Katastrophe in Ungarn:Giftschlamm erreicht Donau

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Die toxische Brühe aus einer Aluminiumfabrik in Westungarn ist bis zur Donau gespült worden. Helfer versuchen mit aller Kraft, ihr Ökosystem zu retten - in einem weiteren Fluss sind bereits alle Fische verendet.

Der Giftschlamm aus dem geborstenen Abfallbecken in Westungarn hat einen Donau-Seitenarm in Györ erreicht. Wenige Stunden zuvor war die rote laugenhaltige Substanz aus dem Flüsschen Marcal in den Donau-Nebenfluss Raab gelangt. Laut Wasserbehörde wurden am Zusammenfluss von Raab und Donau pH-Werte zwischen 8,96 und 9,7 festgestellt worden. Werte zwischen sechs und acht sind neutral.

Ein Helfer hält in Györ am Ufer der Marcal einen toten Fisch in der Hand. Das Ökosystem ist durch den giftigen Schlamm komplett gekippt, (Foto: AFP)

Das Ökosystem der Marcal ist nach Angaben eines Verantwortlichen des Katastrophenschutzes bereits zerstört. Die "sehr hohen alkalischen Werte haben alles zerstört", sagte der örtliche Leiter des Katastrophenschutzes, Tibor Dobson, der Nachrichtenagentur MTI.

"Alle Fische sind tot und wir konnten auch die Vegetation nicht retten." Es sei versucht worden, den Laugengehalt durch die Zugabe von Gips in den Fluss zu verringern, sagte Dobson. "Aber es war umsonst."

Nun sei das Ziel, den pH-Wert in den Flüssen Raab und Donau unter den Wert von neun zu bekommen, damit die dortigen Ökosysteme geschützt würden.

Györ liegt rund 120 Kilometer westlich von Budapest. An dem Donau-Nebenfluss Raab fanden die Helfer bisher keine toten Fische. Andere Umweltschäden wurden hier ebenfalls nicht gemeldet.

An der Einmündung der Raab in die Moson-Donau - auch Kleine Donau genannt - wurde am Vormittag ein ph-Wert von 9,3 gemessen.

Dennoch drohe der Raab und Donau voraussichtlich keine unmittelbare Gefahr, weil sich die Brühe in den Gewässern verdünne und die Einsatzkräfte die laugenhaltige Substanz durch das Hineinschütten von Gips neutralisierten, teilte der Katastrophenschutz mit.

"Hier kann man nicht mehr leben"

Ministerpräsident Viktor Orbán sprach bei seinem Besuch im dem besonders stark betroffen Dorf Kolontár von einer noch nie dagewesenen ökologischen Katastrophe in Ungarn. "Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden. Wäre dies bei Nacht passiert, wären nun alle tot", sagte er.

Der rechtskonservative Regierungschef zeigte sich von dem Ausmaß der Katastrophe betroffen. "Hier kann man nicht mehr leben", sagte er in dem am schlimmsten betroffenen Ortsteil. "Wahrscheinlich wird man hier im Dorf eine neue Siedlung bauen müssen", sagte Orbán. "Das hier wird man voraussichtlich als Memento für die Ewigkeit einzäunen müssen", fügte er hinzu.

Er kündigte an, dass Ungarn Hilfe von der Euopäischen Union beantragen werde - und bekräftigte seine Einschätzung, hinter dem Unglück stehe menschliches Versagen.

Giftschlamm-Desaster in Ungarn
:Kampf gegen die Brühe

Die Bewohner des Katasrophengebiets in Ungarn müssen sich auf lange Aufräumarbeiten einstellen. Manche halten den Kampf gegen Giftschlamm bereits für aussichtlos.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat von den Eigentümern des Alu-Werks MAL (Magyar Alumínium) bereits die volle Übernahme aller Kosten gefordert. Die Gesellschafter müssten nicht nur alle Schäden gründlich beseitigen lassen, sondern der betroffenen Bevölkerung auch Schadenersatz zahlen, verlangte die österreichische Greenpeace-Sektion in Wien.

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Greenpeace wies darauf hin, dass die beiden Hauptaktionäre der Firma zu den 30 reichsten Ungarn zählen. "Dagegen ist die Ankündigung der Firma MAL, den Menschen eine Entschädigung von lediglich 110.000 Euro zu zahlen, nicht nur inakzeptabel, sondern angesichts der Todesfälle, der Verletzten und der Schäden vor Ort hochgradig zynisch", erklärte die Organisation. "Angesichts der Tragödie wäre es mehr als angebracht, wenn die beiden Eigentümer die seit fünfzehn Jahren angesammelten Gewinne aus ihren Aluminium-Geschäften den Opfern des Unfalls zur Verfügung stellen", forderte der Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster.

Bei den beiden Hauptaktionären handelt sich laut Greenpeace um den Ungarn Lajos Tolnay und die Industriellen-Familie Bakonyi, deren Sohn Zoltan Bakonyi auch als Geschäftsführer von Magyar Alumínium tätig sei. Den beiden wird auch ein nahes Verhältnis zur ungarischen Spitzenpolitik nachgesagt.

"Es schlummern noch gefährlichere Giftcocktails"

Die Umweltorganisation WWF hat indes striktere Kontrollen gefährlicher Industrieanlagen in Europa gefordert. Es sei "ein Hohn", dass nach EU-Vorgaben der Rotschlamm als nicht hochgradig gefährlich eingestuft werde, erklärte der WWF-Süßwasserexperte Martin Geiger in Frankfurt am Main. Es stelle sich die Frage, welche Katastrophen noch zu erwarten seien bei den zahlreichen Haltebecken der Industrie, "in denen mitunter noch gefährlichere Giftcocktails schlummern". Laut WWF gibt es allein in Ungarn noch weitere 60 ähnliche Rückhaltebecken für Industrieschlamm.

Die Schlammlawine hatte am Montag vier Menschen getötet und mehr als 120 verletzt. Mehr als 200 Häuser wurden zerstört oder beschädigt. Hunderte Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Umweltschützer befürchten Langzeitfolgen wegen des Einsickerns der laugen- und schwermetallhaltigen Brühe ins Grundwasser. Der Schlamm ist das Abfallprodukt bei der Herstellung von Aluminium.

© dpa/dapd/Reuters/kat - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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