Süddeutsche Zeitung

Karlsruher Urteil zu Neonazi-Vater:Braunes Patchwork

Kinder brauchen ihren Vater. Aber brauchen sie ihn auch, wenn er ein Neonazi ist? Und darf dem Vater ein Besuchsrecht eingeräumt werden, wenn seine Ex-Frau aus der Szene ausgestiegen ist und und nun trotz neuer Identität um Leib und Leben bangen muss? Das Bundesverfassungsgericht hat über den Fall entschieden.

Von Wolfgang Janisch

Kinder brauchen eben auch ihren Vater, selbst wenn die Ehe in Trümmern liegt. Irgendwas in dieser Art wird sich das Oberlandesgericht Dresden gedacht haben, als es im Juli 2012 eine Familienzusammenführung der besonderen Art verfügte. Einmal im Monat, immer samstags, sollte der Vater seine drei Kinder besuchen dürfen, die er seit der Trennung vor sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte. Klingt eigentlich vernünftig. Nur ist der Vater ein Neonazi. Und die Mutter eine Aussteigerin aus der rechtsextremen Szene. Womit die Aussichten auf eine fröhliche Patchworkfamilie eher ungünstig waren.

Die Frau, die früher einmal Tanja Privenau hieß, gehörte schon als Jugendliche zur rechtsextremen Szene, organisierte Schulungen und Aufmärsche, kümmerte sich um die Frauenarbeit. "Ich war 20 Jahre lang Neonazi von Beruf", wird sie in der Berliner Zeitung zitiert. Ebenso wie ihr Ex-Mann, er soll bis heute zur rechtsextremen Szene Norddeutschlands gehören.

Die Frau stieg mit Exit aus der Neonaziszene aus

Im April 2004 trennte sich das Paar. Das Amtsgericht sprach der Frau das Sorgerecht an den drei Kindern zu - das Älteste war damals vier Jahre alt. Im Januar 2005 wandte sie sich mithilfe der Aussteiger-Initiative Exit von der Neonaziszene ab. Seither hat sie mehrmals ihren Wohnsitz gewechselt und ihren Namen sowie den der Kinder ändern lassen. Denn sie hat es nicht beim Ausstieg belassen: Dem Verfassungsschutz offenbarte sie ihr Wissen über die Szene, und in öffentlichen Veranstaltungen warnt sie - mit Perücke und Sonnenbrille maskiert - vor den Gefahren des Rechtsextremismus.

Dass so etwas riskant sein kann, wollte dem OLG Dresden freilich nicht einleuchten. Der Senat könne nicht feststellen, dass Mutter oder Kinder der Gefahr von Angriffen aus der rechtsradikalen Szene ausgesetzt seien. Im Oktober sollte der Vater die Kinder erstmals wieder treffen dürfen. Der Anwalt der Frau legte Verfassungsbeschwerde ein, und die Karlsruher Richter reagierten sofort. Noch im Spätsommer stoppten sie per einstweiliger Anordnung die Besuchspläne des Neonazis.

"Gefahren für Leib und Leben"

Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht der Beschwerde auch im Hauptsacheverfahren stattgegeben. Die Begründung lässt keinen Zweifel daran, dass das OLG da wohl etwas übersehen hat: nämlich die "Gefahren für Leib und Leben", denen die Frau ausgesetzt gewesen sei. Karlsruhe bezieht sich auf Einschätzungen des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz. Die Behörde spricht zwar nur von einer "abstrakten Gefahr" - was sich aber bei der weiteren Lektüre als unglückliche Verharmlosung erweist: Erstens habe Privenau in der Szene eine gewisse Prominenz gehabt, zweitens habe sie sich gegen einen "stillen" Ausstieg entschieden. Beides begründe eine "erheblich erhöhte Gefahr, Opfer von Bestrafungsaktionen der Szene zu werden". (Az: 1 BvR 1766/12)

Zentral ist beim Umgangsrecht übrigens das Wohl der Kinder. Dazu sagt Karlsruhe: Wer mit neuen Identitäten und geheimen Wohnorten geschlagen sei, könne dem Vater nun mal "nicht unbeschwert gegenübertreten". Darauf hätte das Dresdener Gericht schon kommen können.

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SZ vom 23.01.2013/jufw
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