Katholikentag in Münster:Veränderung von unten statt Reform von oben

Katholikentag

Messdienerinnen und Messdiener ziehen zum Start der Eucharistiefeier zum Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt mit Weihrauchfässern vor dem Schlossplatz auf die Bühne.

(Foto: Guido Kirchner/dpa)

Frauen auf der Kanzel, Geschiedene bei der Kommunion: Beim Katholikentag in Münster hoffen viele Gläubige auf eine Öffnung ihrer Kirche - und wenn sie von den Gemeinden selbst ausgeht. Denn die Zeit drängt.

Von Matthias Drobinski, Münster

Statt des vorhergesagten Regens gibt es noch ein bisschen schüchterne Sonne. Auf der Wiese vor dem Schlossplatz und über sie hinaus drängen sich 25 000 Menschen. Kolping-, Pfadfinder- und Landjugendfahnen wehen, große Lautsprecher tragen Chorgesang, Posaunenklang und die Akkorde des elektrischen Klaviers in die Stadt hinein. Es ist das Fest Christi Himmelfahrt, nicht Vatertag mit Bollerwagen und Bier; auf dem Katholikentag muss man so etwas nicht diskutieren. Das Münsterland ist bei aller Säkularisierung noch sehr katholisch. Bis Sonntag erwarten die Verantwortlichen bis zu 70 000 Teilnehmer, so viele wie lange nicht mehr. Viele kommen aus der Region, kennen die Gebete, singen die Lieder mit. Mögen sie zu Hause weniger werden - hier sind sie viele.

Vorn am Altar steht Felix Genn, der gastgebende Bischof von Münster. In der Predigt hat er seine Zuhörer ermutigt, Boten des Friedens zu werden, hat die Wandlungsworte über Brot und Wein gesprochen. Gleich werden er und Dutzende Helfer die Kommunion austeilen - aber an wen? Auch an evangelische Christen oder Geschiedene, die wieder geheiratet haben? Beides ist nach katholischer Auffassung nur in Ausnahmen und Notlagen möglich, aber wer will das auf der großen Wiese überprüfen? Und schon ist er da, der Streit, der über dem Treffen hängt.

Felix Genn, der Bischof am Altar, gehörte zu der Delegation, die Donnerstag vor einer Woche nach Rom fuhr, um dort zu diskutieren, ob in Ausnahmefällen evangelische Ehepartner die Kommunion empfangen dürfen. Eine Dreiviertelmehrheit der Bischofskonferenz hatte dem zugestimmt, sieben Bischöfe, an der Spitze Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki, hatten dagegen einen Brandbrief nach Rom geschrieben: Die Frage berühre die Lehre der Kirche und könne nicht von der Bischofskonferenz entschieden werden. Ein Treffen in Rom sollte Klarheit bringen, doch am Ende bat Papst Franziskus die Deutschen, sie mögen die Sache daheim und einmütig regeln.

Ein halber Erfolg für den Bischofskonferenzvorsitzenden und Münchner Kardinal Reinhard Marx, andererseits müssen nun die Hirten selber Wege zum Frieden suchen. Das wird mühsam, weil es auch generell um die Frage geht, wie weit Reformen in der katholischen Kirche gehen können und sollen: Was tun, wenn es in vielen Gemeinden üblich ist, dass Evangelische zur Kommunion gehen, wenn sich viele Katholiken verheiratete Männer und auch Frauen im Priesteramt vorstellen können?

Auf dem Katholikentag sind jene in der Mehrheit, die hoffen, dass die neue Offenheit des Papstes auch in Deutschland Folgen hat. Als der mit einer Katholikin verheiratete evangelische Christ und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch zur Eröffnung des Treffens sagte, er hoffe auf eine gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie, war der Applaus gewaltig. "Das ist kein Thema mehr bei uns in der Gemeinde", hört man in Münster oft.

