JVA Heidering:Gefangen in Großbeeren

JVA Heidering Großbeeren Berlin

Fast wie draußen sollen sich die Häftlinge auf der Magistrale der JVA in Großbeeren fühlen. 

(Foto: Nico Diekmann)

Lichtdurchflutete Flure, modernes Wohnkonzept: Berlin hat ein neues Gefängnis, an diesem Donnerstag wird es eröffnet. Für Kritiker ist die JVA Heidering überflüssig, andere nennen sie einen Luxus-Knast. Ein Besuch.

Von Nicolas Diekmann

Wer das Gebäude betritt und rechts abbiegt, vor dem öffnet sich dieser lange Gang. Zehn Meter ist er breit, zu beiden Seiten fällt Tageslicht durch die hohen Glasfassaden. Weiße Säulen zieren alle paar Meter den Weg. Die Fenster sind geputzt, es riecht nach Farbe. Ein moderner Kunstbau? Eine neu gebaute Schule? Mitnichten. Der Gang nennt sich "Vollzugsmagistrale" und verbindet in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heidering den Wohn- mit dem Arbeitsbereich. Das neu errichtete Berliner Gefängnis ist in vielerlei Hinsicht etwas besonderes. Manche sagen: besonders luxuriös.

Am Donnerstag wird Heidering offiziell eröffnet, seit Jahresbeginn wird die Technik getestet, die Sicherheitsanlage, die Küchengeräte. Im April kommen die ersten 70 Inhaftierten aus anderen Berliner Anstalten ins brandenburgische Großbeeren. 30 Kilometer südlich der Stadtmitte gelegen, sind Baugrund und Gebäude im Besitz der Bundeshauptstadt. 118 Millionen Euro hat der Bau gekostet. 2009 wurde der erste Spatenstich gesetzt, Zeit- und Kostenplan sind seither eingehalten worden. Ein kleiner Erfolg für Berlin, in Zeiten des Flughafen-Desasters.

Die neue JVA hat vor allem den Zweck, Deutschlands größtes Gefängnis in Tegel zu entlasten, wo etwa 1500 Männer inhaftiert sind. Um 1900 errichtet, ist die Bausubstanz marode. Die Zellen waren lange überfüllt, immer wieder entschieden Berliner Gerichte, dass die Unterbringung menschenunwürdig ist. Eine Teilanstalt in Tegel ist bereits geschlossen, eine weitere soll stillgelegt werden, sobald das neue Gefängnis ausgelastet ist. In Großbeeren ist Platz für 648 Insassen. Das Gefängnis sei einfach neuer und dadurch zeitgemäßer, sagt Anke Stein, Leiterin der JVA Heidering. Wenn sie über den Bau spricht, klingt es mitunter, als gehe es um ein Hotel: "Der Bau ist sicher, technisch auf dem neuesten Stand, aber auch hell und transparent."

Komfort hinter Gittern?

Nur eine einzige Gittertür unmittelbar vor dem Treppenhaus trennt die Magistrale von den Zellen. Im ersten Stock angekommen, dreht man sich im Kreis. Flure öffnen sich in alle vier Richtungen. Dort, wo sie aufeinandertreffen, steht ein kleiner Glaskasten, einem Pförtnerhäuschen ähnlich, von wo aus Beamtinnen und Beamten die Häftlinge im Blick behalten sollen. Jeder Flur bildet eine Einheit, jede Einheit besteht aus 18 Einzelzellen. Auf etwa zehn Quadratmetern sollen die Häftlinge hier künftig leben, damit sind die Zellen fast doppelt so groß wie einige in Tegel. Ein 90-Zentimeter-Bett steht darin, am Fußende ein Schrank, gegenüber ein Schreibtisch. Gitterstäbe erschweren den Blick durch das Fenster, öffnen lässt es sich nur zu einem kleinen Teil. Die Gefängnisleitung hat Angst, dass die Inhaftierten sich darüber sonst gegenseitig mit Drogen versorgen. Auf dem Weg aus der Zelle hinaus auf den Flur - gelbgrüner Linoleumboden, ein Farbklecks wie aus den 70er Jahren - ist eine kleine Schiebetür. Ein abtrennbares Bad mit Waschbecken und Toilette, wie hier, findet sich auch nicht in jeder Zelle Deutschlands.

Wie so häufig bei Entscheidungen des Strafvollzugs gibt es Kritik an diesem Bau. Ein Luxus-Knast sei das, schreiben Berliner Zeitungen und hinterfragen, ob Inhaftierte diesen Komfort brauchen würden. Komfort hinter Gittern? Kann es den überhaupt geben?

Der politische Streit dreht sich jedoch um andere Themen. So ist beispielsweise die Zugverbindung nach Großbeeren schlecht, ein Bus direkt zur JVA fährt tagsüber teilweise nur im Zweistundentakt. Für die Beamten ein mühseliger Arbeitsweg, vor allem aber umständlich für die Angehörigen und Freunde der Häftlinge. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Dirk Behrendt, nennt den Knast auch deshalb das "überflüssigste Gefängnis Deutschlands".

