Süddeutsche Zeitung

Kanada:Hymne für alle

  • Das Parlament in Kanada hat den Text der Nationalhymne geändert, damit er geschlechtsneutral wird.
  • Österreich hat diesen Schritt schon ein paar Jahre vorher vollzogen.
  • Hymnen sind, anders als Bücher oder Songs, keine feststehenden Werke, die den Geist vergangener Zeiten widerspiegeln.

Von Oliver Klasen

Es ist ein großer Schritt für Kanada, aber ein kleiner für die Frauen und Männer, die in Kanadas Parlament sitzen. Nur über zwei Wörter haben die Abgeordneten jetzt abgestimmt, per Handzeichen. Die Konservativen waren zunächst dagegen, konnten sich aber nicht durchsetzen.

Es geht um die kanadische Nationalhymne, genauer: um die englische Version dieser Nationalhymne, denn es gibt, das Land ist zweisprachig, auch eine französische. Die war schon bisher geschlechtsneutral formuliert, die Melodie ist dieselbe, der Text allerdings ist ein anderer.

Aus "true patriot love in all thy sons command" wird also nun: "true patriot love in all of us command". Auf Deutsch übersetzt heißt die Passage: Erwecke Heimatliebe in all deinen (früher nur Söhnen, jetzt eben:) Menschen.

Premierminister Justin Trudeau, seit Jahren bekannt dafür, dass er sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt, wertet die Entscheidung als "einen weiteren positiven Schritt".

Kanada orientiert sich damit an anderen Ländern, die den Schritt bereits gegangen sind. Österreich zum Beispiel ist, hymnisch gesehen, seit 2012 nicht nur mehr Heimat großer Söhne, auch die Größe der Töchter wird gewürdigt.

Es ist eine Diskussion, die in vielen Ländern geführt wird. Soll man musikalische, künstlerische, gestalterische Werke, die den Zeitgeist vergangener Epochen widerspiegeln, anpassen an die heutigen Realitäten? Darf in den Niederlanden der Helfer des Nikolauses noch zwarte Piet, also schwarzer Peter, heißen? Muss der Verkauf von TKKG-Hörspielen verboten werden, weil Tarzan/Tim sich nicht nur rassistisch, sondern auch sexistisch, gewaltverherrlichend und diskriminierend gegenüber Übergewichtigen äußert? Oder muss der Kontext berücksichtigt werden, in dem ein Werk entstand?

Damit könne man sich bei einer Hymne nicht rausreden, sagen jene, die für die Gleichstellung eintreten. Denn sie sei kein feststehendes Werk, das, einmal erschaffen, der Nachwelt zur Interpretation überlassen wird. Eine Hymne gehöre in diesem Punkt, ähnlich wie ein Theaterstück, zu den performing arts, zu jenen Künsten also, die erst durch eine Aufführung ihre Bedeutung und ihren Sinn erlangen. Eine Hymne wird gesungen, bei Sportereignissen, bei Staatsbesuchen, bei Parlamentssitzungen. Sie ist Gegenwart.

Im Fall Kanadas ist die eigene Hymne ohnehin eine relativ neue Erfindung. O Canada, so heißt das 1880 geschaffene Werk, wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg um die fragliche Passage erweitert, um an die gefallenen Soldaten zu erinnern. Zunächst nur ein patriotisches Lied, wurde es 1980 wurde es zur Hymne geadelt. Zuvor wurde die britische Hymne gesungen, denn das Land ist Mitglied im Commonwealth of Nations, dem Königin Elisabeth vorsteht.

Und die britische Hymne, das sei um das Verschwinden der Männlichkeit besorgten Zeitgenossen gesagt, wird eines Tages auch wieder angepasst. Sollte Prinz Charles oder Prinz William eines Tages den Thron besteigen, wird es wieder "God save the King" heißen.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)

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