SZ-Serie "Ein Anruf bei...":"Jeder Marketingprofessor würde die Stirn runzeln"

SZ-Serie "Ein Anruf bei...": Am beliebtesten ist laut Umfragen Kirsch, hier gleich ein Dutzend mal im Bild.

Am beliebtesten ist laut Umfragen Kirsch, hier gleich ein Dutzend mal im Bild.

(Foto: Silas Stein/Imago)

Fast jeder kennt sie, aber kaum jemand weiß, wie sie heißen: die Kaubonbons im Retro-Design, die im Karneval in die Menge geworfen werden. Ein Interview mit dem Geschäftsführer der Herstellerfirma über den Erfolg des Unveränderlichen und den Namen der namenlosen Bonbons.

Interview von Elisa Britzelmeier

Was ist klein, quadratisch und regnet vom Karnevalswagen? Fast jeder hat die Kaubonbons im Retro-Design schon mal gesehen, aber kaum jemand kennt ihren Namen: Böhme Fruchtkaramellen. Der US-Amerikaner Darren Ehlert ist Geschäftsführer der Delitzscher Schokoladenfabrik, die die Bonbons in Sachsen herstellt.

SZ: Herr Ehlert, wieso schauen Ihre Bonbons seit Jahrzehnten gleich aus?

Darren Ehlert: Jeder Versuch, das Produkt zu modernisieren, wird von den Kunden grandios abgelehnt.

Wie äußert sich das?

Vor etwa zehn Jahren wollten wir unsere Frukas aufwerten.

Ihre was?

Unsere Fruchtkaramellen. Mit einem Stehbeutel, der schön aussieht und gut sichtbar im Regal steht. Das Problem ist: Der stand dann da nur. Keiner hat's gekauft. Und es gab Beschwerden. Auf Social Media schreiben Fans auch heute: Wenn ihr etwas verändert, bin ich weg.

Seit wann ist nun dieses Design gleich?

Seit immer! Seit den späten Fünfzigerjahren. Also die Wrapper, wie sagt man ...

... das Bonbonpapier ...

Das war viel früher aus Alu. Aber Alu hat einen grausamen CO2-Fußabdruck, aus Umweltgründen sind wir davon also weg. Der Rest ist geblieben.

Warum reagieren Menschen so emotional auf Ihre Bonbons?

So genau wissen wir es auch nicht. Die Leute berichten von Erinnerungen an ihre Kindheit, dass sie die Frukas mit ihren Eltern verbinden oder mit dem ersten Besuch bei der Bank oder beim Friseur. Wir machen ja praktisch keine Werbung. Jeder Marketingprofessor würde die Stirn runzeln bei diesem Produkt. Es wächst nicht, es schrumpft aber auch nicht.

Nostalgie also.

Außerdem kommentieren die Leute sehr oft, was ihre Lieblingssorten sind.

Und? Welche ist die beliebteste?

Kirsch. Und dann kommt Himbeere. Meine Lieblingssorte ist übrigens Grüner Apfel.

Es gibt Leute, die behaupten: Die schmecken doch eh alle gleich.

Kann ich so nicht bestätigen. Wenn Sie die auspacken, sehen zwar alle gleich aus, alle weiß, weil wir bewusst keine Farbstoffe nutzen. Aber wenn ich sie blind probieren müsste: Ich bin sicher, dass ich eine hundertprozentige Trefferquote habe.

SZ-Serie "Ein Anruf bei...": Darren Ehlert ist Geschäftsführer der Delitzscher Schokoladenfabrik, die wiederum zu Halloren gehört, der ältesten, bis heute produzierenden Schokoladenfabrik Deutschlands.

Darren Ehlert ist Geschäftsführer der Delitzscher Schokoladenfabrik, die wiederum zu Halloren gehört, der ältesten, bis heute produzierenden Schokoladenfabrik Deutschlands.

(Foto: Peter Endig/Imago)

Wer kauft bei Ihnen ein?

Bis vor Kurzem hätte ich noch gesagt: sechzig plus. Aber als wir zuletzt ein Tiktok-Video gemacht haben, kamen auch ganz viele Reaktionen von jungen Leuten. Wir kennen unsere Kunden offenbar schlecht.

Sie haben keine speziellen Deals mit Faschingswagen-Betreibern?

Nein. Ab und zu fragen schon einige Karnevalisten direkt an. Aber in der Regel kaufen die bei Großhändlern, den Drei-Kilo-Beutel.

Die Verkaufszahlen steigen also in Richtung Karneval.

Oh ja. Unsere Hochsaison fängt definitiv in der zweiten Januarhälfte an, und der Peak ist zwei Monate nach Weihnachten.

Die Leute kaufen, damit sie es dann vom Faschingswagen runterschmeißen können.

Eigentlich schade - ein Lebensmittel durch die Gegend zu werfen. Aber es gehört einfach zur Tradition. Und geht mit diesen kleinen viereckigen Dingern besonders gut.

Schon mal berechnet, wie schwer sie sein dürfen, damit es nicht weh tut?

So ganz wissenschaftlich war das nicht, aber ich hab' mich bewerfen lassen.

Wie war's?

Mich hat es nicht gestört.

Wie schwer ist ein Kaubonbon denn?

Da muss ich mal nachfragen. 2,8 Gramm, sagt man mir gerade.

Zucker, Glukosesirup, Säuerungsmittel - die Inhaltsstoffe klingen eher anspruchslos.

Was die Bonbons besonders macht: Wenn man sie in die Hand nimmt, kann man sie einfach zerreißen. Die sind wirklich saftig und ganz weich.

Mit der Hand zerreißen? Macht das jemand?

Nein, aber im Mund ist es ja ähnlich. Man kann es leicht abbeißen, für so eine Art von Karamell ist das eine Seltenheit. Das ist eine aussterbende Kunst. Wir nutzen in der Produktion alte Maschinen, für die wir jedes Jahr neue Teile bauen lassen müssen, weil es die nicht mehr von der Stange gibt. Was es für uns intern besonders macht, ist also auch ein Stück Nostalgie.

Wie kommt es überhaupt, dass ein Karnevals-Wurfobjekt in Sachsen hergestellt wird?

Entwickelt wurde das Bonbon in NRW. Nach der Wende hat die Firma Wissoll die Delitzscher Schokoladenfabrik gekauft und ein paar Herstellungsprozesse von Mülheim an der Ruhr hierher verlegt. Und jetzt haben wir ein paar alte Füchse, die wissen, wie das funktioniert.

Was kostet denn nun ein einzelnes Kaubonbon? Wir bekommen es ja immer geschenkt.

Moment, da muss ich den Taschenrechner rausholen. Wenn ich beim Supermarkt den 300-Gramm-Beutel nehme und dann 2,8 Gramm pro Stück (murmelt)... Vielleicht eineinhalb Cent pro Bonbon. Wer den Drei-Kilo-Beutel kauft, dürfte bei deutlich unter einem Cent pro Stück herauskommen.

Weitere Folgen der SZ-Serie "Ein Anruf bei ..." finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: