Die katholische Kirche steht einmal mehr im Zentrum eines großen Missbrauchsskandals. Mehr als 300 katholische Geistliche, unter ihnen zahlreiche Bischöfe, sollen in den vergangenen Jahrzehnten mehr als 1000 Kinder sexuell missbraucht haben. Das hat eine umfassende Untersuchung im US-Bundesstaat Pennsylvania herausgefunden.
Das Ausmaß des Missbrauchs könnte jedoch noch viel größer sein, teilten die Ermittlungsbehörden mit, die am Dienstag ihren Bericht vorlegten. Zahlreiche Akten seien verschwunden, zudem hätten viele mutmaßliche Opfer nicht aussagen wollen. "Wir vermuten, dass die tatsächliche Zahl der Opfer in die Tausende geht", so die Ermittler.
Der 1400 Seiten lange Untersuchungsbericht stützt sich auf Dutzende Zeugenaussagen und eine halbe Million Seiten kircheninterner Dokumente. Zu den jüngsten Vorfällen zählen zwei Priester, die innerhalb der vergangenen zehn Jahre Kinder missbraucht haben. Fast alle anderen Fälle seien jedoch mittlerweile verjährt.
Mit Alkohol und Pornografie gefügig gemacht
Der Bericht dürfte die katholische Kirche in den USA in eine erneute Krise stürzen. Schon 2002 hatte die Tageszeitung The Boston Globe einen großen Missbrauchsskandal durch Geistliche aufgedeckt. Diese Vorgänge wurde 2015 mit dem Titel Spotlight fürs Kino verfilmt.
Die meisten Opfer in Pennsylvania waren der Untersuchung zufolge Jungen, viele von ihnen noch nicht einmal in der Pubertät. Die Täter hätten die Minderjährigen oft mit Alkohol gefügig gemacht. Auch Pornografie sei ihnen gezeigt worden. Kinder seien angefasst oder vergewaltigt worden.
In einem Fall hatte ein Priester ein junges Mädchen in einem Krankenhaus vergewaltigt, nachdem ihr die Mandeln entfernt worden waren. Ein anderer Geistlicher schwängerte eine 17-Jährige, erzwang dann ihre Unterschrift auf einer Eheurkunde und veranlasste danach wieder die Scheidung. Trotzdem habe er im Kirchendienst bleiben dürfen, heißt es in dem Bericht.
"Priester haben kleine Jungen und Mädchen vergewaltigt. Und die Männer Gottes, die dafür verantwortlich waren, haben nichts dagegen unternommen. Sie haben alles verheimlicht. Jahrzehntelang", schreiben die Ermittler in dem Bericht. Die Täter seien nicht nur geschützt, sondern teilweise sogar befördert worden.
Fünf Jahre lang habe er mit seinem Anliegen immer wieder bei zwei Bischöfen vorgesprochen, erzählt etwa Priester James Faluszczak, der als Kind missbraucht wurde und nun als Zeuge aussagte, der New York Times. "Sie haben mich ignoriert und meine Anschuldigungen heruntergespielt", sagt Faluszczak. "Diese Geheimniskrämerei hat die Täter gedeckt."
Wegen der Verheimlichung können viele Vergehen nun nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Einem Gesetz des Bundesstaates Pennsylvania zufolge können Opfer nämlich keine Klage gegen die Kirche mehr einreichen, wenn sie das 30. Lebensjahr überschritten haben. Gegen eine Änderung dieser Regelung wehrt sich die Kirche seit Langem vehement.
Auch der Erzbischof von Washington wurde aus dem Amt entfernt
Die Taten erstrecken sich über einen Zeitraum von 70 Jahren und über das Gebiet von sechs der acht Diözesen im Bundesstaat Pennsylvania. Generalstaatsanwalt Josh Shapiro sagte, ranghohe Kirchenobere in Pennsylvania und im Vatikan hätten die Täter über Jahrzehnte gedeckt. Shapiros Ermittlungen gehören zu den umfangreichsten zum Kindesmissbrauch durch Priester in den Vereinigten Staaten.
Erst im Juni 2018 entfernte die katholische Kirche Kardinal Theodore McCarrick, den damaligen Erzbischof von Washington, aus dem Amt, nachdem Fälle von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen bekannt wurden. Auch in anderen Diözesen wurden in jüngster Zeit Beschuldigungen laut, Kirchenoberhäupter würden sexuellen Missbrauch bewusst unter den Tisch kehren und die Täter schützen.
Etwa zwei Dutzend der Beschuldigten hatten vor Gericht zudem erfolgreich erwirkt, dass ihre Namen in dem nun veröffentlichten Bericht gestrichen beziehungsweise anonymisiert wurden. Selbst da hätten sie mit ihrer Heimlichtuerei noch weitergemacht, sagte Staatsanwalt Shapiro.
Er hofft jedoch, demnächst den vollständigen Bericht inklusive aller Namen an die Öffentlichkeit zu bringen. Für die Opfer wäre es ein wichtiger Schritt zur Bewältigung ihres lebenslangen Traumas.