Bankräuber vor Gericht:Wenn das letzte Wort 20 Stunden dauert

Fortsetzung Prozess gegen mutmaßlichen Serienbankräuber

Die Bild verpasste Michael Jauernik, 71, wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Schauspieler den Namen "Richard Gier".

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Michael Jauernik bekam einen Literaturpreis für Gefangene, klagte erfolgreich für bessere Haftbedingungen und raubt seit den Siebzigern Banken aus. Nun steht das vermutlich letzte Urteil seiner Verbrecherkarriere bevor.

Von Peter Burghardt

War das nun wirklich sein letztes Wort vor Gericht? Das letzte Wort des Bankräubers, der seit Jahrzehnten die Justiz aufmischt und als Häftling zwischendurch auch mal einem Gefängnis aufs Dach gestiegen ist?

Wenn ja, dann wird am kommenden Montag nur noch die Vorsitzende Richterin in diesem Prozess am Hamburger Landgericht sprechen. "Im Namen des Volkes", wird Birgit Woitas sagen und das Urteil gegen Michael Jauernik verkünden. Vorgeworfen werden ihm schwere räuberische Erpressung und versuchter Mord, er soll zwischen 2011 und 2019 drei Hamburger Sparkassen überfallen und einen Bankangestellten mit einem Schuss in den Bauch lebensgefährlich verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft fordert zwölf Jahre und zehn Monate Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Doch bevor dieses wohl letzte Urteil seiner Verbrecherkarriere gesprochen wird, sprach vor allem er, der Angeklagte. Michael Jauernik, 71 Jahre alt.

Der vergangene Freitag, ein sonniger Vormittag. Hamburger Landgericht, Strafjustizgebäude, Saal 139. "Dann können wir fortfahren mit dem letzten Wort", sagt die Richterin, es ist der Tag fünf von Jauerniks letztem Wort. Im Zuschauerraum sitzen zehn Zuschauer oder Reporter. Michael Jauernik, geboren 1948 in Benediktbeuern am Alpenrand, trägt Hemd und Sakko. Die Bild-Zeitung nennt ihn "Richard Gier", er sieht dem Schauspieler Richard Gere ein bisschen ähnlich. Bekannt wurde er auch als "Donnerstagsräuber", weil er Banken gerne donnerstags überfiel, kurz bevor sie um 18 Uhr schlossen; manchen Fahndungsbeginn saß er anschließend in einem Kaufhauscafé aus.

Das letzte Wort vor Gericht hat nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung stets der Angeklagte, es ist ein hohes Gut der Rechtsprechung. Manche Angeklagten wollen gar nichts sagen, andere fassen sich kurz. Michael Jauernik spricht so lange, dass nach vier Verhandlungstagen selbst erfahrene Juristen unsicher werden. Wie lange darf so ein letztes Wort dauern? Wie lässt es sich beenden? Lässt es sich beenden, ohne dass der Angeklagte dann dagegen klagen könnte?

Jauernik hat wieder handbeschriebene Papiere dabei, häufig unterbricht die Richterin seinen Monolog. "Zu Protokoll: Wiederholung", sagt sie. Oder: "Das ist ausschweifend." - "Viele Sachen kann man nicht oft genug wiederholen", sagt Jauernik. "Ich sag nur eins: Manche Bücher sind nur wegen weniger Sätze lesenswert." - "Ist hier kein Thema", sagt die Richterin.

"Mit Ihnen red ich eh nicht"

Sie ruft zu einer kleinen Pause, Jauernik redet weiter. "Wenn ich sage, kleine Pause, dann meine ich kleine Pause", sagt sie. "Ich bin ja selten so streng." Jauernik will ein Lächeln in ihrem Gesicht gesehen haben. "Herablassend", murmelt er während der Unterbrechung. "Ich werde erst mal einen Befangenheitsantrag stellen." - "Zu wem reden Sie eigentlich?", fragt der Staatsanwalt, als die Kammer schon den Raum verlassen hat. "Mit Ihnen red ich eh nicht", antwortet Jauernik. Er lässt sich in seine Zelle bringen, will "seine" StPO holen, die Strafprozessordnung, um den Befangenheitsantrag zu schreiben.

Es gebe keinen anderen Grund, als das Verfahren zu verschleppen, sagt der Oberstaatsanwalt Lars Mahnke zwischendurch, als Jauernik mit seiner StPO wieder da und die Richterin noch draußen ist. Wenn das so weitergehe, "dann kriegen wir es noch mit dem Weihnachtsmann zu tun." - "Ist ja Quatsch, dass ich hier verschleppe", sagt Jauernik. Bald ist dann Mittagspause, der Angeklagte wünscht "eine angenehme Mittagspause. Ich lass alles da. Hier kommt ja nichts weg."

