Süddeutsche Zeitung

Justiz:Erst das Gesetz, dann das Gewissen

Lesezeit: 2 min

Von Hans Holzhaider, Lüneburg

Kurz und schmerzlich - das ist, aus Sicht von Hans von Möhlmann, das Fazit nach dem Verhandlungstermin vor der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg. Möhlmanns Tochter Frederike wurde 1981 im Alter von 17 Jahren vergewaltigt und ermordet. Ismet H., heute 65 Jahre alt, wurde damals zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt, dann, nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben hatte, aus Mangel an Beweisen freigesprochen. 31 Jahre später bekam Frederikes Vater dann die Gewissheit, dass Ismet H. doch der Mörder seiner Tochter ist.

Mit neuester Kriminaltechnik war es möglich, aus dem Slip des ermordeten Mädchens eine DNA-Spur zu isolieren, die mit einem DNA-Muster aus einem Haar von Ismet H. identisch ist. Aber die Strafprozessordnung eröffnet keine Möglichkeit, Ismet H. heute noch vor ein Strafgericht zu bringen. Deshalb verklagte Hans von Möhlmann den Mann, den er für den Mörder seiner Tochter hält, auf Zahlung eines Schmerzensgeldes.

Aber auch diese kleine Genugtuung wird er aller Voraussicht nach nicht erhalten. Am Mittwoch ließ die Vorsitzende Richterin der Zivilkammer in Lüneburg deutlich erkennen, dass die Kammer keine gesetzliche Grundlage für Möhlmanns Forderung sieht. Denn Schadenersatzansprüche, die "auf der Verletzung des Lebens beruhen", verjähren nach Paragraf 199 des Bürgerlichen Gesetzbuchs 30 Jahre nach dem Ereignis. An dieser Regelung, so deutete die Richterin an, werde das Gericht auch in diesem tragischen Fall nicht vorbeikommen: "Das Gesetz kommt als Erstes, dann kommt das Gewissen."

Das Gericht soll das Gesetz auf Verfassungsmäßigkeit prüfen

Der Rechtsanwalt Wolfgang Schädler, der Hans von Möhlmann vertritt, wollte trotzdem nicht die Waffen strecken. Er hatte im Schriftverkehr mit dem Gericht argumentiert, dass Hans von Möhlmann ja keine Chance hatte, seinen Anspruch gegen Ismet H. geltend zu machen, solange er nicht wusste, ob er tatsächlich der Täter sei. Hilft nichts, gab die Richterin zu verstehen, der Gesetzgeber habe eben, trotz sorgfältiger Abwägung, diesen absoluten Verjährungszeitraum ins Gesetz geschrieben, und daran komme man nicht vorbei.

Dann müsse man eben das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen, forderte Schädler. Das Gericht solle dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorlegen, ob der Paragraf 199 im BGB mit dem Artikel 14 des Grundgesetzes vereinbar sei, in dem das Recht auf Eigentum gewährleistet werde. Dieses Recht werde verletzt, wenn ein Gläubiger nicht in die Lage versetzt werde, seine Ansprüche gegen den Schuldner zu stellen.

Auch darüber muss die mit drei Richterinnen besetzte Kammer nun beraten; am 9. September will sie ihre Entscheidung verkünden. Große Hoffnungen machte die Vorsitzende Richterin dem Kläger nicht. Und für den Fall, dass er bei einer für ihn negativen Entscheidung Rechtsmittel einlegen wolle, warnte die Richterin vorsorglich vor den möglicherweise erheblichen Gerichtskosten.

Jetzt soll eine Online-Petition helfen

Ismet H. war nicht zu dem Gerichtstermin erschienen - das Gericht hatte ein persönliches Erscheinen der Prozessparteien nicht angeordnet. Er lebt nach Auskunft seines Anwalts Matthias Waldraff derzeit an einem unbekannten Ort, um sich und seine Familie vor Nachstellungen durch die Medien zu schützen.

Hans von Möhlmann setzt seine Hoffnung jetzt noch auf den Erfolg einer Online-Petition an die Bundesregierung, der sich schon mehr als 55 000 Unterstützer angeschlossen haben. Darin fordert er, die Strafprozessordnung so zu ändern, dass auch neue Beweismittel zur Wiederaufnahme eines Verfahrens gegen einen zu Unrecht freigesprochenen Täter führen können.

"Wir hoffen sehr, dass Justizminister Heiko Maas uns empfängt", sagte Rechtsanwalt Wolfgang Schädler nach der Verhandlung.

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Quelle:
SZ vom 20.08.2015
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