Katastrophen - Mainz:Politologe hält Ampel-Regierung für stabil

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Mainz (dpa/lrs) - Die Ampel-Koalition von Malu Dreyer (SPD) in Rheinland-Pfalz wird nach Einschätzung des Mainzer Politologen Kai Arzheimer wegen der Flutkatastrophe nicht zerbrechen. "Malu Dreyer ist nach wie vor sehr beliebt", sagte der Wissenschaftler im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Mit dem Rücktritt des Innenministers - dem zweiten Kabinettsmitglied nach Umweltministerin Anne Spiegel - ist das Ungemach von Dreyer selbst und der Koalition erstmal abgewendet." Der Zusammenhalt in der Ampel-Koalition scheine zugleich "ganz gut zu sein", sagte Arzheimer. "Ich rechne jetzt nicht damit, dass die ganze Landesregierung zu Fall kommt."

"Dreyer ist nach dem Rücktritt von Innenminister Lewentz nicht so im Feuer. Außer, wenn nochmal neue Informationen ans Tageslicht kommen", sagte Arzheimer. "Die letzte Verteidigungslinie von Lewentz war ja, dass er es nicht für nötig befunden hat, die Ministerpräsidentin in der Flutnacht von ihren Personenschützern wecken zu lassen."

"Idealerweise hätten wir uns gewünscht, dass die Ministerin und der Minister in Mainz am Telefon sitzen und miteinander sprechen und das natürlich an sich ziehen", sagte Arzheimer über die zurückgetretenen Kabinettsmitglieder Anne Spiegel (Grüne) und Lewentz. Ob das technisch für den Katastrophenschutz etwas geändert hätte, könne er nicht beurteilen. "Wir hätten uns im Nachhinein aber ganz klar gewünscht, dass die Kommunikations- und Entscheidungswege in der Landesregierung besser gewesen wären", sagte Arzheimer. "Aber das man daraus jetzt versucht, Frau Dreyer etwas anzuhängen, ist ein Argument, das schwer zu machen ist."

Spiegel war im April als Bundesfamilienministerin zurückgetreten. Sie war zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe Umweltministerin in Rheinland-Pfalz gewesen und damit für den Hochwasserschutz zuständig.

Schon bei Lewentz habe es bis zum Rücktritt einige Zeit gedauert. "Es war eine Mischung aus Fehleinschätzungen, Widersprüchen, in die er sich verwickelt hat, und der völlig fatale Eindruck, dass er nicht sehr empathisch rangegangen ist", sagte Arzheimer mit Blick auf die Reaktion des Ministers auf die erst rund 14 Monate nach der Katastrophe aufgetauchten Flutvideos der Polizei. Seine Aussage, er hätte auch nicht anders entschieden, wenn er die Videos in der Flutnacht bereits gekannt hätte, "kann man vielleicht nachvollziehen, sie kam aber sehr unglücklich an".

"Das kann ich mir jetzt bei Dreyer in dieser Form nicht vorstellen", sagte Arzheimer. Zwar gebe es auch eine Nachricht an einen Mitarbeiter, den Dreyer aufgefordert habe, "mal drei Sätze Mitgefühl aufzuschreiben", aber dies sei heute bei den stark unter Druck stehenden Politikern, die ihre Reden nicht selbst schreiben "nicht absurd".

Kritiker versuchten natürlich, dies zu unterminieren, "weil man immer sagt, dass Dreyer nah an den Menschen dran ist und weil das ihr Kapital ist" und sie versuchten zu zeigen, "die spielt das ja nur". "Das ist aber nicht meine Einschätzung", sagte Arzheimer. Er könne sich dies auch bei Lewentz nicht vorstellen. "Das war bei ihm einfach etwas unglücklich dargestellt und hat mit zu seinem Rücktritt beigetragen. Empathie ist - glaube ich - nicht seine Gabe gewesen."

Die Landtags-Opposition versucht unterdessen den Druck auf Dreyer erhöhen. Auf Antrag der AfD wird die Regierungschefin voraussichtlich noch im November zum zweiten Mal im Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe des Landtags aussagen. Die CDU hat ihr einen Katalog mit 15 Fragen zur Flutkatastrophe geschickt und um Beantwortung gebeten. Die größte der drei Oppositionsparteien will unter anderem wissen, ob Dreyer denkt, dass Lewentz sie in der Flutnacht am 14. Juli 2021 ausreichend informiert hat. Eine andere Frage lautet: "Hätte die Landesregierung in der Flutkatastrophennacht konkret einen Beitrag leisten können, um Menschenleben zu retten?"

Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, sagt: "Zunächst müssen erst einmal die Mitarbeiter des Lagezentrums des Innenministeriums im Zeugenstand mit den neuerlichen Erkenntnissen konfrontiert werden." Dies ist am 4. November in der öffentlichen Sitzung zum Thema "Krisenmanagement" geplant. "Erst danach kann man die Frage beantworten, ob es Sinn macht, die Ministerpräsidentin erneut zu laden."

© dpa-infocom, dpa:221027-99-277612/2

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