Karlheinz Böhm wird 80:Die Rolle seines Lebens

Nach dem Märchenkaiser aus der "Sissi"-Trilogie fand Karlheinz Böhm in Äthiopien seine Traumrolle: Seit einem Vierteljahrhundert hilft der Schauspieler dort notleidenden Menschen in - jetzt wird er 80 Jahre alt.

Stefan Klein

Also sprach der Vater zu seinem Sohn: "Wenn du anfängst an Rente zu denken, dann kaufe dir lieber gleich einen guten Sarg und ein schönes Grab, dann ist es eh' bald vorbei." Der Vater, ein gewisser Karl Böhm und seines Zeichens weltberühmter Dirigent, tat nichts dergleichen.

Karlheinz Böhm wird 80: Karlheinz Böhm widmete sein Leben Afrika, sein Vater reagierte erschrocken: "Bua, jetzt bist wahnsinnig gworden."

Karlheinz Böhm widmete sein Leben Afrika, sein Vater reagierte erschrocken: "Bua, jetzt bist wahnsinnig gworden."

(Foto: Foto: dpa)

Statt an Rente zu denken dirigierte er noch im hohen Alter von 86 Jahren bis kurz vor seinem Tod. Sein Sohn Karlheinz hat sich die väterliche Weisheit gemerkt, und dass er sie gerade jetzt zitiert, ist kein Zufall. Karlheinz Böhm wird am 16. März 80 Jahre alt, klassisches Rentneralter, nur dass er jeden Gedanken daran weit von sich weist.

Er will arbeiten, und zwar so lange es nur irgend geht. Für Äthiopien ist das eine gute Nachricht. Der Staat am Horn von Afrika, eines der ärmsten und unterentwickeltsten Länder der Welt, wird seit mehr als einem Vierteljahrhundert von Böhm und seiner Stiftung "Menschen für Menschen" unterstützt, und dass Ato Karl, Herr Karl also, sich zurückziehen und in seiner Heimat Österreich die Füße hochlegen könnte, ist für viele Menschen dort schon gar nicht mehr vorstellbar.

Etwas ist zusammengewachsen, was ursprünglich gar nicht zusammengehörte - wie auch? Zwischen dem Elend Afrikas und dem Glamour eines Film- und Bühnenstars waren Welten, und doch hat sich ein Weg gefunden.

Eine Wette ändert sein Leben

Ein Weg, der 1981 in der ZDF-Sendung "Wetten, dass. . .?" seinen Ausgangspunkt findet. Es geht wie immer um mehr oder weniger alberne Wetten, aber am Ende der Sendung wird es ernst. Da redet Böhm vor einem Millionenpublikum vom Hunger in der Sahelzone und appelliert an die Zuschauer, eine Mark, sieben Schillinge oder einen Schweizer Franken als Hilfe an den Bundespräsidenten ihres jeweiligen Landes zu überweisen.

Doch er wettet, dass "nicht mal ein Drittel von Ihnen, und das sind geschätzt sechs oder sieben Millionen", diesen Betrag einbezahlen werden. Für den Fall freilich, dass er sich täusche, kündigt Böhm auch an, dass er selber, und zwar "unter Auslassung aller Organisationen" nach Afrika gehen und dort Hilfe leisten werde. Karlheinz Böhm gewinnt seine Wette - und geht dennoch nach Afrika.

Der Vater sagt erschrocken: "Bua, jetzt bist wahnsinnig gworden." Der alte Böhm ist schon zu krank, um noch zu erkennen, dass sein Sohn nach den vielen verschiedenen Rollen, die er gespielt hat, soeben in die Rolle seines Lebens geschlüpft ist. Es ist eine Rolle, die Karlheinz Böhm seither nicht mehr losgelassen hat und auch nicht mehr loslassen wird. Es ist nicht so, dass er den Schauspieler abgestreift hätte wie die Schlange ihre Haut. Böhm bekennt sich nach wie vor zu seinem Beruf und übt ihn auch weiterhin aus. Er benutzt dazu aber kein Kostüm mehr und keine Maske, und er stellt auch niemand anderen mehr dar, niemanden außer einem: Karlheinz Böhm, den Helfer und Philanthropen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr zu Böhms Startschwierigkeiten als Entwicklungshelfer und warum er sich Verzweiflung nicht leisten kann...

