Kölle Alaaf:Karneval und Krieg

Kölle Alaaf: Eröffnung des Straßenkarnevals: Das Kölner Dreigestirn Prinz Sven I. (Mitte), Bauer Gereon (rechts) und Jungfrau Gerdemie auf dem Alter Markt.

Eröffnung des Straßenkarnevals: Das Kölner Dreigestirn Prinz Sven I. (Mitte), Bauer Gereon (rechts) und Jungfrau Gerdemie auf dem Alter Markt.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Köln feiert erst Weiberfastnacht - und sagt dann seinen Rosenmontagszug ab. Ein jecker Balanceakt.

Von Christian Wernicke

Es ist die Kölner K-Frage: Karneval im Angesicht des Kriegs - geht das? Pünktlich um 11.11 Uhr versuchen sich die Narren an einer Antwort. "Drei, zwei, eins - Alaaf", dröhnt es aus den Lautsprechern auf dem Alter Markt. Das Volk jubelt, Konfetti fliegt, Böller krachen. Also Weiberfastnacht, als wäre nichts passiert an diesem 24. Februar 2022? Für das Kölner Dreigestirn ruft Jungfrau Gerdemie ins Mikrofon, man wolle hier keinesfalls "vorbeischunkeln" an den Sorgen der Menschen: "Aber wir lassen uns nicht die Grenzen des Frohsinns von Menschen bestimmen, die Freiheit und Frieden mit Füßen treten."

Es ist ein jecker Balanceakt, auch für Henriette Reker. Eine Stunde vor Karnevalsausbruch empfängt Kölns Oberbürgermeisterin das Dreigestirn im Rathaus. Reker wirkt bedrückt, nach den Frühnachrichten hat sie beschlossen, diesmal in Zivil zu erscheinen: Ihre Uniform der Roten Funken bleibt im Schrank. Ohne Schminke, ohne Karnevalsperücke tritt Reker vor drei Dutzend versammelte Karnevalisten, tastet nach Worten, um irgendwie den Spagat zu schaffen zwischen dem Beginn von Fastelovend und dem Ende des Friedens in Europa. "Meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den Bewohnern der Ukraine", sagt sie, "und bei den Soldaten auf beiden Seiten." Dreißig Sekunden Trauerminute, dann dreimal "Kölle-Alaaf!" Später fällt einer Karnevalsfunktionärin noch dieser Satz ein: "Make love, not war."

Im Gespräch nach dem Festakt beteuert Reker, sie selbst werde in dieser fünften Jahreszeit keinesfalls mehr feiern. Den Kneipen- und Straßenkarneval jedoch verbieten dürfe sie nicht. Eine Ausgangssperre verfügen oder die Kneipen schließen - "das müsste die Landesregierung tun". Einen öffentlichen Appell, auf allen Karneval im Krieg zu verzichten, mag sie nicht an ihre Kölner richten. Obwohl ihr schwant: "Das wird Bilder geben, die Kopfschütteln verursachen." Hinter den Kulissen wird die Oberbürgermeisterin deshalb deutlicher: Sie drängt die Karnevalsgesellschaften, den Rosenmontagszug - wie anno 1991 während des Irakkriegs - abzusagen. Am Nachmittag kündigt das Festkomitee an, statt zum "Zoch" lade man zur Friedensdemo, samt Persiflage-Wagen zur Lage in Osteuropa.

"Sich blau-gelb schminken statt rot-weiß."

Schon am Donnerstag um 14 Uhr demonstrieren ein paar Hundert Kölner gegen Putins Krieg auf dem Neumarkt. Tatiana Dettmer freut das, die Wahlkölnerin stammt aus der Ukraine: "Die Gefahr ist näher, als viele Deutsche glauben", sagt sie, "Putin hat nicht nur der Ukraine den Krieg erklärt - auch dem Westen." Die 45-jährige Historikerin versteht, dass viele Kölner dennoch feiern wollen: "Aber sie sollten dabei Solidarität zeigen." Wie? "Indem sie ukrainische Fahnen mitnehmen, oder sich blau-gelb schminken statt rot-weiß."

Am Morgen hat Dettmer mit ihren Eltern in Odessa telefoniert. Die hätten von Explosionen erzählt, von Toten und Verletzten. Seit Wochen bittet Dettmer sie, nach Köln zu flüchten. Sie zögerten, jetzt seien sie wohl bereit. Bei der Demo auf dem Neumarkt hat Henriette Reker wiederholt, was sie schon am Morgen dem Dreigestirn sagte: "In Köln sind Menschen, die durch Krieg vertrieben werden, jederzeit willkommen."

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