Katholische Kirche:Streit um das Gutachten

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Stefan Heße (links), Erzbischof von Hamburg, im Gespräch mit Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Kardinal Woelki wollte Großes: Eine Studie zu den Strukturen kirchlichen Missbrauchs. Vor der Brisanz schreckte er zurück.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Am 17. Februar offenbarte der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki im Interview mit der Süddeutschen Zeitung eine kleine Sensation. Eine Münchner Anwaltskanzlei, sagte er, arbeite seit 2018 alle verfügbaren Akten durch, um zu sehen, wie das Erzbistum Köln mit Missbrauchsfällen umgegangen ist.

Die Ergebnisse würden am 12. März vorgestellt, sagte Woelki. Die Anwaltskanzlei werde "Verantwortungsträger benennen, die aufgrund ihrer Entscheidungen und ihres Verhaltens dazu beigetragen haben könnten, dass Missbrauch strukturell, institutionell oder auch ganz konkret möglich wurde". "Vielleicht stehe auch ich in der Kritik", fügte Woelki hinzu. "Ich habe sozusagen meine eigene Anklageschrift in Auftrag gegeben."

Die Münchner Kanzlei hatte schon die Akten des Münchner Erzbistums untersucht

Erzbischof Woelki als härtestmöglicher Aufklärer - das entsprach der Strategie des innerkirchlich konservativen Kardinals: Es braucht keine Abschaffung des Zölibats und kein Frauenpriestertum. Die katholische Kirche muss stattdessen konkrete Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen benennen und die Verantwortlichen.

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Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die Woelki beauftragte, hatte schon 2010 die Akten des Münchner Erzbistums untersucht. Der Bericht blieb allerdings unter Verschluss, veröffentlicht wurde lediglich eine Zusammenfassung. Das sollte nun in Köln anders werden.

Aber am 12. März gab es keine Pressekonferenz. Es gebe rechtliche Probleme, hieß es. Nach Monaten des Wartens folgte am Freitag der große Knall: "Die Zusammenarbeit mit der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl wird beendet", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Erzbistums und des Beirats der Missbrauchs-Betroffenen. Eine "vollständige Neufassung der Untersuchung", verantwortet vom Kölner Strafrechtsexperten Björn Gercke, werde am 18. März 2021 veröffentlicht.

Die Münchner Kanzlei, heißt es zur Begründung, sei "wiederholt an ihrem Versprechen gescheitert, eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und persönlichen Verantwortlichkeiten in Form eines rechtssicheren und belastbaren Gutachtens zu erreichen". Ein vernichtendes Urteil. Ein mit veröffentlichtes Gutachten des emeritierten Professors Streng und des Frankfurter Richters und Strafrechtlers Matthias Jahn wirft der Münchner Kanzlei vor, von überbordendem Aufklärungseifer getrieben eine "Anklageschrift gegen die benannten Diözesan-Funktionsträger" verfasst zu haben, "voll von hochgradig subjektiven, moralisch gefärbten Anschuldigungen". Dabei sei den derart Kritisierten weder nach dem weltlichen Strafrecht noch nach dem Kirchenrecht ein Vergehen nachzuweisen.

Nur: Das war gar nicht der Kern des Auftrags gewesen. Das Gutachten sollte bewerten, ob und wie der Umgang der Verantwortungsträger des Erzbistums mit Fällen sexueller Gewalt dem kirchlichen Selbstverständnis entsprach - und wo nicht. Überhaupt spricht viel dafür, dass nicht die Münchner Anwälte desaströs gearbeitet haben - sondern dass um ihren Bericht ein Machtkampf entbrannt ist, in dem sich Gegner und Befürworter einer schonungslosen Aufklärung gegenüberstehen. Und in dem die Aufklärungsgegner Kardinal Woelki auf ihre Seite gebracht haben.

Das Gutachten geht hart mit prominenten Kirchenmännern ins Gericht

Es geht immerhin um zwei verstorbene Kardinäle, die für viele Katholiken ikonischen Status haben: um den langjährigen Bischofskonferenz-Vorsitzenden Kardinal Joseph Höffner und um den konservativen Kardinal Joachim Meisner. Es geht um den mittlerweile 80-jährigen legendären Generalvikar Norbert Feldhoff, der 30 Jahre lang oberster Verwalter des Erzbistums war. Und es geht um Kirchenmänner, die heute wichtige Posten in der katholischen Kirche innehaben, und um den heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der in Köln Personalchef und Generalvikar war.

