Kachelmann-Prozess: Gutachter Mattern:Er weiß es auch nicht

Gutachter Rainer Mattern untersuchte Claudia D. als Erster nach ihrer angeblichen Vergewaltigung durch Jörg Kachelmann. Im Prozess beschreibt er ihre Verletzungen - und kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis.

Hans Holzhaider, Mannheim

Aus gerichtsmedizinischer Sicht gibt es keinen Beweis dafür, dass der ehemalige Wettermoderator Jörg Kachelmann, 52, in der Nacht vom 8. zum 9. Februar 2010 seine damalige Geliebte Claudia D., 37, mit einem Messer bedroht und vergewaltigt hat. Andererseits lassen die Verletzungen, die D. nach dieser behaupteten Vergewaltigung vorwies, auch keine sichere Aussage darüber zu, ob sie sich diese Verletzungen selbst beigebracht hat. Weder die eine noch die andere Möglichkeit lasse sich aber ausschließen, sagte der Heidelberger Gerichtsmediziner Rainer Mattern, 65, am Dienstag vor dem Landgericht Mannheim, wo sich Kachelmann seit Anfang September 2010 wegen des Verdachts der Vergewaltigung verantworten muss.

Kachelmann-Prozess

Schürfwunden, Blutergüsse, Kratzer: Gerichtsmediziner Rainer Mattern untersuchte Claudia D. als Erster.

(Foto: dpa)

Mattern hatte Claudia D. am Mittag des 9. Februar persönlich untersucht. Am Morgen dieses Tages hatte sie bei der Polizei angezeigt, dass Kachelmann sie in der Nacht zuvor vergewaltigt habe, nachdem sie ihm seine Beziehungen zu anderen Frauen vorgehalten habe. Er habe ihr dabei ein Küchenmesser an den Hals gedrückt und sie mit dem Tod bedroht. Kachelmann, der fünf Wochen später nach seiner Rückkehr von den Olympischen Winterspielen in Vancouver festgenommen wurde, bestreitet die Tat. Er habe in dieser Nacht zunächst einvernehmlichen Sex mit Claudia D. gehabt, und habe sich, nachdem es zum Streit über seine Frauengeschichten gekommen sei, ohne jede körperliche Auseinandersetzung von ihr verabschiedet, sagte er der Polizei.

Mattern stellte bei Claudia D. eine längliche Schürfwunde am Hals, großflächige Blutergüsse an den Innenseiten der Oberschenkel sowie drei Kratzer am Oberschenkel, am Bauch und am linken Unterarm fest. Die Wunde am Hals war D.'s Darstellung zufolge dadurch entstanden, dass Kachelmann ihr während der gesamten Vergewaltigung ein Küchenmesser an den Hals gedrückt hatte. Wie die Hämatome entstanden waren, wisse sie nicht, sagte sie dem Sachverständigen; die Kratzer habe sie selbst nicht einmal bemerkt.

In seinem ersten Gutachten kam Mattern zu dem Schluss, dass sich "die Verletzungen mit dem geschilderten Tatgeschehen in Einklang bringen lassen". Die Hämatome an den Oberschenkeln könnten durch ein gewaltsames Auseinanderpressen der Beine mit den Knien zustande gekommen sein. Natürlich müsse der Gerichtsmediziner in einem solchen Fall immer auch an die Möglichkeit der Selbstbeibringung denken, sagte Mattern. Man könne sich "alle diese Dinge selbst zufügen, wenn man entschlossen genug ist".

Nachdem Mattern sein Gutachten bei der Staatsanwaltschaft abgeliefert hatte, schaltete Kachelmanns damaliger Verteidiger Reinhard Birkenstock seinerseits einen Sachverständigen ein. Der Münsteraner Gerichtsmediziner Bernd Brinkmann legte sich relativ eindeutig darauf fest, dass D. sich die Verletzungen selbst beigebracht habe. Die Wunde am Hals sei nicht mit der Form und der Größe der angeblichen Tatwaffe vereinbar, argumentierte Brinkmann; die Form der Blutergüsse an den Oberschenkeln deute darauf hin, dass sie durch Faustschläge entstanden seien.

Brinkmann hatte verschiedene Versuche an sich selbst und an Mitarbeiterinnen unternommen, um seine Thesen zu untermauern. Er konnte seine Untersuchungsergebnisse vor Gericht allerdings nur als sachverständiger Zeuge vortragen; als Sachverständigen hatte ihn das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft für befangen erklärt.

"Ich merkte, da kann ich nicht weitermachen"

Die Einwände Brinkmanns und weiterer, von der Verteidigung aufgebotener Sachverständiger nahm Rainer Mattern zum Anlass, nun auch seinerseits diverse Versuche anzustellen und sein Gutachten zu ergänzen. Er habe Claudia D. am 12. November 2010 zu einer weiteren Untersuchung gebeten und sie dabei auch überredet, sich das angebliche Tatmesser noch einmal an den Hals drücken zu lassen, berichtete Mattern. Sie sei dabei sofort in Tränen ausgebrochen und habe zu zittern begonnen. "Ich merkte, da kann ich nicht weitermachen", sagte Mattern. Seine Versuche hätten aber ergeben, dass die Verletzung durchaus durch die angebliche Tatwaffe verursacht worden sein könne, allerdings nur durch den Messerrücken, nicht durch die Schneide. Dass die Verletzung durch Kratzen mit den Fingernägeln entstanden sei, schloss Matern aus.

Jörg Kachelmann Prozess

Steht in Mannheim vor Gericht: Meteorologe Jörg Kachelmann.

(Foto: REUTERS)

Ebenso unentschieden blieb Matern hinsichtlich der Hämatome an den Oberschenkeln. Dass verschiedene Ausbuchtungen vom Abdruck der Fingerknöchel bei einem Faustschlag herrühren, sei möglich, aber nicht zwingend, sagte der Sachverständige. Die unregelmäßige Ausprägung des Unterhautfettgewebes könne auch dann zu solchen Ausbuchtungen führen, wenn die Verletzung durch einen glattrandigen Gegenstand verursacht wurde. "Wenn es allerdings Faustschläge waren, dann muss sie schon gewaltig zugeschlagen haben", sagte Mattern.

Man könne sich auch vorstellen, dass die zusammengepressten Beine mit einem Knie auseinandergedrückt wurden. Das Kniegelenk weise seitlich verschiedene Erhebungen auf, die durchaus solche unregelmäßig geformten Blutergüsse verursachen könnten. Diese Variante habe er sogar mit seiner eigenen Ehefrau erprobt, allerdings nicht mit solchem Nachdruck, dass dabei Hämatome entstanden wären. "Alle möglichen Dinge sind denkbar. Ich kann weder das eine noch das andere beweisen", fasste Mattern zusammen.

Den Aussagen des Gerichtsmediziners kommt erhebliche Bedeutung in diesem Prozess zu, weil sie neben den DNS-Untersuchungen der angeblichen Tatwaffe die einzigen objektiven Anhaltspunkte für die angebliche Vergewaltigung liefern könnten. Die Analyse der DNS-Spuren an dem Messer hatte Kachelmann eher entlastet. Weder fanden sich am Messergriff eindeutige DNS-Spuren Kachelmanns, noch gab es am Messerrücken DNS-Spuren der Nebenklägerin.

Dem Gutachten Matterns schloss sich eine außerordentlich akribische Befragung durch das Gericht und die anderen Prozessbeteiligten an, die sich voraussichtlich noch weit in den nächsten Verhandlungstag erstrecken wird. Ein Ende des Prozesses, der vorerst bis März terminiert ist, ist noch nicht abzusehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: