Atomkatastrophe in Japan:"Wettlauf gegen Zeit und Strahlung"

Knapp vier Wochen nach dem Beben hat die Polizei in der Sperrzone um Fukushima-1 die Suche nach Todesopfern ausgeweitet. Südkorea schließt unterdessen mehr als 100 Schulen aus Angst vor verseuchtem Regen. In einer Woche soll der erste Frachter, der Japan nach der Reaktorkatastrophe verlassen hat, Deutschland erreichen.

Nach dem schweren Erdbeben und dem Tsunami in Japan suchen Bergungstrupps an der verwüsteten Nordostküste nun verstärkt nach Todesopfern. Hunderte Polizisten und Soldaten rückten aus, um Leichname zu finden, bevor sie bis zur Unkenntlichkeit verwest sind.

Atomkatastrophe in Japan: In weißer Strahlenschutzmontur suchen Polizisten in der Sperrzone um Fukushima-1 nach Todesopfern des Bebens.

In weißer Strahlenschutzmontur suchen Polizisten in der Sperrzone um Fukushima-1 nach Todesopfern des Bebens.

(Foto: AP)

Vor allem in der Sperrzone um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima-1 hatte radioaktive Strahlung die Suche bislang verzögert. Bei der Katastrophe sind vermutlich mehr als 25.000 Menschen ums Leben gekommen. 12.500 Todesfälle wurden bislang bestätigt. Mehr als 14.700 Menschen werden noch vermisst. Die Zahlen überschneiden sich zum Teil, weil noch nicht alle geborgenen Toten identifiziert werden konnten.

"Wir müssen sie jetzt finden, weil die Leichen verwesen", erklärte der Polizeisprecher der Präfektur Fukushima. "Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen die Gefahr radioaktiver Strahlung." 330 Polizisten und 650 Soldaten in weißer Strahlenschutzmontur durchkämmten am Donnerstag die Gegend. Sie konzentrierten sich dabei auf die evakuierten Gebiete im Umkreis zwischen zehn und 20 Kilometern um das Kraftwerk.

Wird die Evakuierungszone ausgeweitet?

Die Regierung überlegt nun, auch den geflohenen Menschen eine kurze Rückkehr in die Sperrzone zu erlauben. Derzeit werde geprüft, wie die Sicherheit zu gewährleisten sei, damit die Menschen noch Wertgegenstände und andere Dinge holen können.

Gleichzeitig deutete ein Regierungssprecher an, die Evakuierungszone von 20 Kilometern könne möglicherweise ausgedehnt werden, wie das unter anderem die Internationale Atomenergiebehörde und Experten aus dem Ausland gefordert hatten. Anordnungen zur Evakuierung würden ausgesprochen, wenn das Risiko einer Strahlenbelastung von mindestens 50 Millisievert bestehe, sagte der Sprecher. Dieser Grenzwert berücksichtige aber nicht die Folgen einer langfristigen Bestrahlung. Dies solle nun gemeinsam mit Experten auf den Prüfstand gestellt werden.

In Südkorea wurden derweil mehr als 120 Schulen aus Angst vor radioaktivem Niederschlag geschlossen. Die Unterrichtsbehörden in der Provinz Gyeonggi im Nordwesten des Landes stellten es den Schulen frei zu schließen, hieß es. Hintergrund sind vorhergesagte Regenfälle, die radioaktiven Niederschlag aus den havarierten japanischen Atomreaktoren von Fukushima-1 bringen könnten.

Die Behörden wiesen darauf hin, dass die erwarteten radioaktiven Niederschläge keine Gesundheitsgefahr darstellten. Insgesamt haben 126 Schulen von der Möglichkeit zur Schließung Gebrauch gemacht, weitere 43 haben den Unterricht verkürzt.

In Bremerhaven wird voraussichtlich am 16. April das erste Containerschiff eintreffen, das Japan nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima verlassen hat. Es sei aber kaum damit zu rechnen, dass die Carsten Maersk eine radioaktive Belastung trage, sagte ein Sprecher des Bremer Hafensenators

Aufklärungsdrohne zur Strahlenmessung

Unterdessen steht der Kraftwerksbetreiber Tepco weiterhin unter Druck, die Atomkrise unter Kontrolle zu bekommen. Nachdem Tepco-Präsident Masataka Shimizu vor acht Tagen wegen Bluthochdrucks und Schwindelgefühlen in ein Krankenhaus eingeliefert worden war, kehrte er laut einem Unternehmenssprecher am Donnerstag an seinen Arbeitsplatz zurück.

