Süddeutsche Zeitung

Kaninchen als Heizmaterial:Kuschelbrikett mit Ohren

So süß sie auch hoppeln in den Parks, in denen sie Löcher buddeln und an Bäumen knabbern: Der Verwaltung in Stockholm wird es jetzt zu bunt - sie lässt die Kaninchen jagen und verheizen.

Susanne Klaiber

Seidig fühlt sich das an, so ein Kaninchenfell. Und es hält die Finger mollig warm, wenn daraus Handschuhe genäht wurden, oder ein Muff. In Schweden sorgen die Nager posthum sogar dafür, Wohnungen angenehm zu temperieren. Sie werden verheizt.

Die Geschichte der Brennstoff-Kaninchen beginnt in Schwedens Hauptstadt Stockholm. Schon seit zwanzig Jahren vermehren sich dort entlaufene oder ausgesetzte Hauskaninchen extrem und nagen in den Parks so viele Bäume an, knabbern an so vielen Blumen, buddeln so viele Löcher in Fußballfelder, dass die Verwaltung sich immer wieder gezwungen sieht, ihnen eins auf die Löffel zu geben.

Merkwürdig zutraulich

Natürliche Feinde wie Füchse oder Raubvögel gibt es in der Großstadt ja nicht. Und immer wieder verhalten sich einige der Kaninchen komisch, sind ungewöhnlich zutraulich, sagt Mats Freij, Sprecher der Verkehrsverwaltung. Die Stadt habe einmal sogar den Verkehr anhalten müssen, weil durch das Gebuddel eine Böschung auf eine Straße gerutscht sei. Man habe auch versucht, die Kaninchen mit einem Netz zu fangen, "aber es ist effektiver, sie zu erschießen".

Dafür hat die Stadt drei Jäger angestellt, die im vergangenen Jahr 6000 und in diesem Jahr 3000 Kaninchen mit dem Gewehr erlegt haben. Trotz Extra-Ausbildung und Spezial-Munition sei das nicht einfach, sagt Jäger Tommy Tuvunger. "Man muss sehr vorsichtig sein, dass man kein Gebäude, keine Leute oder Autos trifft." Und dass er nicht zu vielen Leuten begegnet, die mit der Jagd nicht einverstanden sind. Körperlich sei er noch nicht angegriffen worden, sagt Tuvunger, aber verbal. Er jagt deshalb oft am frühen Morgen, wenn die Tiere aktiv sind, die Spaziergänger jedoch nicht.

Biobrennstoff für ein Heizkraftwerk

Bis vor einigen Jahren durfte die Verwaltung die toten Nager wie Abfall wegwerfen. Die EU verbot das aus Seuchenschutzgründen.

Nun hat die Stadt sich eine Firma gesucht, die die Kaninchen entsorgt. Das Unternehmen Konvex schreddert tonnenweise Schlachtabfälle und ebendiese Kaninchen - die nur einen geringen Teil der verarbeiteten Kadaver ausmachen. Aus ihnen stellt die Firma Biobrennstoff her, den es an ein Heizkraftwerk in Karlskoga liefert, wie Konvex-Chef Leo Virta erklärt. Tierkörper zu verheizen ist keine neue Idee, nur im Gegensatz zu anderen Firmen werde bei Konvex das Fett der Tiere nicht vorher aussortiert, sagt Virta, das spare Energie und werde von der EU gefördert.

Tierschutzorganisationen können sich für die Idee mit dem Verheizen nicht erwärmen. Anna Johannesson von der Gruppe "Vilda Kaniners Värn" kritisierte dem schwedischen Nachrichtenportal The Local zufolge in einer Lokalzeitung, dass die Stadtverwaltung nicht nach anderen Lösungen für das Problem suche. Man könne zum Beispiel Bäume mit Sprays besprühen, so dass sie für die Kaninchen unappetitlich werden. Jäger Tuvunger hingegen glaubt, dass das Problem so nur verlagert werde. "Man kann nicht alle Bäume besprühen."

"Citykaninchen-Mahl"

An der Universität im finnischen Helsinki hat man solche Sprays getestet, wie der Kaninchenbeauftragte der Stadt, Antti Rautiainen, sagt. Helsinki leidet besonders nach dem vergangenen milden Winter unter der Nagerplage. Geholfen hätten die Sprays allerdings nicht, sagt Rautiainen. Und so setzt man auch in Helsinki auf die Jagd: mit Fallen, Netzen und Gewehren. Die Stadt friert die Kaninchen ein und liefert sie neuerdings an den Korkeasaari-Zoo. Am Mittwoch haben die Löwen und Großkatzen dort ihr erstes Citykaninchen-Mahl gehabt, wie Stadtsprecher Tapio Kari sagt. "Ich nehme an, es hat gut geschmeckt."

In Stockholm wird man die Kaninchen wohl weiterhin zum Verbrennen geben. Wem diese Art Wärme Gänsehaut verursacht, der kann natürlich die Heizung abstellen. Und ein Mützchen aufsetzen. Aus Lammfell oder so.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.25109
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.10.2009/ehr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.