Justiz:Mörder in Therapie

Prozess in der Schweiz

Als hätte er sich in ein Fahrzeug gesetzt, die Bremsen gelöst und auf den "Highway des Grauens" begeben, sagt der Richter über den Angeklagten. Zeichnung: Walter Bieri/dpa

Darf ein derart skrupelloser Täter wie der Vierfach-Mörder von Rupperswil jemals wieder zurück in die Freiheit? Die Diskussion über einen der grausamsten Kriminalfälle hat die Schweiz entzweit. Nun wurde das Urteil gesprochen.

Von Anna Fischhaber und Martin Zips

Es ist das vorläufige Ende eines der aufsehenerregendsten Prozesse in der Schweizer Kriminalgeschichte. Selbst langjährige Gerichtsreporter zeigten sich schockiert über die ungeheure Grausamkeit, mit der Thomas N., der Mörder von Rupperswil, kurz vor dem Weihnachtsfest 2015 seine vier Opfer quälte, bevor er ihnen der Reihe nach mit einem Küchenmesser die Kehle durchschnitt. Auf diese Weise starben in einem Einfamilienhaus im Kanton Aargau die 48 Jahre alte Mutter Carla S., ihr 19 Jahre alter Sohn Dion und dessen 21 Jahre alte Freundin Simona. Den 13-jährigen Sohn Davin hatte N., auf dessen Computer die Polizei nach der Verhaftung Tausende Videos und Fotos mit kinderpornografischem Inhalt fanden, zuerst noch missbraucht, bevor er ihn tötete. Dabei hatte sich N. gefilmt.

Sein Opfer Carla S. hatte der in der Nähe des Tatorts bei seiner Mutter lebende N. vor dem Martyrium noch zur Bank geschickt, damit sie Geld abhebe. Doch auch die 1000 Euro und 10 000 Franken, die sie nach Hause brachte, konnten ihr Leben und das Leben ihrer Kinder nicht retten. Gibt es eine Strafe, die für eine solche Tat angemessen erscheint? Diese Frage wurde in den vergangenen Wochen nicht nur in der Schweiz heftig diskutiert. Ja, der Fall wurde in einigen Medien, wie die NZZ schreibt, "in noch nie da gewesener Weise zum Showdown hochstilisiert, zu einer Art Abrechnung mit dem Bösen schlechthin".

Nun hat das Bezirksgericht Lenzburg sein Urteil gesprochen. Lebenslange Haft plus sogenannte "ordentliche Verwahrung" für Thomas N. - unter anderem wegen vierfachen Mordes, räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung und sexueller Nötigung. In der Schweiz gibt es mehrere Arten von Verwahrungen: Bei der ordentlichen Verwahrung kann der Straftäter entlassen werden, wenn zu erwarten ist, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Bei der lebenslangen Verwahrung indes braucht es für eine Entlassung noch zusätzliche wissenschaftliche Erkenntnisse.

Im Fall N. hatte die Staatsanwaltschaft lebenslange Verwahrung gefordert, die Verteidigerin aber nur auf 18 Jahre Freiheitsentzug plädiert. Gerichtspräsident Daniel Aeschbach nannte die Tötungen von Rupperswil geplant, kaltblütig, mitleid- und empathiefrei und primitiv. Als habe sich der Täter in ein Fahrzeug gesetzt, die Bremsen gelöst und auf den "Highway des Grauens" begeben, so der Richter. Die Opfer seien von N., 34, der die Familie vorher ausspioniert hatte und sich unter dem Vorwand, er sei Schulpsychologe, Einlass in das Haus verschafft hatte, "geschächtet" worden.

N., ein zuvor nicht vorbestrafter Jugendfußballtrainer, hatte Carla S. an der Haustür mit dem fiktiven Vorwurf konfrontiert, eine Mitschülerin ihres Sohnes habe Selbstmord begangen, da sie von ihm gemobbt worden sei. Zum "Beweis" hatte N. einen gefälschten Brief der Schule und eine gefälschte Visitenkarte vorgezeigt. Nach der Tat hatte er das komplette Wohnhaus in Brand gesteckt. Das Urteil nahm der Täter, Schweizer Medien beschreiben ihn äußerlich als "Muster-Schwiegersohn", ohne Regungen entgegen. Während der Verhandlung, die wegen des immensen Medieninteresses in ausreichend großen Räumlichkeiten in Schafisheim stattfinden musste, hatte der Angeklagte seine Taten gestanden und darüber gesagt: "Ein normaler Mensch macht das nicht." Sein Hauptmotiv sei das Geld gewesen.

Dass N.s Verteidigerin in ihrem Plädoyer versucht habe, einen Teil der Schuld auf die Opfer abzuwälzen, nannte der Gerichtspräsident "bizarr und grotesk". Im Namen der Angehörigen äußerte sich der Lebensgefährte von Carla S. in einem kurzen Statement vor dem Gericht: Man habe schreckliche Zeiten durchlitten, sei aber mit dem Urteil zufrieden, sagte er. Auf den Täter kommen auch Verfahrens- und Anwaltskosten, sowie Zivilansprüche in Höhe von mehr als einer Million Schweizer Franken zu.

Laut den Ermittlungen der Schweizer Polizei soll Thomas N. mindestens zwei weitere Taten nach demselben Muster konkret geplant haben. Für diesen Zweck habe er Listen weiterer Buben angelegt, deren Namen er im Internet recherchierte. Er habe bereits bei zwei seiner möglichen Opfer angerufen und ihr Umfeld erforscht. Diese Vorwürfe bestreitet er. Das Gericht sprach in seiner Urteilsbegründung dennoch von Hinweisen auf eine Serientäterschaft und verurteilte ihn wegen strafbarer Vorbereitungshandlungen.

Zwei psychiatrische Gutachter hatten N. während des Verfahrens für grundsätzlich therapierbar erklärt, weshalb er sich im Gefängnis nun einer ambulanten Therapie unterziehen muss - und damit die theoretische Chance erhält, nach der verbüßten Haftstrafe wieder in Freiheit zu gelangen. Die Sachverständigen beschrieben N. als "narzisstisch" und "pädophil". Störungen, die nach ihrer Meinung allerdings behandelbar sind. Damit schied eine lebenslange Verwahrung des Mannes de facto aus. In der Schweiz kann ein zur lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter nach 15 Jahren oder, etwa bei Krankheit, bereits schon nach zehn Jahren wieder entlassen werden. (In Deutschland gibt es zusätzlich das Kriterium der besonderen Schwere der Schuld.) Die ordentliche Verwahrung geht über die eigentliche Strafe hinaus. Ihre Dauer ist Abwägungssache. Einige Schweizer Juristen fordern deshalb infolge des Falls Thomas N. eine deutlich längere Strafe für "lebenslänglich". In seiner Urteilsbegründung sprach Gerichtspräsident Aeschbach von der höchstmöglichen Strafe. Auch Staatsanwältin Barbara Loppacher lobte das Urteil, obwohl sie sich zuvor für eine lebenslange Verwahrung ausgesprochen hatte. Sie habe zumindest die Hoffnung, dass Thomas N. nie mehr in Freiheit komme, sagte sie. Sobald die schriftliche Begründung vorliege, werde man über eine Anfechtung nachdenken. Die Staatsanwältin hatte im Prozess argumentiert, dass die Gutachter bei N. keine psychische Störung attestiert hätten. Damit brauche er allerdings auch keine Therapie. Und er bleibe für immer eine Gefahr für die Öffentlichkeit.

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