Stickstoff zur Verdünnung

Im zerstörten Atomkraftwerk Fukushima-1 füllen die Arbeiter weiter Stickstoff in das Reaktorgehäuse von Kraftwerksblock 1. Damit wollen sie verhindern, dass es in den zerstörten Reaktorgebäuden erneut zu Wasserstoff-Explosionen wie kurz nach der Havarie kommt. Die Arbeiten waren in der Nacht gestartet worden und sollen in den kommenden Tagen fortgesetzt werden, wie Tepco mitteilte.

Atomkatastrophe in Japan: In weißer Strahlenschutzmontur suchen Polizisten in der Sperrzone um Fukushima-1 nach Todesopfern des Bebens.

In weißer Strahlenschutzmontur suchen Polizisten in der Sperrzone um Fukushima-1 nach Todesopfern des Bebens.

(Foto: AP)

Die Brennstäbe im Reaktorblock 1 hatten zeitweise aus dem Kühlwasser geragt und sich gefährlich erhitzt. Dadurch könnte sich das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff getrennt haben. In diesem Fall stiege das Risiko einer Knallgasexplosion. Mit Stickstoff lässt sich das gefährliche Gemisch verdünnen. Stickstoff ist reaktionsträge, so dass unerwartete chemische Reaktionen ausgeschlossen sind. Neben Block 1 wird daher auch in den Reaktorblöcken 2 und 3 Stickstoff eingefüllt. Eine unmittelbare Explosionsgefahr bestehe aber nicht, sagte ein Sprecher der Atomsicherheitsbehörde. Es handele sich um Vorbeugung.

Dennoch gab die Atomsicherheitsbehörde zu bedenken, dass durch die Zuführung des Gases radioaktive Substanzen aus dem Reaktorsicherheitsbehälter entweichen könnten. Die Behörde wies Tepco an, die Strahlung in der Umgebung genau zu beobachten.

Japan will mit einem unbemannten US-Flugzeug die Strahlenbelastung über dem havarierten Atomkraftwerk prüfen. Das ferngesteuerte Flugzeug vom Typ T-Hawk solle vor allem im Umfeld der Wasserbecken, in denen Brennstäbe lagerten, Messungen anstellen. Die Nutzung der Drohne sei Japan von der US-Regierung angeboten worden, berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo. US-Außenministerin Hillary Clinton will offenbar nächste Woche Japan besuchen.

Das japanische Kaiserpaar kündigte am Donnerstag einen Besuch in der Katastrophenregion im Nordosten des Landes an. Staatsoberhaupt Akihito und seine Frau Michiko wollten den Menschen persönlich Mut machen. Den beiden sei es dabei wichtig, dass sie mit ihrem Besuch niemandem zur Last fallen, gab das Haushofamt bekannt.

Milliarden-Kredite gegen die Krise

Die Bank of Japan (Nichigin) greift den Banken in der Katastrophenregion im besonders betroffenen Nordosten mit Milliarden-Krediten unter die Arme. Zum Abschluss zweitägiger Beratungen beschloss die Zentralbank ein Kreditprogramm für die betroffenen Banken in Höhe von bis zu einer Billion Yen (8,2 Milliarden Euro). Die Kredite sind zu lediglich 0,1 Prozent verzinst und laufen über ein Jahr. Sie sollen den Banken ermöglichen, von der Krise betroffene Firmen mit frischem Geld zu versorgen.

Zudem will die japanische Notenbank den Leitzins bei praktisch null belassen, um die schleppende Wirtschaft des Landes zu stützen. Bereits seit vergangenem Oktober liegt der Leitzins in Japan bei 0,0 bis 0,1 Prozent.

Seit dem schweren Erdbeben und dem anschließenden Tsunami am 11. März hat die Notenbank mehr als 80 Billionen Yen (657 Milliarden Euro) in die Finanzmärkte gepumpt. Die Zentralbank senkte ihre allgemeine Einschätzung der wirtschaftlichen Lage des Landes. "Die japanische Wirtschaft steht wegen des Erdbebens unter erheblichem Abwärtsdruck, vor allem die Produktion", hieß es. Weite Teile des Nordostens sind noch immer verwüstet, die Schäden in Folge der Havarie des Atomkraftwerks Fukushima-1 kaum abzuschätzen.

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