Steinmeier kritisiert Kreuz-Erlass

Ungewöhnlich offen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sich von der Verordnung der bayerischen Landesregierung distanziert, dass in den Gebäuden des Freistaats ein Kreuz aufgehängt werden soll. Es gebe eine Sehnsucht "nach Identität, nach Orientierung, nach Halt im Strom einer rastlosen Zeit", sage er; es sei für ihn auch selbstverständlich, "dass unser Land zutiefst christlich geprägt ist, dass wir uns selber und unsere Kultur ohne unsere christliche Geschichte nicht verstehen können". Aber, so Steinmeier: "Was sonntags in den Gottesdiensten fehlt, kann das Kreuz im Behördeneingang nicht füllen." Die Trennung von Staat und Religion sei eine segensreiche Errungenschaft: "Der Staat hat die Religion nicht zu bevormunden, er hat sie aber auch nicht in Dienst zu nehmen, er darf sie nicht zum Instrument von Politik machen." Matthias Drobinski

"Ich frage die Leute doch nicht nach ihrem Taufschein", sagt Ute Hücker vom Katholischen Deutschen Frauenbund, die selber in ihrer Gemeinde Kommunionhelferin ist. Sie hat sich den türkisblauen Katholikentags-Schal, den man als Zeichen der Zugehörigkeit kaufen kann, von der Schulter quer über die Brust gebunden - wie die Stola, die ein Diakon im Gottesdienst trägt. "Ich trete für das Diakonat der Frau ein", sagt sie. Viele Frauen und Männer tun das in Münster. "Wir sehen doch, wohin der Priestermangel führt", ergänzt sie. Demnächst soll die vatikanische Kommission ihre Ergebnisse vorlegen, die forschen sollte, in welcher Weise in der alten Kirche Frauen Diakoninnen waren. Im Oktober werden die Bischöfe in Rom auch über die Zukunft des Zölibats reden. Ute Hücker hofft auf weitere Öffnungen ihrer Kirche: "Wir Frauen sind es leid, die tragenden Kräfte in den Gemeinden und doch von der Weihe ausgeschlossen zu sein."

Auf Öffnungen und Reformen hoffen in Münster viele. Trotzdem fehlt die große Euphorie, dass nun die katholische Kirche ganz anders wird, in neuer Weise attraktiv für Menschen jenseits des Milieus. "Dazu ist der Strukturwandel zu schmerzhaft, in dem wir stecken", sagt Theo Bolzenius, Sprecher des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, das den Kirchentag trägt. Tatsächlich findet in der katholischen Kirche Deutschlands, immerhin der größten Institution des Landes, ein an die Wurzeln und ans Selbstverständnis gehender Umbruch statt. In jedem Bistum werden Gemeinden zusammengelegt, mancherorts halbiert sich die Zahl oder drittelt sich gar - weil Pfarrer fehlen, die Zahl der Gottesdienstbesucher sinkt, Kirchen zu groß und zu teuer im Unterhalt geworden sind. Pfarrer sind immer häufiger überlastet, ihr Altersdurchschnitt steigt, zunehmend behelfen sich Bistümer mit Priestern aus dem Ausland, die dann kaum Deutsch sprechen und die Gewohnheiten in den Gemeinden nicht kennen.

"Das sorgt für Streit unter denen, die da fusionieren sollen, für Frust, Hilflosigkeit und das Gefühl, dass es nur noch bergab geht", sagt Bolzenius. Veranstaltungen, die dem entgegenwirken wollen, sind in Münster gefragt und überfüllt: Wie könnte es weitergehen bei uns? Wie kann man Jugendliche neu ansprechen, Berufstätige, Menschen, die mit den traditionellen Formen nichts mehr anfangen können, Menschen, die genau diese Tradition suchen?

Die Frauenbunds-Frau Ute Hücker möchte die Krise nicht nur negativ sehen: "Vielleicht verändert sie jenseits der großen Debatten die Kirche von unten her", sagt sie. Wenn Priester fehlen, müssen die Frauen und Männer in der Gemeinde ran. Wenn der Pfarrer aus Polen oder Indien kein Deutsch kann, predigt die Pastoralreferentin. Wenn man über jeden aktiven Christen froh ist, schrumpft der Streit, wer wie zur Kommunion eingeladen ist. "Der Satz von Papst Franziskus, die Wirklichkeit stehe über der Idee, könnte sich bewahrheiten", sagt sie.

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