Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Brief eines Missbrauchsopfers bringt Papst Franziskus in Erklärungsnot

  • In einem Brief hatte der Chilene Juan Carlos Cruz Papst Franziskus 2015 von sexuellem Missbrauch durch einen Priester berichtet.
  • Auch ein chilenischer Bischof soll davon gewusst und es gedeckt haben.
  • Franziskus hatte gesagt, nichts von den Anschuldigungen gewusst zu haben - deshalb hat Cruz den Brief nun öffentlich gemacht.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Klar, der Papst kann nicht jeden Brief lesen, der an ihn adressiert im Vatikan eingeht. Und vielleicht hat er jene acht Seiten, die der Chilene Juan Carlos Cruz am 3. März 2015 schrieb, zwischen all der Fanpost einfach übersehen. Wahrscheinlich ist das aber nicht. Erstens soll Kardinal Sean O'Malley, der päpstliche Berater zu Missbrauchsfällen, dieses Schreiben persönlich an den Adressaten übergeben haben. Zweitens geht es hier um einen brisanten Fall, der die Kirchenführung seit Jahren beschäftigt und der den chilenischen Katholizismus in eine tiefe Krise gestürzt hat. Inzwischen ist diese Krise auch beim Pontifex angekommen.

Der Brief beginnt so: "Mein lieber Heiliger Vater Franziskus, ich heiße Juan Carlos Cruz Chellew, ich bin eines der Opfer des sexuellen Missbrauchs des chilenischen Priesters Fernando Karadima." Es ist ein achtseitiger Hilferuf, in dem Cruz nicht nur die pädophilen Verbrechen Karadimas detailliert beschreibt, sondern auch den heutigen Bischof von Osorno, Juan Barros, schwer belastet. Der sei "unzählige Male" dabei gewesen, als Karadima Minderjährige geküsst und berührt habe; seither versuche er, alles zu vertuschen. "Heiliger Vater, ich überwinde mich zu diesem Brief, weil ich es müde bin zu kämpfen, zu weinen und zu leiden", schrieb Cruz.

Bei seiner Chilereise im Januar bat Franziskus um Vergebung für den Kindesmissbrauchs durch Geistliche. Gleichzeitig nahm er jedoch Barros in Schutz. Es handle sich bei den Anschuldigungen um Verleumdungen, denn es gebe "keine Beweise" gegen den Bischof. Auf Nachfrage von Reportern sagte Franziskus, es hätten sich bislang keine Opfer bei ihm gemeldet. Da beschloss Juan Carlos Cruz, mit seinem Brief von 2015 an die Öffentlichkeit zu gehen. Franziskus brachte er damit in Erklärungsnot. In einem Telefonat mit der Süddeutschen Zeitung sagte Cruz: "Wir Opfer sind es gewohnt, dass Bischöfe lügen. Aber es ist hart zu ertragen, wenn selbst der Papst das tut."

Cruz kam Anfang der Achtzigerjahre als 15-Jähriger in die Gemeinde Karadimas in Santiago, kurz zuvor war sein Vater gestorben. Der Pfarrer, erzählt er, wollte ihm "ein geistlicher Vater" sein, stattdessen habe er ihn missbraucht. Der heute 87-jährige Karadima wurde 2011 vom Vatikan für schuldig befunden und abgesetzt. Die Mitwisser und Vertuscher sind laut Cruz aber noch in Amt und Würden.

Zwei Jahrzehnte behielt er sein Leid für sich, aus Scham, aber auch aus Angst vor dem mächtigen Schweigekartell im chilenischen Klerus. Vor 15 Jahren flüchtete er aus seiner Heimat, wo er seine verwitwete Mutter, den Rest der Familie und seinen Job beim Fernsehsender La Red zurückließ. Heute lebt er als Single in Philadelphia, USA, und arbeitet bei einem internationalen Konzern, dessen Name nicht in der Zeitung stehen soll. Erst im Exil traute sich Cruz, gemeinsam mit anderen Missbrauchsopfern Karadima und Barros öffentlich anzuklagen. Das ist nun auch schon wieder sechs Jahre her. Passiert ist jedoch wenig. Barros, der alle Vorwürfe bestreitet, wurde im Januar 2015 zum Bischof von Osorno ernannt - zwei Monate vor dem Brief von Cruz an Franziskus, aber einen Monat, nachdem der Botschafter des Vatikans dessen Bitte um ein Gespräch über Barros abgelehnt hatte.

Als Franziskus im Januar in Chile war, reiste auch Juan Carlos Cruz aus Philadelphia an. Er hoffte, den Papst, der so vieles anders macht als seine Vorgänger, persönlich treffen und ihn an den Brief erinnern zu können. Tatsächlich gab es in Santiago de Chile eine Begegnung mit Missbrauchsopfern. Franziskus habe mit ihnen geweint, teilte ein Vatikansprecher mit. Cruz war zu diesem Treffen jedoch nicht eingeladen.

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SZ vom 08.02.2018/vbol
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