Karneval:Köln bleibt zu Hause

Weiberfastnacht - Sicherheit

Immerhin ein bisschen sorgenloses Feiern: In Köln hat der Straßenkarneval begonnen.

(Foto: dpa)

In Köln beginnt der Straßenkarneval - doch die wenigen Karnevalisten tanzen nur in den Kneipen. Draußen fragt man sich: zu nass oder zu gefährlich?

Reportage von Tanja Mokosch, Köln

Eine junge Frau kommt aus dem Kölner Hauptbahnhof. Entschlossen geht sie auf eine Gruppe von Polizisten zu, die um einen Bus stehen. Alle tragen schwarze Einsatzkleidung, Schlagstock und Schusswaffen hängen an ihren Gürteln bis zu den Knien. Auf ihren Rücken steht "Polizei NRW". Die junge Frau trägt eine Vokuhila-Perücke, auf ihrer Oberlippe klebt ein falscher Schnäuzer. Trotz Regen hat sie eine Pilotenbrille auf der Nase. Ihre schwere schwarze Lederjacke kann für die niedrigen Temperaturen nicht ansatzweise warm genug sein. Sie streckt den Arm aus, den Polizisten entgegen. "Entschuldigung", sagt sie. Die Gruppe dreht sich zu ihr um. Alle starren sie an. "Können Sie vielleicht ein Foto von uns machen?", fragt sie und dreht sich halb nach hinten, um mit ihrem anderen Arm auf eine kleine Gruppe junger Leute in Verkleidungen zu deuten. Einer der Beamten guckt kurz auf das Smartphone, das sie ihm entgegen hält. Er zögert. Dann sagt er: "Da müssen Sie bitte jemand anderen fragen."

In Köln beginnt an Weiberfastnacht offiziell der Straßenkarneval. Nach den Übergriffen in der Silvesternacht war die Stimmung im Vorfeld des Großereignisses angespannt. Die Stadt hatte zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen angekündigt, unter anderem verstärkte Polizeipräsenz an den Orten, wo besonders viele Jecken feiern wollen oder - wie am Hauptbahnhof - zwangsläufig vorbei kommen.

Auf dem Bahnhofsvorplatz ist die Stimmung ruhig. Die meisten verkleideten Ankömmlinge steuern sofort in Richtung Altstadt. Nasse sechs Grad und der übliche Wind auf der Domplatte laden nicht zum langen Verweilen ein. Drinnen in der Bahnhofshalle ist ein bisschen Karneval. Eine Blaskapelle spielt kölsche Lieder, wer vorbei geht, singt mit. Manche bleiben kurz stehen und schunkeln.

"Die waren ein bisschen auffällig jewesen"

Nur wenige Armlängen von der Blaskapelle entfernt stehen zwei Männer, deren Aussehen man wohl als "nordafrikanisch bis arabischer Herkunft" beschreiben könnte, umringt von einer Gruppe Polizisten in gelben Warnwesten. Die Männer schauen fragend, dürfen schließlich gehen. Auf Nachfrage, was sie denn gemacht hätten, sagt einer der Polizisten mit kölschem Dialekt "Die waren ein bisschen auffällig jewesen." Was passiert ist, will er nicht sagen. In der "Pressestelle", einem Polizeibus, der draußen steht, heißt es, die Lage sei ruhig, keine für Karneval besonderen Vorkommnisse. So wird es bis zum späten Nachmittag bleiben. Kontrollen gehören zur Routine.

"Ich glaube, gerade jetzt wird es hier sehr sicher sein. An Karneval wird man immer gegrapscht, aber sonst wird nichts passieren", sagt eine junge Frau im Hippie-Kostüm, die gerade am Hauptbahnhof angekommen ist. Ihre Freundin, ebenfalls Hippie, ist besorgt: "Ein bisschen Angst habe ich schon, nicht, dass mich jemand überfällt, aber vor einem Bombenanschlag oder so. Aber das hatte ich auch vor Silvester, als ich zum Beispiel auf Weihnachtsmärkte gegangen bin." Eine 22-Jährige im Bananenkostüm fasst das Stimmungsbild unter den jungen Frauen am Hauptbahnhof treffend zusammen. Wovor sie Angst habe? "Silvester nein, Terror ja." Wenige Meter weiter auf dem Roncalli-Platz tropft Regen von einem Container, auf dem in orangen Buchstaben "Frauen Security Point" steht. Die Plakate mit Notfallnummern lösen sich schon am frühen Nachmittag langsam ab. Der für den Container zuständige Beauftragte eines privaten Sicherheitsunternehmens steht nicht weit entfernt unter einem Dach. Bisher: keine Beschwerden.

