Süddeutsche Zeitung

Corona und Karneval:Mehr Wagen wagen

Der Straßenkarneval ist ausgefallen, die meisten Jecken sind brav zu Hause geblieben - aber ein paar Mottowagen sind dennoch ihre einsamen Runden gefahren. Die Botschaften waren trotz der Corona-Tristesse alles andere als zahm.

Von Joachim Käppner, Jana Stegemann und Christian Wernicke, Düsseldorf

Die Jecken in der Bonner Friedrichstraße stört weder die Kälte noch die Corona-Schutzverordnung, alle sind sie da: die Stadtsoldaten im roten und blauen Rock (wir erinnern uns, dass der rheinische Karneval zur Verhohnepiepelung der verhassten preußischen Besatzer erfunden wurde), die Piraten auf ihrem Schiff, die Wassernixen und natürlich der reich geschmückte Prunkwagen, von dem aus Prinz und Bonna den zahlreich ohne Maske erschienenen und dicht gedrängt stehenden Bürgern am Straßenrand huldvoll zuprosten. Auch die Polizei ist anwesend und begleitet den Zug, ohne jedoch einzugreifen. Zu sehen ist das alles live auf Video.

Anderswo in der Republik mögen Ordnungshüter Corona-widrig feiernde Narren abgeführt haben - nicht so bei diesem Umzug. Der besteht ausschließlich aus Playmobilmännchen, zieht durch die ziemlich echt nachgebaute Bonner Friedrichsstraße auf rekordverdächtigen zwölf Metern Länge und ist in jedem Detail so authentisch wie möglich. Gebaut haben ihn Roland Goseberg und seine Kinder Emil und Pauline.

Wie Goseberg dem Bonner General-Anzeiger erzählte, entstand das Werk zu Anfang auf dem Küchentisch, doch habe sich dieser bald als zu kurz erwiesen. Es gibt sogar Konfetti aus winzigen Schnipseln, die am Ende des Modellzugs die Müllabfuhr aufliest.

D'r Zoch kütt - aber nur in winzig klein

Improvisieren, das ist an diesem Rosenmontag überall im Rheinland das Motto dieser vom Virus verfluchten Session. Covid-19 verbietet Prunksitzungen und Umzüge, in den Karnevalshochburgen Düsseldorf, Köln und Mainz blieben die Bürgersteige leer. Wenn überhaupt "d'r Zoch kütt" an diesem grauen Montag, dann im kleinen Format.

Reduziert auf den Maßstab 1 : 3 erscheint der Zug in Köln - und auch nur im Fernsehen: Aus der Wagenbauhalle des FKK, des Festkomitees Kölner Karneval, überträgt der WDR am Nachmittag, wie 177 Stockpuppen des bekannten Hänneschen-Theaters aufmarschieren vor einer 32 Meter breiten Kulisse. Pferde zuckeln über die Bühne, es fliegen Kamelle, und 16 Motivwagen veralbern den "geistigen Dünndriss" von Querdenkern und AfD ebenso wie sie eine katholische Kirche vorführen, die die schwarzen Schafe unter ihren Priestern per Waschmaschine weißspült.

Die Puppen nutzen ihre Narrenfreiheit, lassen sogar die Kölner Idole Willy Millowitsch und Trude Herr aus dem Himmel grüßen. Aber trotz aller Liebe zum Detail, die Puppen bleiben minimaler Ersatz für einen Kölner Zug, der sonst mit 12 000 Teilnehmern an einer Million Zuschauern vorbeizockelt.

Am Kölner Dom, also nah an der normalen Route des Zuges, erregt an diesem rosenlosen Montag ein Kunstobjekt ausgerechnet aus Düsseldorf Aufsehen: Der berühmte Wagenbauer Jacques Tilly hat im Auftrag von Greenpeace einen Ministerpräsidenten Armin Laschet in Pappe gebaut, der "jeck wie eh und je" einen Schaufelradbagger durch den Braunkohle-Tagebau von Garzweiler II lenkt.

"Dies ist der toteste Rosenmontag, den wir je erlebt haben"

Daheim in Düsseldorf jedoch gelingt Jacques Tilly sein eigentlicher "Contra-Corona-Coup": Heimlich hat der Bildhauer seit Januar acht Motivwagen angefertigt, die am Montag einzeln und ohne jede Verkehrsbehinderung über Kö und Rheinbrücken rollen. "Wir üben Geheimhaltung seit 20 Jahren, um jeder Zensur zu entgehen", sagt Tilly am Telefon stolz, der jeden Bauplan für 2021 zuvor abgestritten hatte: "Wir haben Routine, auch im Lügen." Tilly wollte, trotz Corona, "einfach ein Zeichen setzen für Meinungs- und Satirefreiheit". Und so wurde auf Anhängern am Montag ein abgewählter Donald Trump als Grillferkel am Spieß ebenso durch die Stadt gezogen wie ein hirnloser Corona-Querdenker.

Immerhin, der nicht so tolle Tag verlief bis zum späten Nachmittag so ruhig wie in der Bonner Playmobil-Welt: "Keine besonderen Vorkommnisse", meldeten Polizei und Ordnungsämter. "Dies ist der toteste Rosenmontag, den wir je erlebt haben", sagte gar ein Pressesprecher der Polizei Köln.

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