Justiz:Kardinal Pell vom Missbrauchsvorwurf freigesprochen

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Kardinal George Pell kommt auf freien Fuß. Das höchste australische Gericht gab dem Berufungsantrag des 78-Jährigen statt. Foto: Andy Brownbill/AP/dpa (Foto: dpa)

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Canberra (dpa) - Der wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte Kardinal George Pell ist überraschend freigesprochen worden. Das höchste australische Gericht gab dem Berufungsantrag des 78-Jährigen statt.

Der ehemalige Berater des Papstes und Finanzchef des Vatikans wurde daraufhin nach rund 13 Monaten in Haft aus einem Gefängnis in der Nähe von Melbourne entlassen. Für Missbrauchsopfer ist das ein schwerer Schlag, da der Fall weit über Australien hinaus Symbolkraft hat.

Aufgrund der Coronavirus-Beschränkungen wurde das Urteil in einem fast leeren Gerichtssaal in Brisbane von der Obersten Richterin Susan Kiefel gesprochen. Im März 2019 war der frühere Erzbischof von Melbourne wegen des Missbrauchs von zwei Chorknaben in den 90er Jahren zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, er selbst weist alle Vorwürfe zurück. Pell war damit der ranghöchste Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Die Aussage eines früheren Chorknaben, der heute Mitte 30 ist, war dabei maßgeblich.

Die Richter hielten es nun für eine "bedeutende Möglichkeit", dass eine unschuldige Person verurteilt wurde. Die Beweislast war für sie nicht ausreichend, Pells Schuld zu untermauern. Australische Medien zeigten, wie Pell nach dem Freispruch kurz vor Ostern in einem Autokonvoi davonfuhr. Sein Ziel: ein Kloster in der Nähe von Melbourne, dort wurde er von einer Nonne und mit einer Kiste Wein begrüßt, wie die Nachrichtenagentur AAP berichtete.

Dass er auf seinen Posten als Finanzchef in Rom zurückkehrt, ist unwahrscheinlich. Denn dort wurde schon vor längerem ein Nachfolger benannt. Auch aus dem Kardinals-Beratergremium des Papstes ist er bereits ausgeschieden. Für den Vatikan ist der Freispruch ein Grund zum Aufatmen. Man begrüße das Urteil, Pell habe immer seine Unschuld beteuert, teilte der Kirchenstaat mit. Für viele Opfer stand der Fall Pell auch immer für das Versagen der katholischen Kirche im Kampf gegen Kindesmissbrauch.

Papst Franziskus äußerte sich wenige Stunden nach dem Urteil vieldeutig in seiner Frühmesse: "In diesen Tagen der Fastenzeit haben wir gesehen, welche Verfolgung Jesus erdulden musste (....): Er wurde von Menschen voller Hass verurteilt, obwohl er unschuldig war. Ich möchte heute für alle Menschen beten, die unter einem ungerechten Urteil leiden."

Pell nannte die Entscheidung des Gerichts nun ein Heilmittel gegen die "ernsthafte Ungerechtigkeit", die ihm widerfahren sei. Er hege aber keinen Groll gegen seine Ankläger, sagte er in einer Presseerklärung. Er wolle nicht, dass sein Freispruch zum Schmerz und zur Bitterkeit, die so viele fühlten, beitrage. Zudem betrachte er seinen Prozess nicht als Referendum über die katholische Kirche oder über den Umgang der australischen Kirchenbehörden mit Kindesmissbrauch. "Es ging darum, ob ich diese schrecklichen Verbrechen begangen hatte, und das habe ich nicht", betonte Pell.

Der Freispruch muss nach den Worten des australischen Premierministers Scott Morrison akzeptiert werden. "Der High Court, das höchste Gericht des Landes, hat seine Entscheidung getroffen und diese muss respektiert werden." Eine Debatte über diese Themen sei sehr schmerzhaft für Missbrauchsopfer, seine Gedanken seien bei ihnen, ergänzte er.

Das Urteil stieß auch auf heftige Kritik. Phil Nagle (55), der in Australien als Schüler von einem Geistlichen missbraucht wurde, sagte der Deutschen Presse-Agentur, er sei "verwirrt" und "ungläubig". Pells Fall zeigt seiner Meinung nach, was die Gesellschaft denkt: Den Opfern wird geglaubt, aber dennoch kommen die Verantwortlichen nicht hinter Gitter. Betroffenen-Organisationen sehen in dem Urteil eine Signalwirkung. "Für viele Überlebende ist diese Entscheidung niederschmetternd, denn es kostet gewaltigen Mut, sich zu zeigen und Gehör zu verschaffen", so die Blue Knot Stiftung.

Unterstützende Worte für Pell kamen vom Erzbischof in Sydney. Auch wenn man das Versagen der katholischen Kirche in der Vergangenheit anerkenne, gebe es nie Gerechtigkeit für die Opfer, indem man jemanden falsch verurteile und inhaftiere, so Anthony Fisher. Melbournes Erzbischof Peter Comensoli sagte, er glaube Kardinal Pell.

Pells Verteidiger hatten unter anderem so argumentiert: Nach einer Sonntagsmesse sei es unmöglich gewesen, dass ein Erzbischof fünf oder sechs Minuten in der Sakristei mit zwei Chorknaben alleine war - so soll es bei einem Übergriff gewesen sein. Bei dem anderen Fall, für den Pell verurteilt wurde, waren laut seiner Verteidigung keine Zeugen dabei. Die Anklage habe zudem die Beweislast umgedreht: Statt dass sie Pells Schuld beweist, musste die Verteidigung seine Unschuld beweisen.

Pells erster Versuch, das im März 2019 gesprochene Urteil von einem Berufungsgericht aufheben zu lassen, scheiterte im August. Demnach hätte Pell frühestens im Oktober 2022 aus der Haft entlassen werden können. Nach der Entscheidung des Berufungsgerichts legten die Anwälte des Geistlichen beim obersten Gericht Einspruch ein, so dass sich dieses nun damit befasste.

Der Vater eines mittlerweile verstorbenen Chorknaben, eines der mutmaßlichen Opfer, zeigte sich nach dem Urteil schockiert. Nach Angaben seiner Anwältin Lisa Flynn zerreiße ihm der Gedanke an den Mann, der die Aussage gegen Pell gemacht hatte, das Herz. Er wolle demnach mit einer Zivilklage gegen Pell vorgehen.

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