Die Rolle seines Lebens

So tritt er auf in Deutschland, Österreich und der Schweiz, manchmal zwei- bis dreimal am Tag, und erzählt von Äthiopien, von der Not und Armut, von den guten Taten seiner Stiftung, und versucht auf diese Weise, Menschen zu motivieren, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen. Das Wort Spende mag Böhm nicht, und er sieht sich auch nicht als Spendensammler, doch letztlich ist es genau das, was er tut, und zwar unverändert erfolgreich. Es sind nach wie vor beträchtliche Summen, die man ihm anvertraut - und allem Anschein nach ist es gut genutztes Geld.

"Das sind doch Menschen"

Als Böhm am 30. Oktober 1981 nach Äthiopien fliegt, ist es erst sein zweiter Besuch in Afrika. Er ist Außenseiter, Amateur, und in der Entwicklungshilfeszene rümpfen viele verächtlich die Nase - alternder Schauspieler in Afrika, was kann dabei schon herauskommen? Bald scheint Böhm sogar zum Ärgernis zu werden, als er nämlich Mitte der achtziger Jahre etwas tut, das als politisch höchst inkorrekt gilt:

Er engagiert sich in den Umsiedlungsgebieten im Südwesten des Landes, die von den westlichen Geberländern aus politischen Gründen boykottiert werden. Das kommunistische Regime des Mengistu Haile Mariam hat Hunderttausende aus dem dürregeplagten nördlichen Hochland in den als relativ regensicher und entwicklungsfähig angesehenen Südwesten schaffen lassen - und das Elend der Massentransporte hat die Welt empört.

Hinzu kommt der Verdacht, dass es dem Regime in Wahrheit gar nicht um humanitäre Ziele, sondern darum gehe, die nördlichen Provinzen Wollo und Tigre gewaltsam zu entvölkern, um den dort operierenden Guerilla-Bewegungen gleichsam den Boden zu entziehen. Deshalb der Boykott. Doch bestraft werden damit nicht die Machthaber, sondern die Siedler. Böhm erlebt, wie sie in "unbeschreiblichem Elend" hausen, wie sie mit den Händen den harten Boden umgraben, weil es "keinerlei landwirtschaftliche Geräte gibt, nicht mal die einfachsten Werkzeuge." Er lässt sich anrühren von dem Leid, er ignoriert die Debatten über das Pro und Contra der Umsiedlung und sagt: "Das sind doch Menschen, denen man helfen muss."

Almaz, Nicholas, Aida

In den Jahren, die folgen, sagt er diesen Satz noch sehr oft, denn wenn es an etwas in Äthiopien nicht mangelt, dann an Menschen, denen man helfen muss. Böhm und seine Helfer haben auf vielfältige Weise geholfen. Sie haben Schulen gebaut und Krankenhäuser, Veterinärstationen und Getreidemühlen, Brücken und Straßen, sie haben Bienenstöcke und Lehmöfen verteilt, haben Wasserreservoirs angelegt, haben Baumsetzlinge verteilt, haben aufgeforstet, ausgebildet und aufgeklärt. Längst hat das Naserümpfen aufgehört. Die Infrastruktur, die "Menschen für Menschen" den Äthiopiern hinstellt, gilt als vorbildlich. An Böhm bewundern viele den enormen Durchhaltewillen und die Treue zu seinem Projekt Äthiopien.

