Thomas Schulte-Kellinghaus ist Richter in einem Freiburger Zivilsenat des Karlsruher Oberlandesgerichts und kann schon ein wenig anstrengend sein. Für seine Herzensthemen - etwa die richterliche Selbstverwaltung - streitet er mit Verve, egal, wie weit der Abend fortgeschritten ist. Mitglied im "linken" Berufsverband Neue Richtervereinigung, kein ganz einfacher Zeitgenosse. Aber eben auch ein aufrechter Idealist, der die Justiz verbessern will. Und eines hat ihm noch keiner vorgeworfen: dass er ein fauler Richter sei.
Das tut auch seine OLG-Präsidentin Christine Hügel nicht. Nur, dass er eben zu wenig Fälle erledigt, so hat sie ihm geschrieben - unter der unfreundlichen Betreffzeile "Vorhalt und Ermahnung": "Das Durchschnittspensum unterschreiten Sie seit Jahren ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessenden Toleranzbereiche."
In Zahlen: Jeder OLG-Richter erledigt gut 70 von ihm maßgeblich bearbeitete Verfahren, Schulte-Kellinghaus pendelt um die 50, zuletzt sogar deutlich darunter.
Feste Arbeitszeiten für Richter sind unzulässig
Der harsche Brief ist eine Maßnahme der Dienstaufsicht und deshalb ein Problem. Richter genießen Unabhängigkeit, das steht im Grundgesetz. Wie nachdrücklich sie gleichwohl zum Arbeiten angetrieben werden dürfen, gehört zu den kompliziertesten Problemen des Dienstrechts.
Feste Arbeitszeiten für Richter sind zum Beispiel unzulässig - andererseits unterliegt ihr Arbeitspensum natürlich nicht der persönlichen Disposition. Jedenfalls hat Schulte-Kellinghaus gegen Hügel beim Richterdienstgericht geklagt, um klären zu lassen: Darf die Präsidentin ihn unter Erledigungsdruck setzen?
Fabian Wittreck, Rechtsprofessor aus Münster, bezeichnet Hügels Aktion nun als Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit - und zwar in der ehrwürdigen Neuen Juristischen Wochenschrift. Zwar erlaubt die Rechtsprechung, dass Richter etwa zur Einhaltung konkreter Fristen ermahnt werden, oder dazu, überlange Verfahren zu vermeiden. Auch darf ihr persönliches Arbeitstempo im Dienstzeugnis vermerkt werden.
Doch im OLG-Fall geht es um eine verbindliche Schlagzahl: "Mit anderen Worten wird dem Betroffenen entweder strukturelle Langsamkeit oder überdurchschnittliche Sorgfalt zum Vorwurf gemacht", kritisiert Wittreck.
"Ich weiß, wie man Fälle schneller erledigt"
Schulte-Kellinghaus jedenfalls fühlt sich dazu gedrängt, zwischen einem kurzen Prozess und einem soliden Urteil zu wählen - für ihn keine wirkliche Alternative. Denn in einem Punkt liegt er über dem OLG-Durchschnitt: bei der Zahl seiner Urteile, die in Fachzeitschriften abgedruckt wurden. Er selbst sagt: "Ich weiß, wie man Fälle schneller erledigt. Aber ich kann das nicht."
Verfahren lassen sich abkürzen, indem man etwa auf zeitaufwendige Beweisaufnahmen verzichtet. Dies jedoch dürfte keinem Richter abverlangt werden: Die Vorgabe, Verhandlungen straffer zu führen, verletzt den "Kernbereich richterlicher Tätigkeit", urteilte der Bundesgerichtshof 1984.
Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht über den "Deal" im Strafrecht verhandelt. Dort hat eine Studie gezeigt, was passieren kann, wenn man Prozesse abkürzt: Richter, die zum Deal greifen, nehmen es mit der Wahrheit häufig nicht mehr so genau.