Germanisten haben an der Universität Bochum einen Versuch zur Entbürokratisierung der deutschen Sprache gestartet: Mit dem Projekt Idema (Internetdienst für eine Moderne Amtssprache) wollen die Wissenschaftler unter der Leitung von Hans-Rüdiger Fluck das Amtsdeutsch republikweit ausrotten. Für ihre Bemühungen werden sie auf der Tagung "Amtsdeutsch a.D.", die an diesem Donnerstag in Bochum beginnt, mit dem Preis der Bundesregierung "Ausgewählter Ort im Land der Ideen" ausgezeichnet. Die Süddeutsche Zeitung unterhielt sich mit der Sprachwissenschaftlerin Michaela Blaha, 36, die das Projekt mit aufgebaut hat.
Und falls Sie vorab ihr Wissen testen wollen: Sprechen Sie Beamtisch? Ein Quiz mit Bandwurmwörtern.
SZ: Frau Blaha, vor drei Jahren haben Sie Idema gegründet und 700 Ämter angeschrieben. Wie viele machen denn inzwischen bei Ihrem Sprachverbesserungs-Programm mit ?
Blaha: Zurzeit sind es 22.
SZ: Klingt nicht nach einem großen Erfolg. Wollen sich die Beamten nicht helfen lassen?
Blaha: So einfach kann man das nicht sagen. 22 klingt zunächst nicht nach viel, aber die Zahl unserer Abonnenten steigt ständig. Seit April macht auch die Bundesverwaltung mit. Die meisten Behörden wissen schon, dass sie ihre Briefvorlagen entrümpeln müssten. Aber viele Ämter wollten erst einmal unsere Datenbank sehen. Mittlerweile haben wir darin etwa 150 Beispielbriefe gesammelt, sortiert nach Fachgebieten. Andere Gemeinden wollten mitmachen, aber ihnen fehlt das Geld für solche Extraausgaben.
SZ: Die Teilnahme am Idema-Projekt kostet für eine Behörde - je nach Anzahl der Mitarbeiter - ja auch zwischen 1400 und 5500 Euro im Jahr.
Blaha: Aber die Investition lohnt sich. Bei verständlicheren Schreiben kommen viel weniger Rückfragen. Das spart Zeit und Geld und schont die Nerven der Mitarbeiter.
SZ: Alleine würden die Behörden das nicht schaffen?
Blaha: Vielleicht schon, aber es tut oft gut, wenn jemand mit einem Blick von Außen an die Sache ran geht. Viele Sachbearbeiter merken gar nicht mehr, wie viel Fachvokabular sie verwenden. Für sie ist das "Oberflächenwasser" so normal wie der Regen. Außerdem ist das Übersetzen von hochkomplexen Satzkonstruktionen sehr zeitaufwendig. Die Sätze müssen ja auch in verständlichem Deutsch noch juristisch korrekt sein. Viele Beamte trauen sich da erst gar nicht ran. Sie entnehmen ganze Passagen direkt aus Gesetzestexten oder verwenden Textbausteine aus dem Computer.
SZ: Also müsste man auch die Gesetzessprache unter die Lupe nehmen?
Blaha: Ein Pilotprojekt zu diesem Thema gibt es bereits. Das ist aber ein sehr langwieriger Prozess.
SZ: Es dreht sich ja nicht alles um juristische Feinheiten. Oder ist es rechtlich problematisch, wenn man statt "Fernsprecher" einfach "Telefon" schreibt oder aus der "Ablichtung" eine "Kopie" macht?
Blaha: Nein, es gibt bestimmte Unworte, die leicht mit einem eingängigen Wort zu ersetzen sind. Oft hilft es auch schon, wenn man erst mal etwas am Gesamteindruck eines Schreibens ändert, also keine drei Seiten in 10-Punkt-Schrift ohne Absätze verfasst. Aber das ist erst der Anfang.
SZ: Was raten Sie denn noch?
Blaha: Aktiver Schreibstil und weniger passive Formulierungen, eine persönliche Ansprache, Bandwurmwörter wie zum Beispiel "Restmüllbehältervolumenminderung" vermeiden, Rechtsverweise in Klammern verbannen. Und ganz wichtig: kein Hauptwortstil. Stattdessen lieber Verben verwenden.
SZ: Auf der Tagung "Amtssprache a.D." stehen die Auswüchse der Behördensprache in den europäischen Ländern im Mittelpunkt. Können wir von unseren Nachbarn etwas lernen?
Blaha: Oh ja! In Österreich etwa ist man schon viel weiter. Dort ist der Kampf gegen das Amtsdeutsch auch prominent beim Bundeskanzleramt angesiedelt. Und in den Niederlanden gibt es einen Erlass, der besagt, dass Amtsschreiben verständlich sein müssen.
SZ: Sind Sie selbst auch schon am Amtschinesisch gescheitert?
Blaha: Nicht nur einmal. Erst neulich wieder musste ich ein Schreiben übersetzen, in dem eine Versickerungsgrube "tagwasserdicht" abgedeckt werden musste. Ich wusste beim besten Willen nicht, was damit gemeint sein sollte. Also habe ich den Beamten angerufen. Er wusste es selbst nicht.