Viel Platz für weniger Häftlinge

Im diesem Gefängnis wird der Alltag der Insassen trotz äußerlicher Veränderungen derselbe bleiben. Leiterin Stein sagt: "Die JVA Heidering ist und bleibt ein Gefängnis mit einem streng reglementierten Tagesablauf", der so beginnt: Aufstehen um 6:30 Uhr, nach dem Frühstück geht es zur Schule oder zur Arbeit. Auf dem Weg dorthin können sich die Insassen frei bewegen. Vom Wohnbereich geht es auf die Magistrale. Bis die Tür des Arbeitsbereichs auf der gegenüberliegenden Seite erreicht ist. Architekt Josef Hohensinn war neben dem Licht die Frischluft in diesem Gang besonders wichtig: "Die Insassen sollen nicht die ganze Zeit das Gefühl haben, sie befinden sich in einem Gebäude. Sie sollen die Jahreszeiten spüren." So können sie sich frei bewegen - wenn auch nur für kurze Zeit.

Was nach ungewohnter Eigenständigkeit innerhalb eines Gefängnissen klingt, folgt ökonomischem Kalkül: Durch die Konzeption der "Magistrale" wird an Personal gespart. Der Gang ist kameraüberwacht, ansonsten werden einige wenige Beamte oberhalb des Gangs die Inhaftierten im Auge haben. Die Sparmaßnahmen gehen auf Finanzsenator Ulrich Nussbaum (SPD) zurück, der 2011 ankündigte, am Gefängnispersonal zu sparen.

So kümmert sich ein Sozialarbeiter künftig um 36 Insassen. Das sei eine "auskömmliche Ausstattung", heißt es vom Justizsenat, ob diese Zahl ausreiche, werde sich zeigen. Definitiv zu wenig findet findet das Dieter Wurm. Er ist Chefredakteur der Zeitschrift Lichtblick, die von Insassen der JVA Tegel erstellt wird. Wurm sagt: "Der Betreuungsschlüssel ist der gleiche wie in Tegel und das bedeutet, dass man im Monat 45 Minuten mit dem Sozialarbeiter hat. Das kann die negativen Effekte der Haft nicht ausgleichen." Es brauche Motivation von außen, durch Betreuung und Behandlung. "Wer in einer Zelle eingesperrt ist, kann meistens keine persönliche Motivation aufbringen", sagt Wurm. Und auch den fehlenden Wohngruppenvollzug kritisiert er. Zwar gibt es Aufenthaltsräume und so einen gemeinsamen Treffpunkt, der aber von den Aufschlusszeiten abhängt. "Gruppenaktivitäten, wie sie der Wohngruppenvollzug vorsieht, werden erschwert", sagt Wurm.

JVA Heidering Großbeeren Berlin

Fast Jugendherbergs-Flair: Gemeischaftsküche in Heidering.

(Foto: Nico Diekmann)

Die Aufenthaltsräume gibt es für jede Einheit, also 18 Insassen. Sie teilen sich am Ende jedes Flures eine Küche mit Herd und Spüle. Das Gelbgrün des Bodens setzt sich in den Küchenzeilen fort. Der Raum erinnert an ein Hostel, fast schon gemütlich, geräumig - und vor allem hell. Denn an jeden Aufenthaltsbereich angeschlossen ist eine "Loggia", wie sie Architekt Hohensinn bezeichnet, ein kleiner vergitterter Balkon mit einer Schiebetür aus Glas. Hier können die Inhaftierten künftig an die frische Luft, rauchen und Kaffee trinken. Eine Neuerung, die Hohensinn wichtig war: "Die Loggias sind ein Symbol, eine Kleinigkeit, mit der man aber sehr viel Lebensqualität erreicht."

Dabei ist fraglich, ob die sich veränderte Belegsituation der Berliner Gefängnisse einen neuen Knast überhaupt notwendig macht. Dirk Behrendt von den Grünen sagt: "Die Gefangenenzahlen haben sich anders entwickelt als erwartet wurde." Tatsächlich gehen die Zahlen zurück: 2008 noch wurde für heute mit etwa 5000 Inhaftierten kalkuliert, 1000 mehr als aktuell in Berlin einsitzen. Der Justizsenat sagt, dass Heidering trotzdem notwendig sei - schließlich könnten die Gefangenenzahlen jederzeit wieder ansteigen. Zudem sei dadurch die Möglichkeit gegeben, veraltete Teilanstalten schließen zu können.

Doch hätte es hierfür auch eine andere Lösung gegeben: Das Land Brandenburg hat mehrfach angeboten, einige der Berliner Häftlinge zu übernehmen - doch das wollte die Stadt nicht. "Es ist dem Steuerzahler kaum zu erklären, warum man das Abgebot der Brandenburger nicht angenommen hat und stattdessen fast 120 Millionen Euro in den Neubau investiert", sagt Behrendt. Angeblich gab es damals Spannungen zwischen dem zuständigen Justizminister in Brandenburg und der Justizsenatorin Berlins. Thomas Heilmann (CDU), amtierender Justizsenator, erklärt, dass die Kooperation schlicht zu teuer gewesen sei: "Das Land will 100 bis 120 Euro pro Tag und pro Häftling. Wir würden lediglich den Strom für die Zellen sparen." Das rechne sich erst, wenn durch die Verlegungen ganze Gebäude geschlossen werden könnten.

So gibt es nun diese neue Sporthalle und im Außenbereich drei großzügige, neu angelegte Sportplätze, zum Kicken und Basketballspielen, eingekreist von einer 400-Meter-Laufbahn. Dahinter aber ist dieser Zaun, der die Insassen stets daran erinnert, dass sie sich nur eingeschränkt bewegen können. Anstatt einer Mauer sind es Stahlmaschen in doppelter Reihe. Dahinter zeigt sich die brandenburgische Weite. Keine Häuser, ein paar Bäume. Leere. Die Insassen können sehen, wo sie nicht hinkönnen. Die Freiheit ist nah, so die Aussage. Und doch unerreichbar.

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