Das Gutachten geht hart mit ihnen ins Gericht, das zeigen schon die wenigen Ausschnitte, die das Gegengutachten von Jahn und Streng zitiert: Da ist von "Ignoranz gegenüber der Opferperspektive" die Rede oder "von einem mit Blick auf den kirchlichen Auftrag nicht mehr nachvollziehbaren Desinteresse und einer Ignoranz gegenüber den Belangen und Bedürfnissen Schutzbedürftiger". Anhand von aus Sicht der Anwälte exemplarischen 15 Missbrauchsfällen kommen sie auf insgesamt 350 Seien zu teils vernichtenden Urteilen.

Vor allem zwei Verantwortliche sahen sich, als das Gutachten in einer ersten Fassung vorlag, ungerecht beurteilt: der ehemalige Generalvikar Norbert Feldhoff und der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Unterstützt von der Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs und später auch durch den Medienanwalt Carsten Brennecke der Kanzlei Höcker machten sie geltend, dass sie nicht ohne ausreichendes Gehör in ein so schlechtes Licht gerückt werden dürften - womit sie durchaus recht haben.

Es war der Beginn eines Kleinkrieges der beiden Anwaltskanzleien

Die Kanzlei Westpfahl war seitdem in einer schwierigen Lage: Sie hatte offenbar darauf gebaut, dass die kritisierten Verantwortlichen die Veröffentlichung zumindest hinnehmen - eine Fehleinschätzung. In letzter Minute musste die Pressekonferenz zur Vorstellung des Gutachtens abgesagt werden. Es war der Beginn eines Kleinkrieges der beiden Anwaltskanzleien, die seit einem Jahrzehnt einen harten Konkurrenzkampf um kirchliche Aufträge zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals führen.

Dann, im September, ging überraschend der Hamburger Erzbischof Stefan Heße in die Offensive. Er gab der Zeit-Beilage Christ und Welt ein aufsehenerregendes Interview, das erkennbar als Vorneverteidigung angelegt war.

Die Fragesteller zitieren aus den Vorhaltungen, die die Münchner Anwälte Heße geschickt hatten. Dort ist von einer "indifferenten, von fehlendem Problembewusstsein geprägten Haltung des Dr. Heße gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs" die Rede. Heße antwortete, er habe "mit guten Argumenten und den Hinweisen auf handwerkliche Unzulänglichkeiten in der Recherche eine vollkommen gegenteilige Sicht aufgemacht". Der Befund der Anwaltskanzlei habe "keine Grundlage".

Hatten also doch die Münchner Anwälte schlampig und voreingenommen gearbeitet? Mitte Oktober erschien in der Bild-Zeitung eine Geschichte, die einen anderen Eindruck erweckte. Das Blatt berichtete von einem Pfarrer aus dem Erzbistum Köln, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, zwischen 1993 und 1999 seinen drei minderjährigen Nichten sexuelle Gewalt angetan zu haben.

Bereits 2010 hatte der Pfarrer im Ordinariat ein umfassendes Geständnis abgelegt - über das Gespräch sollte jedoch, so ein interner Vermerk, "bewusst kein Protokoll angefertigt werden, weil befürchtet wurde, dass dies dann beschlagnahmefähig wäre". Es sollten "nur handschriftliche Notizen existieren, die notfalls vernichtet werden könnten". Und: "Herr Prälat Dr. Heße gibt zu diesem Vorgehen sein Einverständnis." Die Anzeige einer der Betroffenen wurde auf Druck der Verwandten zurückgezogen, der Priester bekam einen Zuschuss zu den Anwaltskosten, Kardinal Meisner setzte ihn nach einer Schamfrist als Krankenhausseelsorger ein. Ein kirchenrechtliches Verfahren unterblieb.

Strafbar ist ein solches Vorgehen nicht. Und nach dem Kirchenrecht müssen zwar alle Missbrauchsfälle seit 1981 an die Glaubenskongregation in Rom gemeldet werden, doch erst seit 2019 droht eine Strafe, wenn das unterbleibt. Ob Heße damals adäquat gehandelt hat, ist eine andere Frage. Der verweist darauf, dass er jeden Fall mit Kardinal Meisner beredet habe. Hat er damit Recht, wofür alles spricht, bekommt die Darstellung Meisners Risse, vom Ausmaß des Missbrauchsskandals erst 2010 erfahren zu haben.

Kardinal Woelki, der in dem Bericht gut wegkommt, scheint gewillt gewesen zu sein, das Gutachten zu veröffentlichen. Er hat sich umentschieden. Ende Oktober saß der Betroffenenbeirat dem Kardinal gegenüber und bekam erklärt, warum das Gutachten der Münchner nicht haltbar sei. Der Beirat, dessen Vorsitzender Patrick Bauer Angestellter des Erzbistums ist, stimmte dem zu: Man sei "enttäuscht und wütend". Und rate dem Kardinal, Schadenersatz von der Kanzlei zu fordern.

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