Kritisch mag man sehen, dass Böhm durch seinen Einsatz kriegerische Regime in Addis Abeba von Aufgaben entlastet hat. Auch hat sein Einsatz in mehr als 26 Jahren Äthiopienhilfe nichts daran geändert, dass das Land noch immer bettelarm ist. Daran könnte einer verzweifeln, doch Böhm sagt, Verzweiflung könne er sich nicht leisten - "ich bin glücklich über jeden, dem ich geholfen habe und dem ich noch helfen werde."

Das Wort Glück wählt er mit Bedacht, denn er hat es tatsächlich in Äthiopien gefunden - durch die Arbeit, von der er sagt, sie habe ihm seinen Lebenssinn gegeben, und natürlich durch Almaz Böhm, geborene Teshome: 1986 wird die äthiopische Agrarökologin von MfM als Viehzuchtexpertin eingestellt. Böhm weiß zunächst nichts davon, und als er es erfährt, fragt er sich verwundert: eine Frau für die Beaufsichtigung der Rinderzucht? Aber dann lernt man sich in einem Kuhstall kennen und lieben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Karlheinz Böhm nicht ans Aufhören denkt...

Die Rolle seines Lebens

Almaz, die 36 Jahre Jüngere, wird Böhms vierte Frau. Zwei Kinder kommen zur Welt, Nicholas und Aida, aber außer Mutter und Ehefrau ist Almaz auch Böhms engste Mitarbeiterin und voraussichtliche Nachfolgerin. Er sagt: "Wenn mich heute meine Kräfte verlassen würden, könnte Almaz die Gesamtverantwortung schon morgen übernehmen." Bestellt da einer seinen Hof?

Wie gesagt, Böhm denkt nicht ans Aufhören, aber er hat letztes Jahr in Äthiopien einen schweren Autounfall gehabt, der ihn leicht das Leben hätte kosten können. Die Sache geht glimpflich ab, wenn man schmerzhafte Prellungen am ganzen Körper so beschreiben darf, aber sie hat ihn nachdenklich gemacht. Jedenfalls ist die Nachfolgefrage kein Tabu für Böhm: "Wenn ich merke, dass es so weit ist, werde ich mit der Übergabe nicht einen Moment lang zögern."

"Brille ab, schmusen!"

Die Stiftung also mag überdauern, aber werden es auch die Projekte tun? Sind in Afrika aus gut gemeinten Wohltaten nicht hat allzu oft traurige Entwicklungsruinen geworden? Böhm macht sich keine Sorgen. Er hat ein gutes Gewissen: "Wir haben da nicht einfach etwas hingestellt oder den Menschen etwas diktiert." Er habe vielmehr immer versucht zu lernen und zu verstehen, was die Menschen benötigen, das sei das Grundprinzip von MfM und das ganze Geheimnis.

Die Regierenden haben es Böhm gedankt durch die Verleihung der Ehrenbürgerwürde, die Menschen durch eine große Zuneigung, die sie ihm zuletzt im Januar gezeigt haben, als er das erste Mal seit dem Unfall zurückkehrte nach Äthiopien. Der Empfang, sagt Böhm, habe ihn überwältigt. Er nennt Äthiopien Heimat und die Menschen dort "meine Großfamilie". Im Mai wird er das nächste Mal reisen, und dann wird er bis September bleiben.

Er wird alle umarmen und küssen, die ihm über den Weg laufen, das ist so seine Art. Früher bei seinem Vater hieß es: "Brille ab, schmusen!" Dann nahm der große Dirigent die Brille ab, der Sohn setzte sich auf seinen Schoß, man rieb Wange an Wange, und das war's. Der kleine Junge hätte so viel mehr Nähe gebraucht, und vielleicht ist das der Grund, warum er sie sich heute als Großer bei den Menschen in Äthiopien holt. Vorher allerdings wird noch ein Geburtstag zu feiern sein, im privaten Kreis in einer Villa bei Salzburg - aber Ato Karl, der Jubilar, wird mit dem Herzen vermutlich schon in seinem kleinen, bescheidenen Häuschen im äthiopischen Erer-Tal sein. Glückwunsch, Karlheinz Böhm.

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