Katastrophe in Haiti:Beben verwüstet das Armenhaus Amerikas

Ein schweres Erdbeben hat den Inselstaat Haiti erschüttert. Die Welthungerhilfe rechnet mit Tausenden Todesopfern. Der Präsidentenpalast wurde zerstört.

Ein starkes Erdbeben hat den Karibikstaat Haiti erschüttert. Aller Wahrscheinlichkeit nach kamen dabei Tausende Menschen ums Leben. Dem Beben der Stärke 7,2 folgten in der Nacht zum Mittwoch mehr als zehn Nachbeben. Behörden und Helfer haben nur wenig konkrete Informationen über das Ausmaß der Katastrophe: Da es Stunden nach dem Beben dunkel wurde und das Telefonnetz zusammenbrach, ist die Lage in der schwer getroffen Hauptstadt Port-au-Prince bis jetzt unübersichtlich.

Haiti, AFP

Zerstörte Häuser, verstörte Menschen: Nach dem Beben herrscht Ausnahmezustand auf den Straßen von Port-au-Prince. Wie viele Menschen dem Erdstößen zum Opfer gefallen sind, ist noch nicht abzusehen.

(Foto: Foto: Reuters)

Die Welthungerhilfe rechnet mit Tausenden Toten. Michael Kühn, Koordinator der Deutschen Welthungerhilfe in Haiti, sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Ich gehe davon aus, dass die Zahl erschreckend hoch sein wird." Er habe in Port-au-Prince Tote und viele Verletzte gesehen. Menschen seien schreiend durch die Straßen gelaufen, viele beteten.

Der Botschafter Haitis in den USA, Raymond Joseph, sagte: "Ich befürchte, es ist wirklich eine Katastrophe großen Ausmaßes." Große Gebäude wie Hotels, Geschäfte und Bürogebäude sind in Port-au-Prince eingestürzt, berichtete ein Mitarbeiter der US-Hilfsorganisation Food for the Poor. Auch der Präsidentenpalast wurde in großen Teilen zerstört.

Der haitianische Präsident René Préval und seine Frau überstanden das Erdbeben unbeschadet. Dies bestätigte die Präsidentengattin, Elisabeth Débrosse Delatour, nach Angaben Josephs in einem Telefonat.

"Wenn diese Gebäude beschädigt sind, können sie sich vorstellen, was mit all den wackligen Behausungen an den Hängen rund um Port-au-Prince passiert ist", sagte Joseph.

Zahlreiche UN-Mitarbeiter vermisst

Erste Bilder zeigten völlig zerstörte Häuser. Die Vereinten Nationen teilten mit, dass auch das Hauptquartier der MINUSTAH-Mission (Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti) stark beschädigt worden sei.

Acht chinesische Blauhelme wurden verschüttet. Zehn weitere Mitglieder der UN-Friedenstruppen würden noch vermisst, sagte der Vizepräsident der chinesischen Erdbeben- und Katastrophenhilfe der Zeitung China Daily.

In dem rund neun Millionen Einwohner zählenden Land sind seit 2004 UN-Friedenstruppen im Einsatz. Die Einheit setzt sich aus rund 7000 Soldaten aus 18 Ländern und 1600 Polizisten zusammen. Laut UN werden zahlreiche UN- Mitarbeiter in Haiti vermisst. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zeigte sich "sehr besorgt" und sagte: "Nach diesem verheerenden Erdbeben ist mein Herz beim Volk von Haiti."

Eine Überlebende berichtete per E-Mail: "Es ist schrecklich. Ich glaube, es gibt viele Tote." Vor allem in den Slums seien viele Hütten und Behausungen eingestürzt. Außerdem seien in der Geschäftsstraße Delmas viele Gebäude zusammengebrochen. Ein Kinderkrankenhaus, zwei Ministerien und ein Geschäftsgebäude, in dem unter anderem die Vertretung der Europäischen Union ihre Büros hat, seien ebenfalls schwer beschädigt worden.

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Nach Angaben des seismologisch-geologischen Institutes der USA lag das Epizentrum etwa 16 Kilometer südwestlich von Port-au-Prince in zehn Kilometer Tiefe. Das Beben habe sich am Dienstag um 16:53 Uhr Ortszeit (22:53 Uhr MEZ) ereignet und ist nach Angaben der US-Erdbebenwarte (USGS) in Golden, Colorado, das schwerste in Haiti seit 1770.

Ein so schweres Beben hat es in Haiti mindesten 150 Jahren nicht mehr gegeben. Das letzte sehr große Beben sei 1860 registriert worden, sagte Jochen Zschau vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ). Die Ränder der tektonischen Platten in dem Bereich hätten sich auf einen Schlag rund ein bis zwei Meter verschoben. Die Erschütterungen mit einer Stärke von etwa 7,2 seien an der Grenze zwischen karibischer und nordamerikanischer Platte entstanden.