Schlendern in der Altstadt

Die Weiberfastnacht ist nach dem 11. November, der die neue "Session" einläutet, der erste richtige Karnevalstag. In Köln heißt das normalerweise: Spätestens ab 11.11 Uhr geht's los, denn dann wird offiziell der Straßenkarneval eröffnet. Die meisten Arbeitnehmer haben Urlaub, ins Büro müssen nur die, die Pech hatten oder überzeugte Anti-Karnevalisten sind. Junge Leute treffen sich zum Brunch und sehen zu, dass sie möglichst bald und möglichst betrunken auf die Straßen kommen. Nicht so in diesem Jahr. Elf Sekunden vor 11.11 Uhr zählen die Jecken am Alter Markt in der Altstadt traditionell ihren Countdown herunter. Wo man sich normalerweise durch Menschenmassen hindurchdrücken muss, kann man heute normal gehen, beinahe schon schlendern. Ein bisschen Jubel, ein bisschen Alaaf auf der Festbühne, dann spricht Oberbürgermeisterin Henriette Reker: "Ich weiß auch, dass die Kölschen sich von ein bisschen Regenwetter überhaupt nicht beeindrucken lassen", sagt sie. Nur: Wovon dann?

Die 55-Jährige Margret guckt in Richtung Bühne, wo Reker jetzt mit dem Kölner Dreigestirn, den offiziellen "Regenten" des Karnevals, schunkelt. Auf ihren Wangen glitzern Kölner Stadtwappen. "Die Leute haben Angst", sagt sie. "Aber ein bisschen ist es auch der Regen."

Leere Straßen, volle Kneipen

Mehr als 2000 Polizisten sind in der Stadt unterwegs. Das sind doppelt so viele wie im Vorjahr. So hatten es Polizei und die Stadt Köln im Vorfeld angekündigt. Tatsächlich muss man in der Innenstadt nirgends lange Suchen, um Uniformierte zu finden. Das sonst unüberblickbare Geschehen ist: übersichtlich. Deutlich sichtbar sind da auch die vergleichsweise vielen Karnevalisten, die sich nicht an die Bitten der Polizei gehalten haben, und trotzdem als SEK-Mitarbeiter mit täuschend echten Waffen-Attrappen auf der Straße unterwegs sind.

Im Studentenviertel um die Zülpicher Straße läuft der 25-jährige Daniel im Swat-Kostüm herum: schwarz von Kopf bis Fuß und mit Plastikpistolen. Darauf angesprochen hätte ihn noch niemand, obwohl er schon an vielen Polizisten vorbei gegangen sei. Auch hier ist es - für Karnevalsverhältnisse - leer. Kleinere Grüppchen stehen auf der Straße, die sonst schon ab spätestens halb elf morgens kaum mehr betretbar ist. An diesem Donnerstag kann sogar die Bahn bis zum Mittag durch die Straße fahren, schon um kurz nach vier wird die Sperrung wieder aufgehoben. Die Verkleideten drängen sich unter Markisen vor den Kneipen zusammen, rauchen und reden, fast wie an einem normalen Samstagabend. Das letzte bisschen Karneval verschwindet unter Mänteln, Kapuzen und Regenschirmen.

"Da passiert nix"

Vor dem "Schnörres" in der Kölner Südstadt steht eine Traube Verkleideter in Regenjacken. Drinnen ist es - endlich - voll. Die Kneipe ist an Karneval partytechnisch gesehen eine sichere Sache: beste Lage und eine Kölner Institution unter Studenten. An der Menge vorbei gedrängelt und durch einen Vorhang geht es rein. Luft zum Atmen scheint hier niemand zu brauchen. Es gibt keine. Trotzdem grölen alle. Hinter der Theke schenken Barkeeper, die man an einem normalen Abend hier als "ziemlich hip" bezeichnen könnte, in Karate-Anzug und Minirock Schnaps aus, verschütten Kölsch und grölen selbst.

Zwei als Einhörner verkleidete junge Frauen drängeln sich an der Bar vorbei. Haben sie Angst vor sexuellen Übergriffen oder Terror? "Nein", sagen beide. "Wir sind hier in der Südstadt, wie jedes Jahr. Da passiert nix." Und, als hätte sich jemand einen geschmacklosen Scherz erlaubt, brüllt genau in dieser Sekunde Klaus Lage aus den Boxen: "Tausendmal berührt, tausendmal ist nix passiert."

Es fällt den jungen Frauen nicht auf. Sie brüllen mit. Immerhin: ein bisschen kopfloser, angstfreier Karneval, wenn auch nicht auf der Straße.

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