"Möchte mal einen sehen, der mit Reue in eine Bank reinstürmt"

Seine ersten Banken raubte Jauernik in den Siebzigern aus, er saß in Karlsruhe ein und bekam vom ebenfalls dort inhaftierten RAF-Terroristen Siegfried Hausner Bücher von Brecht, Tucholsky, Sartre, Hegel. "Aber was für ein Revolutionär!", schrieb Jauernik 1992 in einem Leserbrief aus der JVA Straubing an die taz. "Ohne einen wie Hausner wäre ich nie aufgewacht, für den Rest des Lebens dumm geblieben."

In den Achtzigerjahren dann die Zeit als Donnerstagsräuber. 1988 wurde der hanseatische Bayer nach einem Banküberfall in Ulm verhaftet und wegen sieben Banküberfällen zu neun Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Im Juni 1990 kletterte Jauernik mit Mithäftlingen durch eine Luke auf die Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, protestierte tagelang für bessere Haftbedingungen und forderte den Rücktritt des Justizsenators. Für seinen Text "Die Revolte von Santa Fu" bekam er einen Literaturpreis für Gefangene. Er wurde nach Straubing verlegt, klagte erfolgreich beim Bundesverfassungsgericht und durfte zurück nach Fuhlsbüttel.

Hunderte seiner Eingaben und Anträge gingen bei Gerichten und Behörden ein, eine führte zum Beispiel zum Einbau von Steckdosen in allen Zellen von Fuhlsbüttel. Jauernik vertiefte sich in Paragrafen und Gesetzeskommentare. Er habe sich "zum kenntnisreichen Hobbyjuristen entwickelt", berichtete 2014 sein Anwalt, der renommierte Strafverteidiger Gerhard Strate. Nach seiner letzten Entlassung war Jauernik Nachtportier, dann erbeutete er bei drei weiteren Banküberfällen etwa 25 000 Euro - er brauchte Geld, unter anderem für seinen BMW. Einmal schoss er, zweimal floh er mit dem Fahrrad. Beim dritten Mal erwischten ihn im Hamburger Viertel St. Georg Polizisten.

Die nächste Pause ist fast vorbei. "Ich hab auch keine Lust, hier ewig rumzusitzen", sagt Jauernik. Er zieht weitere Schriftstücke hervor, dabei löst sich ein Plastikclip wie ein Geschoss und trifft einen Polizisten. "Zum Glück nicht ins Auge", sagt Jauernik. "Glück gehört im Leben dazu. War mein Pech, dass ich beim letzten Mal geschnappt wurde."

Seine Befangenheitsanträge werden abgelehnt, auch der gegen den Gutachter, der ihm eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert. Jauernik setzt seine Lesebrille auf und ab, blättert, referiert, steht auf. Mangelnde Reue werfe man ihm vor, sagt er. "Ich möchte mal einen sehen, der mit Reue in eine Bank reinstürmt." - "Wiederholung", sagt die Richterin. "Ich les ja jeden Tag zwei, drei Tageszeitungen", sagt Jauernik, die Zahl der verarmten Senioren sei erheblich gestiegen. Und dann "diese Cum-Ex-Kriminellen, die haben über Jahre den Fiskus ausgenommen wie eine Weihnachtsgans". Er habe ja "keine Supermärkte oder alte Frauen überfallen, sondern Banken." Bankangestellte hätten eine Ausbildung. "Wissen wir", sagt die Richterin, die auch über seinen Schuss auf einen Bankangestellten urteilen muss.

Müdigkeit legt sich gegen Nachmittag über Saal 139. Auch die Anwälte wirken matt, Michael Jauerniks letztes Wort dauert inzwischen ungefähr 20 Stunden netto. Niemand kann sich erinnern, so etwas schon mal erlebt zu haben. Doch der Gerichtssprecher Kai Wantzen versichert nachher auf Anfrage, "Rekordhalter ist er definitiv nicht", zwei Angeklagte in einem anderen Prozess hätten noch länger gesprochen. Er räumt ein, es gebe eine gewisse Rechtsunsicherheit, was die Maximallänge des letzten Wortes betrifft, "weil das selten ausgelotet wird von beiden Seiten".

Am Freitag um 15 Uhr sagt die Richterin: "So, es ergeht folgender Kammerbeschluss: Dem Angeklagten wird das Wort entzogen." Er habe fünf Tage Zeit gehabt. Er sei darauf hingewiesen worden, wiederholende und ausschweifende Aussagen zu unterlassen. "Damit wären wir heute am Ende." Urteil am Montag. Falls dem Donnerstagsräuber nicht noch was einfällt.

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