Süddeutsche Zeitung

Karriere nach unten:Millionär wird Tellerwäscher

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Die Geschichte eines Karrieristen, dessen Leben sicher schien. Plötzlich aber waren die Auftraggeber weg. Einst genoss er einen Dispo-Kredit über 25000 Euro, heute genießt er mitunter Essen aus Konservendosen. Seine Zuversicht aber bleibt.

Matthias Drobinski

Die Stimme ist seit zwei Jahren auf dem Anrufbeantworter. Sie ist sonor und erklärt beruhigend, dass die Gegenseite sicher zahlen werde. Um 150000 Euro ging der Streit mit einem seiner Auftraggeber, für Werner Obermüller keine ungewöhnliche Summe.

Da begriff er noch nicht, dass das Fundament seines Lebens hohl geworden war, dass er bald vor einer Sachbearbeiterin des Sozialamts sitzen würde.

Im traurigen Märchen vom Millionär, der Tellerwäscher wird, spielt Obermüller die Hauptrolle. Und weil er nicht gestorben ist, gehört er auch heute noch zu der Gruppe, die jetzt im Soziologendeutsch Prekariat heißt, weil alles in ihrem Leben unsicher ist.

Ein Projekt hat, wer noch lebt

Werner Obermüller heißt nicht so und möchte auch nicht, dass man schreibt, wo er im Münchner Umland wohnt. Er arbeitet wieder an einem Projekt, er muss noch ein paar Geldgeber überzeugen von seinen Visionen, doch deren Imaginationskraft nimmt ab, wenn sie merken, in welcher Lage der Visionär steckt.

Wer ein Projekt hat, der hat sich noch nicht aufgegeben, dessen Hirnzellen arbeiten noch, auch mit 44, wo man unter Werbeleuten schon zu den Dinosauriern gehört.

Matthias Horx, der Zeitgeistschreiber, hat jüngst ein Loblied auf das Prekariat gesungen, auf die flexiblen Menschen, für die es keine Anstellungen gibt, sondern Herausforderungen.

In seinem früheren Leben hätte Obermüller mitsingen können. Er war Innenarchitekt, Designer und Marketing-Profi, hatte Aufträge von großen Firmen, vom Freistaat Bayern. Dass er ein Einzelgänger blieb, eine "One-Man-Show", wie er sagt, fiel nicht auf. Der in Projekten lebende Einzelgänger war der Prototyp der Neunziger.

Dispo: 25000 €

Es kam die Lungenentzündung, 2002. Als er wieder gesund war, hatte er das größte Projekt seines wichtigsten Auftraggebers verloren. Er habe den Termin nicht halten können, hieß es dort.

"Die wollten mich loswerden, weil sie sparen mussten", sagt Obermüller. Es begann der Kampf um die 150000 Euro, und der erfolgsgewohnte PR-Mann verkämpfte sich. Er schaltete teure Anwälte ein, verlängerte seinen Rahmenvertrag nicht mehr, ohne sich um Ersatz zu kümmern.

Ja, er hat Fehler gemacht. Zum Beispiel die Sache mit Dubai. Der Wüstenstaat fördert Kunst und Kultur, und Obermüller wollte mitfördern. Doch die Aufträge bekamen andere, die Kosten hatte er.

25000 Euro Überziehungskredit hatte er bei seiner Bank, er nutzte ihn weidlich. Bis die Kreditlinie plötzlich bei null war. Er versuchte, an andere Aufträge zu kommen. Doch die Werbebranche steckte in der Krise, und was an Aufträgen übrig war, schnappte sich die junge Garde des Prekariats: billige Mittzwanziger, wie er selber einmal einer war.

So saß er eines Tages der jungen Sachbearbeiterin beim Sozialamt gegenüber, und es muss für beide Seiten kein schönes Treffen gewesen sein. Er haderte mit der Bürokratie, sie hatte einen lebenswütenden Meckerer vor sich sitzen.

"Vieles von Hartz IV finde ich richtig", sagt Obermüller, "das Problem sind die bornierten Leute, die es umsetzen sollen." Er, der englisch korrespondiert hatte, sollte ein Seminar für Hauptschüler belegen.

Er warf Ein-Euro-Jobs hin, weil er die dumpfe Ergebung der Langzeitarbeitslosen nicht ertrug. Kam ein Auftrag, fiel das Arbeitslosengeld weg; war das Geld weg, beantragte er es neu. Dazwischen gab es Tage, da hatte er nicht einen Euro.

Er war nicht vorbereitet auf die Armut. Auf einmal war selbst das Geld für Reis und Bohnen nicht da, er hungerte, seitdem hat er immer einige Konserven im Schrank stehen.

Kein Geld für Briefmarken

Er ließ sich die Briefmarken auf Rechnung schicken, weil er sie nicht bar bezahlen konnte. Wie viel Schulden er hat, weiß er nicht; "ich weigere mich, sie zusammenzuzählen," sagt er trotzig.

Es folgte der soziale Tod: Was er für Freundschaften gehalten hatte, löste sich in Luft auf. Die Tage verloren ihre Struktur zwischen sinnlosen Bewerbungen und den verzweifelten Versuchen, ohne Geld zu überleben. "Man wird ein anderer Mensch", sagt Obermüller. Man wird sich selbst und anderen zum Ekel.

Die Behinderten haben ihn gerettet. Er hat sich in einer evangelischen Einrichtung gemeldet, "um wenigstens einmal die Woche etwas Sinnvolles zu tun". Es waren ältere Menschen, er hat einfach erzählt und sie einfach erzählen lassen; verstanden haben sie sich nicht immer, "aber es waren die ersten normalen Menschen seit langem".

Eine befreundete Familie übernahm seine Miete. Er arbeitet nun am Wochenende Schicht für 7,31Euro. Aber er hat vorerst nichts mehr mit dem Sozialamt zu tun.

Bald, sagt er, ist er wieder auf den Beinen: "Ich bin kein Abgestürzter". Er hat ja sein Projekt. Wer ein Projekt hat, lebt.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2006
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