Für mehrere Karibikstaaten galt zunächst eine Tsunami-Vorwarnstufe, die aber im Verlauf der Nacht wieder zurückgenommen wurde. Mehr als zehn Nachbeben versetzten die Menschen in Angst und Schrecken. Sie erreichten eine Stärke von mehr als 5,0.

Die internationale Hilfe läuft an

Die Bundesregierung stellt Haiti 1,5 Millionen Euro Soforthilfe für die Notversorgung der Opfer zur Verfügung. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) berief einen Krisenstab ein und informierte das Kabinett über erste konkrete Hilfsmaßnahmen nach dem verheerenden Erdbeben, teilte das Auswärtige Amt (AA) mit.

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(Foto: SZ-Karte)

"Deutschland wird Haiti zur Seite stehen"

Bundespräsident Horst Köhler zeigte sich "zutiefst bestürzt" über die Folgen des schweren Erdbebens. Bei dem Neujahrsempfang für das diplomatische Corps in Berlin sprach er dem Botschafter des Landes, Jean Robert Saget, seine tief empfundene Anteilnahme aus. Er sicherte dem Land Hilfe zu. "Deutschland wird Haiti zur Seite stehen", sagte Köhler.

Nach dem schweren Erdbeben in Haiti hat die EU-Kommission eine Nothilfe von drei Millionen Euro zugesagt. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sei von der Naturkatastrophe tief betroffen, sagte Chefsprecherin Pia Ahrenkilde-Hansen am Mittwoch in Brüssel. Das Geld solle vor allem der notleidenden Bevölkerung des Inselstaats zugute kommen. Es sollten Medikamente, Decken und frisches Wasser bereitgestellt werden. Die Kommission werde sofort sechs Experten in das Krisengebiet schicken.

Die USA schickten bereits am Dienstagabend (Ortszeit) erste Rettungsmannschaften mit Spürhunden auf den Weg nach Haiti. Auch sollten umgehend 48 Tonnen Hilfsmaterial in den Karibikstaat gebracht werden, kündigte ein Vertreter der US-Behörde für internationale Entwicklung in Washington an. US-Präsident Barack Obama sagte: "Meine Gedanken und Gebete sind bei denen, die von dem Erdbeben betroffen sind."

Frankreich schickte am Mittwoch zwei Flugzeuge mit Hilfsgütern und je etwa 60 Rettungskräften an Bord nach Haiti. Auch Kanada und mehrere Länder Lateinamerikas boten ihre Hilfe an. Augenzeugenberichten zufolge stürzte auch das Flughafengebäude ein. Der Flughafen in Port-au-Prince soll noch funktionsfähig sein.

Chinas Außenministerium äußerte sein Bedauern und sagte Soforthilfe zu. Rettungstrupps mit Suchhunden und Hilfsgütern wurden am Mittwoch nach Haiti geflogen, um bei den Bergungsarbeiten zu helfen.

Haiti, das Armenhaus Amerikas

Die Vereinten Nationen haben nach dem schweren Erdbeben in Haiti 30 internationale Hilfeteams mobilisiert. Auch die Internationale Föderation vom Roten Kreuz und Roten Halbmond (ICRC) ist bereits in der betroffenen Region aktiv, wie in Genf mitgeteilt wurde. Dutzende Helfer arbeiteten in den völlig überlasteten Krankenhäusern - wo es noch möglich sei.

Personal des regionalen UN-Büros in Panama sei in Richtung Dominikanische Republik gestartet, wo Hilfsmittel verfügbar seien, hieß es beim UN-Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA). Die Dominikanische Republik ist das Nachbarland Haitis. Auch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) verfügt über Notfallvorräte in der Region.

Die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) gab ihrerseits 200.000 Dollar (140.000 Euro) Soforthilfe frei. Mit dem Geld sollten Wasser, Lebensmittel und Medikamente für die Opfer des Erdbebens finanziert werden, erklärte IDB-Präsident Luis Alberto Moreno.

Papst Benedikt XVI. rief weltweiter Hilfe für den Karibikstaat Haiti auf. "Ich appelliere an die Großzügigkeit aller, unseren Brüdern und Schwestern in diesem Moment des Schmerzes und der Not unsere Solidarität und die konkrete und mögliche Unterstützung der internationalen Gemeinde nicht zu verwehren", sagte der Papst. Die katholische Kirche werde ihrerseits so schnell wie möglich über ihre Hilfsorganisationen agieren, um den dringendsten Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenzukommen, versprach Benedikt am Ende der allwöchentlichen Generalaudienz. Der Großteil der Haitianer ist katholisch.

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