Schwerstkranke und leidende Menschen haben im Ausnahmefall das Recht darauf, mit Hilfe von Medikamenten selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden und damit das Recht von Patienten auf einen selbstbestimmten Tod gestärkt. In "extremen Ausnahmefällen" dürfe der Staat den Zugang zu einem verschreibungsfähigen Betäubungsmittel nicht verwehren, das einem unheilbar kranken Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, urteilte der Senat (AZ 3 C 19.15).
Grundsätzlich sei es "nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben". Es sei "eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative - etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch - zur Verfügung steht". In einem solchen Extremfall umfasse das verfassungsmäßige Selbstbestimmungsrecht des Kranken auch das Recht, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war eine Klage eines Mannes aus Braunschweig vorausgegangen. Dessen Frau hatte 2004 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) vergeblich den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung beantragt. Die Frau war nach einem Unfall vom Hals abwärts gelähmt, auf Beatmung angewiesen und pflegebedürftig; häufige Krampfanfälle verursachten starke Schmerzen. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Ablehnung des Bfarm rechtswidrig war. Das Bundesinstitut hätte prüfen müssen, ob hier eine Ausnahme möglich gewesen wäre. "Diese Prüfung lässt sich nach dem Tod der Ehefrau des Klägers nicht mehr nachholen", teilte das Gericht mit.
Betroffene Frau nahm in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch
Die Frau hatte sich im Februar 2005 schließlich in der Schweiz mit Hilfe des Sterbehilfevereins Dignitas das Leben genommen. Allerdings ließ das Gericht offen, ob die Frau des Klägers tatsächlich so ein extremer Einzelfall gewesen wäre. Das Bfarm hätte das damals prüfen müssen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Entscheidung, der eine große Tragweite zukomme. Sie sei "ein Schlag" für die Suizidprävention, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Süddeutschen Zeitung. Brysch bemängelte, Leiden sei nicht objektiv messbar und auch nicht juristisch allgemeingültig zu definieren.
Der Gesundheitsrechtler Stefan Huster von der Universität Bochum begrüßte dagegen den "individualrechtlich gedachten liberalen Grundton" der Entscheidung. Er bezweifelte aufgrund des Ausnahmecharakters aber, dass diese "große Bedeutung für die Rechtspraxis" haben werde. "Alles verbieten, auch für die extremen Fälle, das geht bei einer so wesentlichen Entscheidung wie der über einen selbstbestimmten Tod aus verfassungsrechtlichen Gründen eben nicht."