Süddeutsche Zeitung

Katholizismus:Ein bisschen Jungfrau bleibt

  • Fünf Dutzend Wissenschaftler haben zehn Jahre lang für die katholische Kirche an einer neuen Übersetzung der Bibel gearbeitet.
  • In der neuen Textversion sind Frauen stärker repräsentiert - trotzdem ist sie näher an der Urfassung der Heiligen Schrift der Christen.
  • Die zentralen Positionen der Auslegung bleiben davon aber unberührt: Maria ist auch nach der Empfängnis Jesu eine Jungfrau.

Von Matthias Drobinski

Um gleich jene Katholiken zu beruhigen, denen die Tradition viel bedeutet: Ein bisschen Jungfrau bleibt. Ein bisschen Verunsicherung allerdings hält die neue Einheitsübersetzung der Bibel schon bereit, jenes 1500-Seiten-Werk, das vom Nikolaustag an die offizielle Übertragung von Gottes Wort im deutschsprachigen katholischen Raum sein wird. Denn in der alten Version heißt es beim Propheten Jesaia: "Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen".

Künftig aber wird dort stehen: "Seht, die Jungfrau hat empfangen". Ist die Frau also erst Jungfrau und wird dann schwanger - auf welchem Weg auch immer? Im hebräischen Original steht ohnehin "junge Frau", merken die Übersetzer an. Herrje - was wird aus dem katholischen Dogma, dass Maria, die Mutter Jesu, immer Jungfrau blieb?

Die Lehre bleibt, stellt Joachim Wanke klar, der ehemalige Erfurter Bischof und langjährige Verantwortliche für die Revision der Einheitsübersetzung, da solle man nicht zu viel in diese eine Bibelstelle hineininterpretieren. Und doch führt die Jungfrauen-Passage direkt zu den Mühen der Bibelübersetzer: Sie sollen sich an die hebräischen, aramäischen und griechischen Urtexte halten, aber auch so formulieren, dass sich heutige Bibelleser und Kirchenbesucher angesprochen fühlen. Und sie sollen nicht die Lehre der Kirche über den Haufen werfen.

Aus Junius im Römerbrief wird Junia

Insgesamt fünf Dutzend Wissenschaftler haben für das Werk zehn Jahre gebraucht. Es ist weniger ökumenisch als am Anfang gedacht: 2005 zog die evangelische Kirche sich aus dem Projekt zurück, weil aus ihrer Sicht der Vatikan zu viel Einfluss nahm. Im Oktober wird nun auch eine revidierte evangelische Luther-Ausgabe erscheinen; sie orientiert sich bewusst an der Sprache des Reformators.

Die Änderungen in der katholischen Übersetzung seien moderat, sagt Wanke - und doch ist dort einiges anders als in der Vorgänger-Version, die vor mehr als 30 Jahren erschien. Vor allem kommen die Frauen besser weg als bisher. So wird aus dem Junius", den bislang der Apostel Paulus im Römerbrief grüßen ließ, endlich die "Junia" - schon lange gehen die Wissenschaftler davon aus, dass hier eine Apostelin gemeint war, die eine wichtige Rolle in der Gemeinde spielte, nur hatte das über Jahrhunderte nicht sein dürfen. Neu ist auch, dass Paulus in seinen Briefen die Gemeinde mit "Schwestern und Brüder" anredet, obwohl im Original nur von "Brüdern" die Rede ist - hier soll es im Vatikan Stirnrunzeln gegeben haben, als die neue Übersetzung für den Gottesdienst approbiert werden musste.

Die neue Ausgabe kostet sozialverträgliche 9,45 Euro

Insgesamt nähert sich die neue Ausgabe stärker den Urtexten, auch dort, wo dies heutigen Lesern und Zuhörern ungewohnt ist. Das feierliche Füllwort "und dann" bleibt stehen. Josef und Maria sind nicht mehr "betroffen" angesichts des lehrenden Jesus im Tempel, sondern "voll Staunen". Frauen "empfangen" nicht mehr, sondern werden schlicht "schwanger". Und dem Moses erscheint der Herr nicht mehr "im Donner"; er spricht mit "vernehmbarer Stimme".

Sozialverträgliche 9,45 Euro soll die günstigste Ausgabe kosten, 100 000 Exemplare warten auf Leser, eine App soll folgen. Damit jeder lesen kann, wie das nun ist mit der Jungfrau beim Propheten Jesaia.

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SZ vom 21.09.2016/ees
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