie selbst oder auch ihre Patienten – stark verschuldet, die Sicherheitsmaßnahmen in der Praxis erhöht und einen Panikraum einrichten lassen. Die Bitte um Polizeischutz quittierte ein Polizeisprecher damals mit der Anmerkung, Kellermayr wolle über die öffentliche Aufmerksamkeit nur ihr „eigenes Fortkommen“ fördern. Im Juli 2022 beging sie schließlich in ihrer Praxis Selbstmord.
Radikalisierung von Teilen der Corona-Protestbewegung
Staatsschützer warnen seit Jahren vor einer Radikalisierung von Teilen der Corona-Protestbewegung. „Wir müssen feststellen, dass in den letzten Jahren in Teilen der Protestbewegung ein radikalisierter Kern entstanden ist, in dem – jedenfalls in den sozialen Netzwerken – dazu aufgerufen wird, diesen Staat auch gewaltsam zu beseitigen“, heißt es beim deutschen Verfassungsschutz. Und der Chef der österreichischen Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst, Omar Haijawi-Pirchner, sagte schon 2021, „wenn es zu Taten wie Sachbeschädigungen, Angriffen auf Polizisten oder Gewalttaten gegenüber Bürgermeistern und Medien kommt, ist das eine Initialzündung für viele, die dann aufspringen“. Lisa-Maria Kellermayr haben diese Warnungen nichts geholfen.