Der Ramses-Bahnhof gehört zu den ehrwürdigen Gebäuden der ägyptischen Hauptstadt, die von der goldenen Epoche Kairos zeugen, als Zugreisen am Nil noch gehobener Luxus waren. Er wurde 1856 für die Bahnverbindung von Kairo in die Mittelmeer-Hafenstadt Alexandria errichtet. Die 1892 im neomalukischen Stil gebaute Bahnhofshalle wird geziert von stilisierten Palmwedeln, einer durscheinenden Decke und Säulen, deren Kapitelle Lotusblüten nachempfunden sind. Sie ist offenbar weitgehend unversehrt geblieben, als am Mittwoch ein Zug offenkundig ungebremst um 9.26 Uhr in den Prellbock an Gleis sechs raste.
Die Lokomotive explodierte in einem Feuerball, der sich über den Bahnsteig in das angrenzende Gebäude walzte, das zeigen Bilder mehrerer Überwachungskameras, die von ägyptischen Medien veröffentlicht wurden. Mindestens 20 Menschen starben laut dem ägyptischen Gesundheitsministerium, 43 weitere wurden verletzt. In anderen Meldungen ist am Mittwochabend bereits von 25 Toten und 47 Verletzten die Rede. Der Chef des Eisenbahnkrankenhauses berichtete von Sorgen, dass die Zahl der Todesopfer weiter steigen könnte. Viele Verletzte haben schwere Verbrennungen erlitten.
Zugführer in Polizeigewahrsam
Schuld ist offenbar die Fahrlässigkeit eines Lokführers. Das zeigen erste Erkenntnisse der Ermittler. Der Mann sei mit dem Fahrer einer zweiten Lokomotive in Streit geraten, weil sein Zug von diesem blockiert worden sei, teilte die ägyptische Staatsanwaltschaft am Mittwochabend mit. Er habe darauf seine Führerkabine verlassen, um sich bei dem anderen zu beschweren, ohne die Bremse anzuziehen. Als der zweite Zug danach den Rückwärtsgang einlegte, nahm der erste wieder Fahrt auf. Er prallte schließlich gegen einen Betonblock am Ende des Gleises. Generalstaatsanwalt Nabil Sadek ordnete eine umfassende Untersuchung an.
Der Lokführer nahm in einem Interview mit einem privaten ägyptischen Fernsehsender die Schuld auf sich. Er habe seine Lok verlassen, um den anderen zu schelten, erklärte er. Er wisse nicht, wie sich sein Zug in Bewegung gesetzt habe. "Ich trage die Verantwortung für den Unfall", sagte er. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Lok in einem schlechten Zustand und die Bremsen lose gewesen seien. Zudem gab er an, von dem Unglück zunächst nichts gewusst zu haben, weil er nach dem Streit nach Hause gegangen sei.
Premierminister Mostafa Madbouly hatte nach einem Besuch an der Unglückstelle angekündigt, alle Verantwortlichen, die sich "Nachlässigkeiten zuschulden kommen ließen", würden streng bestraft. Verkehrsminister Hischam Arafat reichte seien Rücktritt ein. Am Freitag wurden sechs Verdächtige festgenommen, darunter zwei Lokführer, ihre Assistenten und zwei andere Bahnmitarbeiter.
Immer wieder Eisenbahn-Unglücke
In Ägypten kommt es wegen der veralteten Bahnanlagen und Zügen immer wieder zu schweren Eisenbahn-Unglücken. Im August 2017 starben 43 Menschen, als zwei Passagier-Züge auf offener Strecke nahe Alexandria kollidierten. Veraltete Signaltechnik und menschliches Versagen waren damals als Ursachen vermutet worden. Im November 2013 starben 26 Menschen bei Kairo, als ein Güterzug auf einem Bahnübergang einen Minibus rammte. Das schwerste Unglück mit mehr als 370 Toten ereignete sich 2002, als ein überbesetzter Zug eine Stunde nach der Abfahrt aus Kairo ins oberägyptische Assuan Feuer fing.
Die Regierung hat vergangenes Jahr versprochen, 55 Milliarden ägyptische Pfund (2,75 Milliarden Euro) in die Erneuerung der Infrastruktur, neue Sicherheitstechnik und den Kauf von 100 Lokomotiven zu investieren. Für viele Ägypter sind Züge auf längeren Strecken neben Bussen das einzige erschwingliche Beförderungsmittel. Viele Menschen sind empört darüber, dass die Regierung zwar Dutzende Milliarden Euro für eine neue Hauptstadt in einem Wüstengebiet 70 Kilometer vor Kairo ausgibt, aber kaum Geld in die marode Infrastruktur zu investieren oder die oft jahrzehntealten, heruntergekommenen Züge zu erneuern. Kairo erstickt im Verkehr, viele Straßen sind in miserablem Zustand und der Ausbau der U-Bahn in der Hauptstadt hinkt Jahre hinter dem Zeitplan her.